Die Erfahrungen zu Zeiten der Corona-Pandemie haben manches verändert, auch unsere Gottesdienstlandschaften. Die Not, sich nicht in herkömmlicher Unbekümmertheit in Präsenz treffen zu können, hat technisch erfinderisch gemacht. Davon handeln auch einige der Beiträge dieser Ausgabe. Doch lediglich die Dynamik bei den technisch-medialen Neuerungen wirkt revolutionär. Der Einsatz von Medien im Gottesdienst ist es nicht, und auch nicht der Einsatz des Mediums als Gottesdienst.

Gehen wir von der einfachen Annahme aus, dass ein Gottesdienst die liturgisch gestaltete Feier einer Gemeinschaft von Christen ist, bei der sich diese durch den Geist Gottes untereinander und zugleich mit Gott und Christus verbunden wissen, so schmälert der Einsatz von Medien keineswegs den Charakter der Feier, auch nicht im theologischen Sinn, ganz im Gegenteil. Das lässt sich an wenigen Beispielen zeigen: Natürlich kann die Verkündigung nicht nur in Gestalt der wörtlichen Live-Ansprache, sondern auch über Video-Einspieler erfolgen. Und natürlich kann der Gemeindegesang nicht nur in Live-Musik, sondern auch in eingespielten Musikkonserven eine Ergänzung erfahren, wenn dies denn der Gesamtidee eines Gottesdienstes und seiner Aussagekraft dienlich ist. Uns mag dabei manchmal die digitale Technik als etwas „Zweitklassiges“ gegenüber dem scheinbar „Ursprünglichen“ des unvermittelten Beisammenseins und Ausdrucks befremden. Doch der Einsatz von Medien im gottesdienstlichen Geschehen ist eigentlich uralt: Im Grunde ist auch ein Gesangbuch oder ein Liedblatt ein Medium, ebenso wie das Bibelbuch, aus dem gelesen wird, oder ein Bild, das (als Projektion an der Wand oder als Wandgemälde) betrachtet wird.

Mag sich hinsichtlich des Einsatzes von medialen Hilfsmitteln im Gottesdienst, welcher technischen Art auch immer, rasch die Einsicht in eine lange Tradition der Selbstverständlichkeiten einstellen – so erhebt sich jedoch noch eine ganz andere Frage im Blick auf medial vermitteltes gottesdienstliches Geschehen: Kann ein Gottesdienst ganz und gar aus der leiblichen Präsenzform in eine mediale Form transferiert werden, ohne seine Bedeutung zu schmälern? Wer die Live-Übertragung von Gottesdiensten in Kliniken oder diakonischen Einrichtungen kennt und wer mit der Praxis der Ausstrahlung von Gottesdiensten in Rundfunk, Fernsehen oder Internet vertraut ist, wird an der Bedeutsamkeit dieser Gottesdienste nicht zweifeln. Warum sollte ein Gottesdienst, der über „Youtube“ zeitversetzt abgerufen werden kann, kein Gottesdienst sein? Oder warum sollte er ein Angebot „zweiter Ordnung“ darstellen? Wer sagt, dass die „versammelte Gemeinde“ die in einem Raum versammelte Gemeinde sein müsste?

Was mir bei der theologischen Reflexion dieser Erfahrungen in der Regel zu kurz kommt, ist der Blick auf die Anfangsgeschichte christlichen Glaubens: Paulus hat mit den von ihm gegründeten Gemeinden (und nicht nur mit diesen!) einen regen Briefkontakt unterhalten, also medial kommuniziert, wobei das Medium an die Stelle seiner persönlichen Präsenz trat. Und wer seine Briefe aufmerksam liest, wird feststellen, dass sie keineswegs nur der Überbringung sachlicher Informationen, geistlicher Inhalte und ethischer Impulse dienen sollten. Sie erfüllten vielmehr auch die Funktion, einander Anteil zu geben und sich verbunden zu wissen, und zwar genau im Geist Gottes. Die paulinischen Briefe atmen eine zutiefst geistliche Verbundenheit zwischen den Korrespondenten. Dazu gehört das gemeinsame Gotteslob (Röm. 16,25-27), der zitierte Hymnus (Phil. 2,6-11) oder der mit-geteilte Segen (2. Kor. 13,13). Zumindest bisweilen feiern die lokal Getrennten über weite geografische Distanzen hinweg ihre Gemeinschaft des Glaubens – in Briefform, in Ermangelung des Internets.

Herzlich grüßt Sie

Ihr

Peter Haigis.

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 5/2023

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