Sich bücken

„Früher gab es Menschen, die Gott von Angesicht zu Angesicht begegneten. Warum gibt es das heute nicht mehr?“ So fragt ein Schüler den Rabbi. Der neigt sein Haupt, überlegt kurz und antwortet: „Weil niemand sich so tief bücken will.“ – So erzählt es eine rabbinische Geschichte. „Er, der in göttlicher Gestalt war, nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und erniedrigte sich selbst“ – so bekennt es der Christushymnus im Philipperbrief. Menschen haben diese wohl formulierten Verse schon früh auswendig gelernt, vielleicht gesungen. Das Bekenntnis ist ein populärer Text, schon bevor Paulus sich im Philipperbrief darauf beruft. Es geht dem Apostel um die richtige Einstellung, die angemessene Gesinnung von Christenmenschen. Deshalb setzt er den Versen eine Mahnung voran: „Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht“ (V. 5).

Daraufhin zitiert er das alte Christuslied, um zu beschreiben, wie Jesus Christus gesinnt war: Da ist einer ganz oben, Gott gleich, und er kommt freiwillig nach unten, an die Seite der Menschen. Nicht um zu herrschen, sondern um zu dienen. So haben die Menschen Jesus tatsächlich kennengelernt: Als jemanden, der den Jüngern die Füße wäscht. Als jemanden, der auf einem ärmlichen Esel in Jerusalem einzieht. Wenn schon König, dann ganz anders. Unten, nicht oben. Dienend, nicht herrschend.

 

Abstieg als christliche Grundhaltung

Mag sein, in unserer Gesellschaft sind Karriere, Durchsetzungsvermögen und sozialer Aufstieg angesagt. Der Apostel Paulus empfiehlt dagegen den Abstieg als christliche Grundhaltung. So wie Jesus abgestiegen ist, so sollt auch ihr Christen euch selbst erniedrigen. Ob sich da viele Freiwillige finden? „Ich zuerst“ lautet stattdessen bei vielen die Devise.

Barack Obama ist einen Tag vor seiner Vereidigung als amerikanischer Präsident in ein Obdachlosenheim gegangen und hat dort tapeziert und die Wände gestrichen. Mag sein, er hat das auch für sein Image und für entsprechende Bilder in der Presse gemacht. Aber mit diesen Bildern hat er sein Amtsverständnis illustriert: als Präsident den Menschen dienen. Auch in Deutschland hat es mal Zeiten gegeben, in denen ein Bundeskanzler in Gummistiefeln gut angekommen ist, wenn er Menschen in Flutgebieten besucht hat.

Paulus sagt: Erniedrigung ist nichts Schlimmes, es ist sogar etwas zutiefst Christliches. Diakonie heißt wörtlich übersetzt: durch den Staub gehen. Und vielleicht werden wir gerade ganz unten besondere Erfahrungen mit Gott und mit dem Glauben machen. Da, wo es staubig ist. Paulus wirbt darum: Erniedrigt euch selbst, so wie Jesus sich erniedrigt hat! Seid den Schwachen nahe!

 

Auf wen hören

Reicht eigentlich schon als typisch christliche Gesinnung, oder? Trotzdem ist da noch ein zweiter entscheidender Gedanke im Christushymnus: „Christus ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ Gehorsam hat in der Bibel etwas mit hören zu tun. Jesus hat auf Gott gehört. Er hat gebetet, die Stille gesucht, in der Schrift gelesen, um Gottes Willen zu erkunden.

Es gibt Zeiten, in denen sich für Christen diese Frage besonders dringlich stellt: Auf wen hören wir? Im sog. Dritten Reich war das so. Der „Führer“ verlangte Gehorsam und Gefolgschaft. Viele Menschen, auch viele Christen, haben dem entsprochen. Und es gab die Bekennende Kirche, Leute wie Karl Barth oder Dietrich Bonhoeffer oder Paul Schneider. Sie haben sehr bewusst entschieden: Wir wollen auf Gott hören. Gottes Wort ist für uns maßgeblich, kein Führer, keine anderen Mächte und Gewalten.

Auf wen höre ich? Der Christushymnus ist hier sehr klar: „Alle Zungen sollen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“ Auf Gott hören und den Menschen nah sein, darauf kommt es an. So bekennt es am Anfang der Karwoche der Christushymnus im Philipperbrief.

Titus Reinmuth