In der letztjährigen Novemberausgabe des Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatts hat Volker Matthaei auf die Notwendigkeit einer Arbeitszeitregelung für den (Gemeinde)Pfarrdienst hingewiesen. Bereits seit einiger Zeit gibt es Diagnose- und Planungsinstrumente zur Berechnung und Begrenzung von entsprechenden Dienstzeiten, etwa das westfälische Terminstundenmodell, das Michael Westerhoff hier vorstellt.

 

In der Novemberausgabe 2022 des DPfBl wies der Vorsitzende der badischen Pfarrvertretung, Volker Matthaei, darauf hin, dass es notwendig sei, eine Arbeitszeitregelung für den Pfarrdienst einzuführen.1 In derselben Ausgabe war ein Votum des Verbandes Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland veröffentlicht, eine Regelung für den Pfarrdienst im Sinne einer „Vertrauensarbeitszeit“ zu schaffen, „die mit einer durchschnittlichen Wochenstundenzahl hinterlegt und mit einer Aufgabenbeschreibung beschrieben wird“.2 Auch Matthaei verwendet in seinen Ausführungen die Begriffe „Vertrauensarbeitszeit“ und „Orientierungsrahmen“, um deutlich zu machen, dass es ihm nicht um die Einführung einer verbindlichen festen (mittleren) Wochenarbeitszeit gehe, sondern darum, erwartbare Anforderungen und persönliche Belastbarkeit in ein Maß zueinander zu bringen, das es ermöglicht, den Pfarrberuf gesund und zufrieden und – das sei an dieser Stelle ausdrücklich betont3 – in angemessener Qualität auszuüben. Denn das Erleben, dass die geleistete Arbeit nicht den eigenen Qualitätsmaßstäben genügt, birgt ein hohes Frustrationspotential.

Beide Voten weisen weiterhin zu Recht darauf hin, dass eine klare und verbindliche Begrenzung der Arbeitsbelastung zur Gesundheitsvorsorge und zur besseren Vereinbarkeit von beruflichen Anforderungen und privaten Bedürfnissen beiträgt. Darüber hinaus erscheint es m.E. in Zeiten der fundamentalen Veränderungen in der kirchlichen Landschaft dringend nötig zu sein, einen klaren Überblick über die zur Verfügung stehenden Ressourcen zu haben. Konzepte von Regionalisierung, Verdichtung und Konzentration kirchlicher Angebote, multi- und interprofessioneller Zusammenarbeit und nicht zuletzt die Forderung nach neuen Formaten kirchlicher Präsenz in der Gesellschaft drohen zur völligen Überlastung des Personals zu führen, wenn nicht überschaubar und eindeutig geklärt ist, wieviel Arbeitskraft realistisch zur Verfügung steht.

Im Blick auf die Begrenzung der Aufgaben und Erwartungen gibt es seit einiger Zeit gute praktische Erfahrungen mit Modellen und Instrumenten. Eines dieser Modelle ist das von Volker Matthaei in seinem Beitrag erwähnte westfälische4 „Terminstundenmodell“. In der Evang. Kirche von Westfalen (EKvW) ist diese Systematik zur quantitativen Beschreibung von Aufgaben im Pfarrdienst seit 2016 Grundlage für die Erstellung von „Anlagen zur Dienstanweisung“. Zuvor wurde die Systematik im Coaching von Pfarrpersonen und -teams angewendet und erprobt. Seither liegen reichhaltige Erfahrungen vor, Weiterentwicklungen und Anpassungen wurden durchgeführt und die Anwendung wurde evaluiert.

Mittlerweile haben es auch andere EKD-Gliedkirchen5 in ähnlicher Weise eingeführt, in weiteren Kirchen ist es in der Erprobung6, zum Teil ist eine Einführung geplant7. Diese Entwicklung ist aus Sicht des Verfassers, der sich seit geraumer Zeit in verschiedenen Tätigkeiten8 mit Fragen der Belastung im Pfarrdienst beschäftigt und um ein wirklich handhabbares Instrument zur quantitativen Beschreibung des Pfarrdienstes bemüht hat, ausgesprochen erfreulich. Gerade angesichts der sich ausweitenden Verbreitung des Terminstundenmodells erscheint es allerdings nötig, seine Herkunft, seine Gestaltung und seine Grenzen darzustellen.

 

Die Herkunft des Terminstundenmodells

Das Terminstundenmodell lehnt sich an Modelle an, die in anderen Beruflichkeiten der sog. „Professionellen Arbeit“9 angewendet werden. Am ehesten vergleichbar und am weitesten verbreitet ist dabei der Lehrerberuf, aber auch der Hochschullehrerberuf, der Richterberuf und ähnliche Berufe sind zu nennen. Die Quantifizierung der Arbeit solcher Berufe orientiert sich weniger an der absoluten Präsenz an einem bestimmten Arbeitsplatz als mehr an den „Ergebnissen“ umfangreicher und vielschichtiger Arbeitsprozesse. Das bedeutet konkret, dass zur Ermittlung der angemessenen Arbeitsbelastung einer Stelle nicht die komplette Arbeitszeit exakt definiert oder gemessen wird, sondern lediglich ein bestimmter Umfang an erbrachter „Leistung“ für die Bestimmung des Stellenumfanges zu Grunde gelegt wird.

Das schließt nicht aus, dass aus dieser Bemessung eine voraussichtliche „Gesamtarbeitszeit“ abgeleitet werden kann. Die diversen Modelle zur Darstellung der Arbeitszeit von Lehrerinnen und Lehrern machen das deutlich. So wird etwa in Nordrhein-Westfalen aus der Verpflichtung, im Rahmen einer Vollzeitstelle an einem Gymnasium 25,5 Pflichtstunden zu erteilen, abgeleitet, dass dies einem Äquivalent von 41 Zeitstunden an mittlerer wöchentlicher Arbeitszeit entspräche.10 Dies resultiert aus einer Berechnung, die u.a. Vorbereitungszeiten, Konferenzen und andere Tätigkeiten sowie die unterrichtsfreie Zeit berücksichtigt.

 

Zur Gestaltung des Terminstundenmodells

Das Terminstundenmodell fußt auf diesen Grundlagen, indem es unterscheidet zwischen Zeiten, in denen eine Pfarrerin oder ein Pfarrer öffentliche „Präsenz“ zeigt (= „Termine“), wie z.B. Gottesdienste, Besuche, Veranstaltungen, Sitzungen und Zeiten, die der Vor- und Nachbereitung dieser Termine dienen (= „Unterstützungszeit“), wie z.B. Lektüre, Verschriftlichungen, Telefonabsprachen, eMail-Verkehr. Lediglich die sog. „Terminstunden“ werden zur Bemessung einer Stelle berücksichtigt, die daraus resultierenden Zeiten für Vor- und Nachbereitung aus dem „Tätigkeitsmix“ der jeweiligen Pfarrstelle abgeleitet. Das bedeutet, dass die Bestimmung des Dienstumfanges einer Pfarrstelle allein aus einer je nach „Typ“ der Pfarrstelle unterschiedlichen Zahl von Terminstunden abgeleitet wird.

Der sog. „Tätigkeitsmix“ ist dabei von großer Bedeutung. Es ist offensichtlich, dass es pastorale Tätigkeiten mit einem im Verhältnis zur Präsenzzeit hohen Vorbereitungsaufwand (Gottesdienste) und solche mit einem eher geringeren Aufwand (Besuche) gibt. Daneben gibt es Unterschiede „von Fall zu Fall“ (Sitzungen mit mehr oder minderer Eigenbeteiligung). Auch individuelle Unterschiede in den Begabungen und Fähigkeiten und schließlich Phänomene wie „Tagesform“11 spielen in gewisser Weise eine Rolle. In der Umsetzung des Terminstundenmodells wird nun zur Begrenzung auf eine maximale – voraussichtliche! – mittlere wöchentliche Gesamtarbeitszeit ein angemessener Zeitanteil für eben diesen Vorbereitungsaufwand reserviert. Die Freiheit im Pfarrberuf, Vorbereitungen nach eigener Einschätzung und eigenen Gaben individuell zu gestalten, soll durch diese Festlegung unterstützt werden.

Aus diesen Überlegungen resultieren – je nach Tätigkeitsmix – unterschiedliche Terminstundenwerte für unterschiedliche „Pfarrstellentypen“. Für Gemeindepfarrstellen12 wurde in der EKvW ein Wert von 21 Terminstunden13 (voller Dienstumfang) festgesetzt. Auf Grund des typischen „Tätigkeitsmixes“ in der Praxis des Gemeindepfarramtes ist ein mittlerer Vor- und Nachbereitungsaufwand von einer Stunde pro Terminstunde einzuplanen.14 M.a.W.: Die Hälfte der Arbeitszeit in einer Gemeindepfarrstelle soll frei von festen Terminen bleiben. Gerade dieser Freiraum und das damit verbundene Gefühl, sich gut auf Aufgaben vorbereiten zu können (bzw. notwendige „Nacharbeiten“ erledigen zu können), führt zu einer Steigerung der beruflichen Zufriedenheit. Zudem entspricht es dem Charakter des Pfarrberufes als „öffentlichem Beruf“, einerseits klare Erwartungen an die öffentliche Präsenz zu formulieren, andererseits aber auch ein angemessenes „Zeitbudget“ für den Zugriff auf die für diesen Dienst nötigen Quellen und Ressourcen zu ermöglichen.

Für die Umsetzung dieser Systematik steht in der EKvW die Online-Software15 „Aufgabenplaner“ zur Verfügung, mit der anschaulich und unkompliziert die geplanten Terminstunden für eine Pfarrstelle bzw. für ein Team16 in einem Planungsprozess berechnet werden können.

 

Grenzen und Einschränkungen des Terminstundenmodells

Das Terminstundenmodell bzw. der Aufgabenplaner haben tatsächlich in der Anwendung und in der Umsetzung das Potential, Aspekte des Gesundheitsschutzes, der Förderung der beruflichen Freiheit und der Qualitätssicherung nachhaltig zu unterstützen. Die wichtigste Einschränkung des Terminstundenmodells liegt aber darin, dass es sich schwerlich für die Einführung einer eindeutig und fest definierten und verbindlichen (mittleren) wöchentlichen Gesamtarbeitszeit für den Pfarrdienst eignet.

Wöchentliche Gesamtarbeitszeit?

In diesem Zusammenhang ist ohnehin danach zu fragen, ob nicht bereits die Verwendung des Begriffes „Gesamtarbeitszeit“ die Notwendigkeit bestimmter Regelungen im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG)17 zwingend nach sich ziehen würde. Zu denken wäre z.B. an eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung18, die spätestens dann unumgänglich wäre, wenn für eine entsprechende Anwendung verbindliche Regelungen im Blick auf Mehrarbeit bzw. regelmäßigen Überschreitungen der Wochenarbeitszeit getroffen würden. Hier stellt sich zuvörderst die Frage, ob es nicht dem Charakter des Pfarrberufes völlig widerspräche, wenn im Pfarrdienst eine Verpflichtung dazu bestünde, die Arbeitszeit zu erfassen und zu belegen und Dienstvorgesetzen die Kontrolle darüber übertragen würde.19

Dafür ist das Terminstundenmodell nur bedingt geeignet20 und auch nicht gedacht. Sein Ausgangspunkt ist nämlich, wie oben beschrieben, in erster Linie, die Inanspruchnahme der Pfarrpersonen durch Präsenzzeiten klar zu begrenzen. Diese sind im wahrsten Sinne des Wortes – annähernd – „öffentlich“ nachvollziehbar. Das gilt aber keineswegs für Vor- und Nachbereitungszeiten, die im Modell darum nur als erwartbar bzw. prognostiziert benannt sind.21 Und schließlich ist es ohne die Festlegung eines Dienstortes (mit einer Zeiterfassungseinrichtung) als Start- und Rückkehrort für einen Dienstgang unmöglich, den tatsächlichen Umfang von Wegezeiten zu erfassen. In den Ausführungsbestimmungen der EKvW wurde allerdings sehr wohl die Belastung durch die auf Grund der Jahreskilometerleistung voraussichtlich anfallende Wegezeit begrenzt.22 Im Ergebnis darf nach diesen Vorgaben die durch die Ausübung des Pfarrberufes aufzuwendende Gesamtzeit im Mittel insgesamt max. 48 Stunden pro Woche betragen, was durchaus im Bereich der beruflichen Beanspruchung vieler Berufspendler mit 39- oder 41-Stundenwochen liegt.23

Es wäre darum ein Missverständnis des Terminstundenmodelles, diese Regelungen mit einer Festschreibung von 48 Stunden als vorgeschriebene mittlere wöchentliche Arbeitszeit pro Woche gleichzusetzen. Darum ist die Aussage von Volker Matthaei, dass das westfälische Modell „von einer 48-Stunden-Woche“ 24 ausgehe, so nicht ganz korrekt. Eher könnte man, auf Grund der Systematik von Terminstunden und Vor-/Nachbereitungs-Zeit im Verhältnis von 1:1 (im Gemeindepfarramt!) und unter Berücksichtigung von Wegezeiten, von einer „42-plus-Stunden-Woche“ sprechen. Außerdem müsste jegliche Festlegung auf einen bestimmten Gesamtzeitwert mit Hilfe des Terminstundenmodells im Umkehrschluss nach sich ziehen, dass Pfarrerinnen oder Pfarrer, die einen geringeren Umfang für Vorbereitungszeit aufwenden oder auf Grund von örtlichen Rahmenbedingungen geringere Fahrtzeiten haben, dann entsprechend mehr Terminstunden leisten müssten. Dem ist keineswegs so.

Darum hat sich die EKvW dazu entschieden25, als verbindlichen Orientierungsrahmen lediglich die Zahl der Terminstunden für eine bestimmte Pfarrstelle festzustellen und damit eine – relativ – objektive Grundlage für die Begrenzung der gesamten zeitlichen Belastung durch den Beruf vorzugeben.

Angemessene Umsetzung

Die zweite Einschränkung des Terminstundenmodells liegt darin, dass es sich lediglich um ein Diagnose-Instrument (für das Maß der Erwartungen bzw. der beruflichen Belastung) und ein Planungs-Tool (für die angemessene Beschreibung eines Pfarrdienst-Arbeitsplatzes) handelt.

So wie das bloße Postulat einer bestimmten Wochenarbeitszeit nur Symbolcharakter hätte, so wird auch die Stellenbeschreibung in Form von Terminstunden ohne Wirkung bleiben, wenn diese nicht umgesetzt wird. Die entscheidende Ebene – jeglicher – Umsetzung einer Arbeitszeitbegrenzung ist die mittlere kirchliche Leitungsebene in Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Gremien „vor Ort“. Nach der Praxiserfahrung des Autors aus zahlreichen Beratungsprozessen liegt gerade im Festhalten an bestehenden Erwartungen seitens der Leitungsgremien und oftmals der betroffenen Pfarrpersonen selbst das größte Hindernis für eine angemessene Begrenzung der Aufgaben. Häufig sind in den Zeiten des großen Personalreichtums im Pfarrdienst viele Aufgabenbereiche und Formate neu erschlossen worden, an denen – im Einzelfall durchaus verständlich – viel Herzblut hängt. Hier gilt es nun bei sinkenden Personalzahlen abzuwägen, was beibehalten werden soll, von was man sich trennen möchte und – idealerweise – welche neuen Aufgaben „dran“ wären. Nicht ein angeblich von Kirchenleitungen tradiertes traditionelles „Pfarrbild“ ist das eigentliche Kernproblem bei der Realisierung einer angemessenen Belastungsbegrenzung. Vielmehr sind es solche Beharrungskräfte und die „Zurückhaltung“ gegenüber unbedingt nötigen konzeptionellen Überlegungen.26 Denn eine Reduzierung nach dem „Rasenmäherprinzip“ oder auf Kosten der strukturell Schwächsten wird nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen.

Diese Prozesse in Gang zu setzen und ihre Umsetzung zu „bewachen“, ist letztlich die Aufgabe der mittleren Leitungsebene. Hinzu tritt dann auch die Thematisierung der Arbeitsbelastung im regelmäßigen jährlichen Mitarbeitenden- oder Dienstgespräch, um gegebenenfalls bei zu großen Abweichungen von den Planungen nachzusteuern und einen erneuten Beratungsprozess einzuleiten.

 

Individuelle Bedürfnisse und attraktive Rahmenbedingungen

Abschließend sei in diesem Zusammenhang noch auf die in den beiden Beiträgen vorgetragene Argumentation eingegangen, dass die Frage nach der angemessenen Beschreibung und Begrenzung der Aufgaben im Pfarrdienst vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der Nachwuchsgewinnung wichtig sei. Dies wird häufig vorgetragen – auch im Blick auf andere Fragen zu den beruflichen Rahmenbedingungen (z.B. Besoldung, Familienfreundlichkeit bzw. Fragen nach der Vereinbarkeit von Beruf und privaten Bedürfnissen etc.). Der hergestellte Zusammenhang ist aus Sicht der praktischen Personalarbeit grundsätzlich schwierig und wissenschaftlich umstritten27, weil es wenig hilfreich ist, Maßnahmen am personifizierten Durchschnitt einer sog. „Generation“ und an damit verbundenen stereotypischen Zuschreibungen zu orientieren. Sachgerechter ist es dagegen, den Blick auf spezifische Zielgruppen bzw. konkret auf individuelle Motive von Personen zu richten.28

Davon abgesehen kann selbstverständlich die Bereitstellung von attraktiven Rahmenbedingungen auch zur Gewinnung von Personal beitragen. Allerdings sollte das primäre Interesse jeder Personalentwicklungsmaßnahme zunächst die bestehenden „Belegschaften“ im Blick haben. Denn sie sind es, die gegenwärtig im überwiegenden Maß für die Qualität der zu erfüllenden Aufgaben verantwortlich sind – und diese hängt eben nachhaltig davon ab, wie zufrieden die Menschen sind, die die Aufgaben erfüllen. Wenn deren Zufriedenheit auf Menschen ausstrahlt, die sich für den Pfarrberuf interessieren, dann ist das die beste Nachwuchswerbung.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob allein die Fokussierung auf die beruflichen Rahmenbedingungen, wie sie zurzeit – nicht nur – im Blick auf den Pfarrberuf betrieben wird, zielführend ist. Obschon die beruflichen Rahmenbedingungen und die „ethische Integrität“ des Arbeitgebers mehr an Bedeutung gewonnen haben, bleibt auch der Arbeitgeberin Kirche nicht erspart, sich grundlegend damit zu beschäftigen, ob die Aufgaben selbst, die vom zukünftigen Pfarrpersonal geleistet werden sollen, noch den Erwartungen möglicher Interessierter entsprechen. Denn davon, in welchem Maße eine Person die eigentlichen Arbeitsaufgaben mit den eigenen Interessen identifizieren kann und sie als ihren Fähigkeiten entsprechend versteht, hängt es stark ab, ob sie die Arbeit als sinnhaft und zufriedenstellend29 erlebt. Auf den Punkt gebracht: Es ist danach zu fragen, ob das Aufgabenspektrum, das unsere Kirchen(gemeinden) von „ihrem“ (zukünftigen) Pfarrpersonal erwarten, für junge Menschen überhaupt noch attraktiv und sinn-voll ist.30

Spätestens an dieser Stelle endet die Zuständigkeit von Personalarbeit und -entwicklung. Sie kann lediglich auf diese Zusammenhänge hinweisen. Und selbst das beste auf landeskirchlicher Ebene eingeführte Modell zur Aufgabenbeschreibung und -begrenzung wird nicht zufriedenstellen, wenn die Aufgaben an sich als beschwerlich oder „fremd“ erlebt werden. Die Definition der Aufgaben aber liegt in erster Linie bei den Gremien der Gemeinden und Einrichtungen vor Ort. Hier scheint darum – unter möglichst breiter Beteiligung gerade junger Berufstätiger – eine gemeinsame Anstrengung von Nöten, Kirche mit ihren „Angeboten“ und Aufgaben permanent weiterzuentwickeln. So würde sie einerseits ihrem Auftrag gerecht und andererseits – möglicherweise – attraktiv als Arbeitgeberin.

 

Anmerkungen

1 DPfBl 11/2022, 671-74.

2 DPfBl 11/2022, 673.

3 Volker Matthaei, a.a.O., 672: „Arbeitszeitbegrenzung ist eine Frage der Qualitätssicherung“.

4 Wiewohl es in seinem Ursprung kein „westfälisches“, sondern ein „rheinisches“ Modell ist, vgl.: „Zeit fürs Wesentliche – Perspektiven auf den Pfarrberuf in der Evangelischen Kirche im Rheinland“, 2014, 38ff.

5 Lippische Landeskirche, Evang.-Luth. Kirche in Oldenburg.

6 Evang. Kirche in Baden, Evang. Kirche der Pfalz

7 Evang. Kirche im Rheinland, Evang.-Luth. Kirche Hannovers, Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn.

8 Sowohl als Coach in der Personalberatung einzelner Personen wie in der Gemeindeberatung und zum gegenwärtigen Zeitpunkt als Referent für Personalentwicklung im Landeskirchenamt der EKvW.

9 Vgl. dazu Heisig, U. (2005): Professionalismus als Organisationsform und Strategie von Arbeit. In. Pfadenhauer, M. (Hg.), Professionelles Handeln, 41.

10 Verordnung zur Ausführung des §93 Abs. 2 Schulgesetz vom 18.03.2005 §2.

11 Jeder, der eine langjährige Bestattungspraxis hinter sich hat, weiß genau, was gemeint ist: mal finden sich die Worte einer Predigt „ganz leicht“ und mal ringt man um jeden zu Papier zu bringenden Satz.

12 Die Berechnung für andere Pfarrstellentypen wird entsprechend des mitunter sehr stark differierenden Tätigkeitsmixes entsprechend angepasst. So gilt z.B. bei Krankenhausseelsorgestellen ein Wert von 30 Terminstunden pro Woche, da in diesen deutlich mehr Terminstunden mit Aufgaben anfallen, die einen eher geringen Vor- und Nachbereitungsaufwand haben.

13 Dies ist als mittlere wöchentliche Zeit zu verstehen, und letztlich ist es sachgerechter, von einem Jahresterminstundenumfang von 966 Stunden im Gemeindepfarramt zu sprechen.

14 Es ist für den Verfasser immer wieder erstaunlich zu erleben, wie in zahlreichen Begegnungen mit (erfahrenen) Pfarrpersonen in der ganzen EKD (und darüber hinaus) gerade dieses Verhältnis von 1:1 (Terminstunden und Vorbereitungsstunden) nach Erläuterung der o.g. Einflussfaktoren auf dieses Verhältnis auf ein hohes Maß an Zustimmung stößt.

15 Aufgabeplaner-ekvw.de.

16 Für die mittlerweile in hoher Zahl (ca. 60) eingerichteten Stellen anderer Berufsgruppen in sog. „Interprofessionellen Pastoralteams“ steht eine angepasste Version des Aufgabenplaners zur Verfügung, um sowohl Pfarrstellen als auch Stellen anderer Berufsgruppen gemeinsam erfassen zu können.

17 Nach §18 Abs. 1.4 ArbZG wird allerdings ausdrücklich die Anwendung des Gesetzes auf „den liturgischen Bereich der Kirchen und der Religionsgemeinschaften“ ausgeschlossen.

18 BAG-Urteil vom 13.9.22, Aktenzeichen 1 ABR 22/21.

19 Hierauf weist auch Volker Matthaei am Ende seines o.g. Beitrages ausdrücklich hin.

20 Allerdings ist es für die Personen selbst ohne großen Aufwand möglich, ihre „Präsenzzeiten“ für sich persönlich zu dokumentieren. Die Erfahrung zeigt: Pfarrpersonen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, erleben dies als gute Möglichkeit der persönlichen Einschätzung und Selbststeuerung.

21 Keine Lehrerin und kein Lehrer, für die im Grundsatz zwar die beamtenrechtlichen Regelungen der Länder gelten, sind dazu verpflichtet nachzuweisen, ob die auf einem bestimmten Stundendeputat beruhende besoldungsrelevante Gesamtarbeitszeit auch tatsächlich geleistet wird.

22 Ab einer zu erwartenden Wegezeit von mehr als 6 Stunden im Wochenmittel (was je nach örtlichen Rahmenbedingungen einer jährlichen Fahrleistung von 9000 bis 13.000 km entspräche) ist die Terminstundenzahl entsprechend zu begrenzen.

23 Vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/zeitaufwand-weg-arbeit.html, heruntergeladen am 20.12.2022.

24 A.a.O. S. 674, Anm. 9.

25 Dazu hat die Kirchenleitung der EKvW in einem Beschluss im Dezember 2022 nochmal eindeutig festgehalten, dass eine quantitative Beschreibung aller Pfarrstellen verbindlich vorgenommen werden muss.

26 Dies soll nicht verharmlost werden. Denn dazu gehören auch intensive Trauerprozesse.

27 Vgl. Kanning, Uwe-Peter: Gibt es die Generation Y? (https://www.visionintoaction.de/wp-content/uploads/2017/06/Kanning-gibt-es-die-generation-y.pdf, heruntergeladen am 20.12.2022)

28 Eine Erfahrung aus der praktischen Personalarbeit des Verfassers ist, dass sich signifikante Unterschiede im Blick auf die beruflichen (und privaten!) Bedürfnisse zwischen einzelnen Interessierten für den Pfarrberuf viel stärker aus der Zugehörigkeit zu bestimmten (Herkunfts-)milieus ableiten lassen.

29 Der Bereich der Arbeitszufriedenheit ist Gegenstand zahlreicher (Meta-)Studien. Dabei ist zunehmend ein starker Zusammenhang von Arbeitszufriedenheit und beruflicher Identität (im Pfarrberuf: „Berufung“) im Blick (vgl. Berg, Christoph: Zusammenhänge zwischen beruflicher Identität, Commitment und Arbeitszufriedenheit, in: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 71, 169-178 (2017)).

30 Umgekehrt bleibt es Berufssuchenden und ­Studierenden nicht erspart, sich über mögliche Arbeitgeber und deren Erwartungen an die jeweilige Berufstätigkeit kundig zu machen und daraus ­Berufsentscheidungen abzuleiten.

 

Über die Autorin / den Autor:

Pfarrer Michael Westerhoff, Jahrgang 1962, Theologiestudium in Bochum, Bonn und Münster, Pfarrstellen in Kirchengemeinden, in der Erwachsenenbildung und in der Personalberatung, Ausbildung als Systemischer Organisationsberater, Supervisor (GWG) und in der Personalentwicklung, Referent für Personalentwicklung im Landeskirchenamt der Evang. Kirche von Westfalen.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 2/2023

1 Kommentar zu diesem Artikel
21.02.2023 Ein Kommentar von Ralf Krüger Auch wenn "reichhaltige Erfahrungen" vorliegen und "Weiterentwicklungen und Anpassungen durchgeführt" wurden und die "Anwendung ... evaluiert" wurde, ich kann mir nach über 30jähriger Tätigkeit im Pfarramt beim besten Willen nicht vorstellen, welche Entlastung das westfälische Terminstundenmodell bringen soll. 1) Der Vergleich mit den Lehrberufen an der Schule und an der Hochschule hinkt. Die unterrichts- bzw. vorlesungsfreien Zeiten sind in meinen Augen ein nicht zu unterschätzender Ausgleich für arbeitsintensive Zeiten, in denen unterrichtet wird. Manche Pastorinnen und und Pastoren schaffen es nicht einmal, die ihnen zustehende Urlaubszeit zu nehmen, weil Kolleginnen und Kollegen belastet sind und keine Vertretungen übernehmen können. Allerdings müssen auch Lehrkräfte an Schulen und Hochschulen nach eigenem Bekunden oftmals mehr als die vorgesehenen Stunden einsetzen, um zufrieden mit ihrem Unterricht zu sein. Hinzu kommt, dass Pfarrerinnen und Pfarrer lediglich im Bereich des Unterrichts auf Konzepte zurückgreifen können, die sich in der Vergangenheit bewährt haben. Eine Predigt bereite ich jedes Mal neu vor! 2) Deshalb empfinde ich es als eine Unverschämtheit, dass ich gerade für die zeitintensive Vorbereitung eines Gottesdienstes andere Termine ansetzen muss, um ausreichend Vorbereitungszeit zu "generieren". Ausgesprochen despektiertlich ist es dann auch, wenn dafür der seelsorgerliche Besuch bei "Oma Müller" als Beispiel genannt wird. Es ist mir auch völlig schleierhaft, wie bei "(erfahrenen) Pfarrpersonen in der ganzen EKD (und darüber hinaus) gerade dieses Verhältnis von 1:1 (Terminstunden und Vorbereitungszeit)" auf Zustimmung stoßen kann. 3) Wenn Westerhoff schreibt, die "mittlere Leitungsebene" müsse diese Prozesse in Gang setzen und ihre Umsetzung "bewachen" (Anführungszeichen von Westhoff selbst; die Wortwahl ist bezeichnend), so deutet sich hier schon an, dass das Terminstundenmodell zu einem Überwachungsmodell mutieren wird. Wenn ich mich als Pfarrer auf meine Terminstunden als Beleg ausreichender Arbeit berufen will, muss ich zwangsläufig meinen Terminkalender offenlegen. Von der "mittleren Leitungsebene" wird das dann so ausgedrückt: "Im ersten Jahr schauen wir nicht so genau hin, wenn die Terminstunden nicht ganz ausreichen. Im zweiten Jahr sieht es schon anders aus." 4) Westhoff spricht zum Schluss die Zufriedenheit von Pfarrpersonen an und bezeichnet die als "beste Nachwuchswerbung". Dem kann ich nur zustimmen! Vielelicht sollten sich Kirchenleitungen einmal fragen, warum so wenige junge Menschen sich den Berufs einer Pfarrerin bzw. Pfarrers vorstellen können. Für mich selbst kann ich auch nach über 30 Jahren immer noch sagen, dass es mein Beruf ist, der mich ausfüllt und Freude macht. Allerdings habe ich bisher keinem meiner Jugendlichen, die als Teamerinnen und Teamer aktiv in der Jugendarbeit mitwirken und so dazu beitragen, dass "Kirche gar nicht so übel ist", geraten, diesen Beruf zu ergreifen. 5) Ich rate dagegen dringend, den Artikel von Justus Geilhufe und Jan Reitzner zu lesen - Normative Zentrierung in Umbruchszeiten. Zum Schluss heißt es in diesem Artikel: "Wer oder was kann die Kirche retten?" Antwort: "Kein Reformprogramm, kein regionaler Ergeiz, keine theologische Fortbildung, ja nicht einmal eine ernsthaft Umkehr unsererseits könnte das. Allein Christus kann das." Auf diese Hoffnung hin wagen wir das Abenteuer: wir lassen den Herrn der Kirche in, mit und durch uns heute sein Reich bauen, so Geilhufe und Reitzner.
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