Seit zehn Jahren führt der Heidelberger Masterstudiengang „Theologische Studien“ viele Quereinsteiger ins Pfarramt. Dieser weiterbildende Studiengang richtet sich an Menschen, die in anderen Fächern einen Bachelor erworben und in ihren kirchenfernen Berufen mehrjährige Erfahrungen gesammelt haben. Er bietet Quereinsteigern somit die Chance, in einem intensiven Studium in vier Semestern Vollzeit (bei Teilzeit entsprechend länger) das Berufsziel Pfarrer*in zu realisieren. Lisa Deininger und Manfred Oeming stellen das Modell vor und bilanzieren seine bisherige Geschichte.

 

Die zweifache Idee – Heidelberg als Vorreiter

Schon rein zahlenmäßig ist der normale Weg ins Pfarramt das klassische Theologiestudium. In Ergänzung dazu eröffnet der innovative Heidelberger Master1 jedoch spezifisch Menschen aus ganz anderen Bildungswegen (z.B. Informatik, Hotelwesen, Bibliothekswesen, Sozialarbeit, Jura oder Arabistik plus fünfjähriger Berufserfahrung in diesen Bereichen) einen alternativen Zugang zum Pfarramt. Das kontinuierliche Ansteigen der Studierendenzahlen in den ersten Jahren zeigt die Attraktivität einer solchen Möglichkeit.

Dieser neue Master beruht auf einer doppelten Idee: Es gibt Personen, denen erst nach einigen Jahren bewusst wird, dass sie mit ihrer ersten Berufswahl nicht das Richtige für sich gefunden haben, sondern dass sie gerne mit Menschen arbeiten möchten, dass sie in der Gemeinde, in der Seelsorge, in der Verkündigung des Evangeliums in unserer Gesellschaft etwas zum Guten bewegen möchten. Solchen „Spätberufenen“ soll eine Möglichkeit eröffnet werden, diese Berufung auf der Basis eines wissenschaftlichen Universitätsstudiums zu realisieren. Dass seither in Deutschland viele weitere, aber doch sehr unterschiedliche Konzepte für Quereinsteiger2 entstanden sind, spricht für die Attraktivität dieser Möglichkeit.3

Zum zweiten ist klar: Die Kirche hat nicht nur allgemein Mangel an Nachwuchs, sie braucht auch solche Persönlichkeiten, die aus ihren Kenntnissen und Erfahrungen heraus neue Impulse und Facetten in die Kirche einbringen, die sehr wertvoll sind, wie aus dem Statement der Landesbischöfin von Baden, PD Dr. Heike Springhart, deutlich hervorgeht. Deswegen fördern die Kirchen diesen Bildungsweg auch. Gerade innerhalb von Pfarrteams bringen sie ihre eigene Sicht auf Kirche, Welt und Glauben ein und liefern oftmals wertvolle Impulse. Sie erweitern die Perspektiven des Pfarrteams und der Gemeinde, sodass über die rein „kirchliche Logik“ hinaus neue Möglichkeiten eröffnet werden.

Über den Heidelberger Master wurde in dieser Zeitschrift bereits berichtet (DPfBl 1/2022). Angesichts der Angebote an anderen Universitäten soll hier das Spezifikum des Heidelberger Masters nochmals werbend herausgestellt werden. Aus den Stimmen von Studierenden, von Absolvent*innen, aus der Kirchenleitung und aus der akademischen Theologie soll das Profil unseres Angebots und sein ganz besonderer Wert deutlich hervortreten.

 

Der Anfang war schwer

Mit dem Heidelberger Master wurde der erste und bisher einzigartige weiterbildende Master in Deutschland eigerichtet, der ein Präsenzstudium an der Fakultät zusammen mit den anderen Studierenden vorsieht. Das ist uns sehr wichtig.

Dieses Konzept wurde anfangs nicht nur begrüßt. Es gab viele Bedenken, dass hier zu schnell und unbedacht gehandelt wird, und es wurde auch von Seiten der akademischen Theologie Kritik geübt. Auch einige Landeskirchen waren zu Beginn skeptisch, ob Masterabsolvent*innen hinreichend qualifiziert sind, um in das Vikariat übernommen werden zu können. Man kann diese Kritik unter dem Schlagwort „Verdacht auf Schmalspurtheologie“ zusammenfassen. Dem Studiengang wurde aufgrund seiner Kürze die notwendige Tiefe sowie die Wissenschaftlichkeit abgesprochen.4 Es hat sich aber mittlerweile herausgestellt, dass diese Vorbehalte und Vorwürfe gerade für den Heidelberger Master verfehlt sind. Der Evangelische Fakultätentag (vgl. die Stimme des damaligen Vorsitzenden Prof. Dr. Bernd Schröder) hat sich mittlerweile für die Idee geöffnet und den Studien­gang etabliert.

 

 

Konzentration auf das Grundlegende

Friedrich Schleiermacher sah in seiner klassischen „Kurzen Darstellung des theologischen Studiums“ (1811) den praktischen Zweck der Theologie in der Befähigung zur Kirchenleitung, womit er die Ausübung des Pfarramts meinte: „Je mehr jemand praktisch sein will, um desto universeller muß er sein als Theologe.“5

Auch für heute ist Schleiermachers Ansicht wichtig: Ein praktischer Geistlicher muss vor allem das Allgemeine der Theologie beherrschen und darf kein Gelehrter nur innerhalb eines Spezialgebietes sein. Die Quasi-Universalität, die Pfarrpersonen abverlangt wird, drückt die praktische Theologin Isolde Karle so aus: Pfarrer*innen sind professionelle Generalist*innen mit theologischer Kompetenz.6

Durch das Studium der Bibel in ihren Ursprachen Hebräisch und Griechisch wird die theologische Kompetenz, das Allgemeine der Theologie, grundlegend vermittelt, somit wird mit dem weiterbildenden Master erfolgreich der Weg in den Pfarrberuf eröffnet. Dabei wird der bereits zurückgelegte Berufsweg der Masterstudierenden als wertvolles Element in der Pluralität betrachtet. Die vorherige berufliche Praxis wird wertschätzend in das Studium und damit in den späteren Beruf integriert. Selbst wer den Weg in die Wissenschaft einschlagen will, kann das mit dem Master „Theologische Studien“ im Hintergrund schaffen, auch wenn das nicht der Regelfall ist.7

Im Vergleich zum grundständigen Magister Theologiae erscheint der weiterbildende Masterstudiengang „Theologische Studien“ stark verkürzt. Man muss jedoch die mindestens dreijährige Bachelorausbildung in einem anderen Fach und die fünf Jahre Berufspraxis mit einberechnen, was insgesamt mindestens zehn Jahre bis zum Vikariat ergibt; von einem „Schnellverfahren“ kann wahrlich keine Rede sein. Der Master „Theologische ­Studien“ umfasst Einführung, Methodenerwerb und Vertiefung in allen sechs Teildisziplinen (Altes Testament, Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Praktische Theologie und Interkulturelle Theologie), sodass die theologischen Grundinhalte vermittelt und angewandt werden. Hebräisch und Griechisch werden auch in diesem Studium auf einem solchen Niveau gepflegt, dass die Quellenarbeit an den Urtexten verantwortlich geleistet werden kann.8 Überblicksvorlesungen, Proseminare und Hauptseminare in allen Disziplinen der Theologie sind aber das Grundgerüst. Insofern unterscheidet sich dieser Bildungsweg nicht grundlegend von den Anforderungen des Magister Theologiae. Eine Vertiefung und Spezialisierung, wie sie der Wahlbereich des Magisters ermöglicht, nehmen viele Masterstudierende auf freiwilliger Basis wahr. Dazu gibt ihnen das große Angebot der Theologischen Fakultät Heidelberg wunderbare Möglichkeiten.

 

 

Die Besonderheit des Masters

Um es nochmals ganz deutlich zu profilieren: Die Besonderheit des Heidelberger Masters ergibt sich aus der Tatsache, dass die Studierenden am regulären Betrieb der Fakultät teilnehmen. Ein theologisches Studium lebt auch vom persönlichen Austausch und von den Debatten innerhalb der Fakultät. Insofern geht etwas verloren, wenn Studierende nicht mit verschiedenen Menschen im Bereich der Universität in Kontakt kommen. Die Form des Präsenzstudiums im regulären Semesterbetrieb stellt vor Probleme wie Wohnung und Verdienst, bietet aber auch sehr große Vorteile über die Seminardiskussionen hinaus. Die Masterstudierenden gewinnen am Alltag und Leben der Fakultät und der Stadt Heidelberg regen Anteil.

Die Wissenschaftlichkeit des Studiums ist bereits durch die universitäre Vorerfahrung der Studierenden gewährleistet. Wer ein Studium erfolgreich abgeschlossen hat, bringt im Prinzip die nötigen Kompetenzen für ein erneutes Studium mit. Den Masterstudierenden wird das an der Fakultät herrschende hohe Niveau wie den übrigen Studierenden der gesamten Fakultät zugemutet – das Studium ist anspruchsvoll und herausfordernd. Die obligatorischen Proseminare führen in die jeweilige Methodik des Faches ein. Das selbstständige theologische Denken wird in den Hauptseminaren geschult. Durch die Seminararbeiten werden Methoden und theologische Kompetenzen gefestigt.

 

 

Zusätzlich gibt es Sonderveranstaltungen, die ausschließlich für diese Gruppe konzipiert wurden: „Hermeneutik der beruflichen Praxis“ und „Methodenreflexion“. Dabei soll die Berufserfahrung der Studierenden aufgegriffen und fruchtbar gemacht werden. Die Übung „Hermeneutik der Berufspraxis“, die dreimal besucht wird, soll – von verschiedenen Fachvertreter*innen unterrichtet – der theologischen Reflexion der bisherigen Berufserfahrung dienen. Die „Methodenreflexion“ ist einmal in einem exegetischen und einmal in einem nicht-exegetischen Fach zu belegen. Mit diesen Übungen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Masterstudierenden bereits viel Erfahrung in anderen beruflichen Bereichen mitbringen. Diese Erfahrung soll in ihr theologisches Studium gewinnbringend integriert werden. Dabei entstehen oftmals spannende Querverbindungen und Wechselwirkungen.

Da sie ein fester Bestandteil im regulären Lehrbetrieb sind, stehen ihnen dieselben Möglichkeiten wie allen anderen Studierenden an der Fakultät offen. Die Studierenden und Lehrenden der Theologischen Fakultät Heidelberg erfahren den Quereinstiegsmaster überwiegend als Bereicherung.

 

Die Vielfalt der Gaben – ein Reichtum der Kirche

Unterschiedliche Fähigkeiten und Erfahrungen bereichern eine jede Gemeinde. Warum also nicht auch die Vielseitigkeit der Pfarrpersonen? Für eine Gemeinde ist es sicherlich ein Gewinn, wenn die Pfarrerin auch Informatikerin ist oder der Pfarrer früher als Lehrer gearbeitet hat. Durch die theologische Reflexion der eigenen Berufslaufbahn im Studium, können diese Fähigkeiten und Erfahrungen in die Arbeit mit der Gemeinde oder in die Führung des Pfarramts integriert werden.

Die Vorbehalte, die die Landeskirchen zu Beginn gegenüber den weiterbildenden Masterstudiengängen Theologie hatten, sind jetzt endlich verflogen. Wohl auch weil klar geworden ist, wie bereichernd die Quer­ein­steiger*­innen für die Kirche sind.9

 

 

Der Heidelberger Master – ein vollwertiges Theologiestudium

Seit 2013 gibt es den Heidelberger Master „Theologische Studien“. Die dargelegten positiven Resonanzen von Seiten der Kirchenleitungen und die vielen Absolvent*innen, die freudig ihren Dienst aufgenommen haben, erzählen eine Erfolgsgeschichte. Gerade für das Heidelberger Modell treffen die anfänglichen Vorbehalte nicht zu. Unser Master „Theologische Studien“ unterscheidet sich stark von anderen Quereinstiegsangeboten. Er ermöglicht eine fundierte theologische Ausbildung und garantiert ein hohes wissenschaftliches Niveau.10

 

 

Anmerkungen

1 Weitere Informationen zum Studiengang auf der Homepage der Theologischen Fakultät Heidelberg: https://www.theologie.uni-heidelberg.de/de/studium/studiengaenge/theologische-studien.

2 Die meisten anderen Angebote bilden die Masterstudierenden in eigenen Kursen aus. Dadurch bleiben sie „unter sich“ und eine Integration in den Fakultätsbetrieb unterbleibt.

3 Zur Schaffung von verbindlichen Regelungen und zur Herstellung einer gewissen Vergleichbarkeit gilt seit Oktober 2018 eine vom Evangelisch-Theologischen Fakultätentag erarbeitete und von der EKD beschlossene Rahmenstudienordnung für alle Theologischen Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen. Abrufbar unter: https://www.kirchenrecht-ekd.de/pdf/43469.pdf, letzter Zugriff am 19.12.2023.

4 Scharfe Kritik, die jedoch das Spezifikum des Heidelberger Masters verkennt, kam beispielsweise von Michael Beintker, Theologie im Schnelldurchlauf, 30.08.2020, abrufbar unter: https://www.faz.net/-gyl-a2htm, letzter Zugriff am 19.12.2023.

5 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Kritische Gesamtausgabe, Erste Abteilung: Schriften und Entwürfe, Bd. 6: Universitätsschriften. Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums, Berlin/New York 1998, 251f.

6 Vgl. Karle, Isolde, Was heißt Professionalität im Pfarrberuf?, DPBl l/1999, 5-9.

7 Den Beweis dafür hat Thomas Kaebel geliefert; er hat nach dem Master-Studium als erster – natürlich auch auf der Basis seines vorherigen Studiums der Altphilologie und seiner langjährigen Erfahrung als Studienrat – im Alten Testament sehr erfolgreich promoviert: Ders., Julius Wellhausens Göttinger Licentiaten-Promotion von 1870 (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Bd. 544), Berlin/New York 2022.

8 Ehrlichweise muss man aber sagen, dass diese Anforderung im Rahmen der vier Semester nicht geleistet werden kann; die meisten Studierenden brauchen dafür ein bis zwei Semester länger. Die Sprachen und Bibelkunden gelten, wie beim Mag. Theol., als Studienvoraussetzungen.

9 Jedoch ist der Weg zur vollkommenen Integration der Quereinsteiger*innen in die Kirche noch nicht geschafft. Den Außenseiterstatus beschreibt der Artikel in der SZ von Joachim Görres, „Als Quereinsteiger ist man oft in theologischen Kreisen ein Outsider“, 16.03.2021, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/karriere/pfarrer-studium-kirche-1.5220931, letzter Zugriff am 19.12.2023.

10 Die Übernahme ins Vikariat erfolgt mittlerweile bei allen Gliedkirchen der EKD. Manche behalten sich eine eigene Prüfung vor der Übernahme vor.

 

Über die Autorin / den Autor:

Lisa Deininger M.A., Jahrgang 1994, Studium der Evang. Theologie in Erlangen und Heidelberg, 2021 Erstes Kirchliches Examen, derzeit Promotion im Fach Neuere Kirchengeschichte.

 

Prof. Dr. Manfred Oeming, Jahrgang 1955, seit 1996 ordentlicher Professor für Alttestamentl. Theologie an der Universität Heidelberg und derzeit Prodekan der Theol. Fakultät; wiss. Schwerpunkte: Hiob, Psalmen, zwischentestamentliche Literatur, christlich-jüdischer Dialog, Durchführung eines archäologischen Ausgrabungsprojekts in Israel (Lautenschläger Azekah Expedition). Den Master Theologische Studien begleitet Manfred Oeming als verantwortlicher Professor seit seiner Entstehung, an der er maßgeblich beteiligt war. Er ist Mitglied des Zulassungsausschusses des Masterstudiengangs und unterstützt den Studiengang auf vielfältige Weise.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 2/2024

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