Quedlinburg, 23.9.2019 (cf). In seinem Vorstandsbericht vor der Mitgliederversammlung des Verbandes evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V. am 23.9.2019 in Quedlinburg stellte der Vorsitzende des Verbandes, Pfarrer Andreas Kahnt (Westerstede), die Zukunft des pfarramtlichen Dienstes in den Vordergrund. Dabei setzte sich Kahnt mit der sog. "Freiburger Studie" auseinander, der langfristigen Projektion der Kirchenmitglieder und des Kirchensteueraufkommens der Universität Freiburg, die unter dem Titel "Kirche im Umbruch - Projektion 2060" von der EKD im Jahr 2019 vorgestellt wurde und die im Ergebnis in beiden Bereichen im Jahr 2060 etwa eine Halbierung erwartet.

Die Kirche zukunftsfähig machen zu wollen, sei ein Widerspruch in sich, so Kahnt. "Denn die Kirche erhält ihre Zukunft allein aus dem Willen Gottes. Sie kann nicht ‚gemacht‘ werden, auch nicht ‚gestaltet‘. Sie kann aber dankbar angenommen und mit dem gefüllt werden, was ihr von Christus gegebener Auftrag ist: Mit der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat." sagte der Vorsitzende in Quedlinburg.

Kahnt warnte davor, auf Prognosen zu vertrauen: "Vorsicht also mit Prognosen, auch wenn sie als ‚Projektionen‘ daherkommen. Die sind schwierig. Denn sie haben mit der Zukunft zu tun. Von der weiß kein Mensch, wie sie aussehen wird. Hochrechnungen über Jahrzehnte hinaus, Szenarien anhand von Zahlen ohne belastbare Grundlage, irrlichternde Vorschläge, die vermeintlich die Kirche ‚zukunftsfähig‘ machen: Das alles führt vor allem zu Verunsicherung und Lähmung. Mit Mehrjahresplänen haben andere schon Schiffbruch erlitten", so Kahnt. Wenn es in der Freiburger Studie allerdings um die zukünftige Organisation von Kirche gehe, so enthalte die Studie brauchbare Vorschläge. Hier gelte es mit Bedacht darüber nachzudenken, was die Kirche braucht, um ihrem Auftrag gerecht zu werden, so Kahnt. Allerdings dürfe dann die Frage nicht lauten: "Was können wir uns noch leisten?" Sondern sie muss lauten: "Was brauchen wir, um Kirche Jesu Christi mitten unter den Menschen zu sein?", sagte Kahnt vor den Delegierten.

Pfarrstellenabbau fördert Erschöpfung, Depression und Burnout / Kirchen im Negativstrudel / Nähe der Menschen suchen

Die Tendenzen hinter der Freiburger Projektion seien nicht neu, so Kahnt. Die Mitgliederzahlen gingen schon lange zurück. Ein Rückgang bei den Einnahmen indes würde bisher nur behauptet. Dennoch seien mit dieser Behauptung der teils massive Abbau von Pfarrstellen begründet und den Pfarrerinnen und Pfarrern zunehmend Mehrarbeit zugemutet worden. Und das, obwohl inzwischen hinsichtlich Erschöpfung, Depression und Burnout nachweislich ein Drittel der Pfarrerinnen und Pfarrer zur Risikogruppe und 13% zur Hochrisikogruppe gehörten, referierte der Vorsitzende. Kahnt wörtlich: "Da, wo Kirchenbindung erfolgreich wirken kann, wird seit Jahren gekürzt. Oder noch anders gesagt: Die Kirchen trauen der Kommunikation des Evangeliums für den Glauben der Menschen, für ihre Lebensfragen und für ihre Zugehörigkeit zur Kirche nichts zu. Damit fördern sie aber genau das, wogegen sie nach Meinung der Autoren der Freiburger Studie angehen sollen." Wenn nun trotz der Freiburger Studie weiter beim Pfarrdienst gekürzt werden sollte, verstärke sich der längst sichtbare Negativstrudel, in den die Kirchen sich hineinmanövriert hätten, so Kahnt in Quedlinburg. Ihr ohnehin ramponiertes Image werde weiterhin geschädigt. "Die Freiburger Studie ist ein Auftrag an die Kirchen, ihre fehlgeschlagenen Versuche zu überdenken, mit denen sie meinten, ‚zukunftsfähig‘ werden zu können", erklärte Kahnt. Die Studie ermutige dazu, genau da aktiv zu werden, wo die Kirche immer wirksam war: In den Gemeinden und anderen kirchlichen Orten nah bei den Menschen.

Wichtiges Thema der Zukunft: Gesundheit im Pfarramt

Im Jahr 2017 hat sich der Verband daran beteiligt, ein "Netzwerk Gesundheit im Pfarramt" zu gründen, berichtete Kahnt. Um den Kirchen auf die Sprünge zu helfen, würden seit 2018 Fachtage vom Netzwerk durchgeführt. Gedacht seien sie als Angebot für Kirchenleitungen, zum Thema Pfarramt und Gesundheit zusammen zu kommen, sich auszutauschen, Beispiele erfolgreicher Maßnahmen kennenzulernen. Leider seien aber kaum welche gekommen, so Kahnt. Auch die Anregungen durch das Netzwerk, das Thema in den Konferenzen der Personalverantwortlichen und Dienstrechtler der EKD aufzugreifen, zeigten bislang keinen Erfolg. Präsent hingegen seien auf den Fachtagen die Ebene der Personalentwicklung, die mittlere Ebene und die Pfarrvertretungen. Resümierend stellt Kahnt fest: "Es drängt sich der Gedanke auf, dass das Thema seitens der Kirchen verschleppt wird. Das wäre aber sträflich angesichts von Krankenstand, vorzeitiger Pensionierung aufgrund von Dienstunfähigkeit und Nachwuchswerbung."

Als Beispiel verwies Kahnt auf die Forderung des Verbandes, in den Kirchen die weltweit gültigen Standards bei der Inklusion umzusetzen und zum Beispiel Pfarrerinnen oder Pfarrer für die Schwerbehindertenvertretung freizustellen und mit den notwendigen finanziellen und rechtlichen Ressourcen auszustatten. Dagegen würde meist der zu große finanzielle Aufwand ins Feld geführt. "Was aber der Betrieb an der Ecke einzuhalten hat, davor kann doch ausgerechnet die Kirche sich nicht drücken", sagte Kahnt vor der Mitgliederversammlung.

Gesetz zur Flexibilisierung des Ruhestands

Ausführlich nahm der Vorsitzende zu Bemühungen der EKD Stellung, den Eintritt in den Ruhestand von Pfarrerinnen und Pfarrern hinauszuschieben oder aus dem Ruhestand heraus sich in ein geordnetes Pfarrdienstverhältnis reaktivieren zu lassen. Seit einigen Jahren sei es in den Gliedkirchen der EKD, die § 87 Abs. 4 des Pfarrerdienstgesetzes der EKD anwenden, möglich, Dienst über die Ruhealtersgrenze hinaus zu tun. Mit dem Gesetz zur Flexibilisierung des Ruhestandes werden nun Regelungen vorgelegt, die erreichen sollen, die unterschiedlichen Verfahrensweisen in den Kirchen zu vereinheitlichen und für die Beteiligten rechtssicher zu gestalten. Der Verband begrüße die damit angestrebte Transparenz der Verfahren beim Hinausschieben des Ruhestandes respektive der Rückkehr aus dem Ruhestand in einen geordneten Dienst, so Kahnt.

Allerdings lege der Verband großen Wert auf die im Gesetzentwurf erwähnte Feststellung, dass die Regelungen nicht die gültige Ruhealtersgrenze aufheben, sondern lediglich eine Ausnahme für Pfarrerinnen und Pfarrer, die länger Dienst tun wollen, darstellen. "Es muss weiterhin rechtlich gesichert sein, grundsätzlich mit dem Eintritt in den Ruhestand nach geltendem Recht die gleiche Versorgungshöhe wie bisher zu erreichen!" forderte Kahnt. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Altersgrenze von 75 Jahren lehne der Verband ausdrücklich ab! Diese Zahl sende ein verheerendes Signal in die gesamtgesellschaftliche Diskussion um längere Lebensarbeitszeit.

Zudem gebe es bisher kaum Erfahrungen mit Dienst über die Ruhealtersgrenze hinaus. Im Gegenteil: Nicht wenige Pfarrerinnen und Pfarrer würden vorzeitig aus dem Dienst treten, nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen. Außerdem gebe es kaum Konzepte seitens der Kirchen, wie Pfarrdienst im zweiten Teil des siebten Lebensjahrzehnts strukturell und gesundheitlich unschädlich ausgeübt werden könnte.

In seiner Stellungnahme zum Gesetz betone daher der Verband, dass am gültigen Ruhealter von in der Regel 67 Jahren festzuhalten ist und Pfarrerinnen und Pfarrer nach geltendem Recht aus dem Dienst scheiden können. Hinsichtlich der nicht unerheblichen Zahl von vorzeitigen Pensionierungen aus gesundheitlichen Gründen fordert der Verband die Ermöglichung von Altersteilzeit in Verbindung mit Dienst jenseits der Regelaltersgrenze. Darüber hinaus fordert der Verband, Maßnahmen zu ergreifen, die es ermöglichen, das gültige Ruhealter im Dienst überhaupt zu erreichen. Gerade in Kirchen, in denen kaum oder keinerlei Maßnahmen zu altersgerechtem Arbeiten ergriffen worden sind, geraten Gesundheit und Motivation im Dienst unter Druck, so Kahnt. Das habe unmittelbar Rückwirkungen auf das Bild von Kirche und die Suche nach theologischem Nachwuchs.

Forderung: Unfreiwilligen Teildienst bei Berechnung des Ruhestands als Dienst in Vollzeit behandeln

Kahnt forderte Rechtssicherheit bei der Frage des Umgangs mit Pfarrerinnen und Pfarrern, die zu Beginn ihrer Dienstzeit unfreiwillig und zu Unrecht nur mit einem halben Auftrag in den kirchlichen Dienst übernommen wurden. Den Betroffenen als Kompensation nun anstatt einer ernstzunehmenden Anerkennung Dienst über die Regelaltersgrenze hinaus anzubieten, sei, so Kahnt wörtlich: "zynisch". Selbst ein längerer Dienst könne die fehlenden Jahre für eine volle Versorgung nicht in jedem Falle ausgleichen. Die Betroffenen hätten am Beginn ihrer Dienstzeit keine Wahl gehabt. Deshalb fordert der Verband alle betroffenen Kirchen erneut auf, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und die Jahre im unfreiwilligen Teildienst unbürokratisch bei der Berechnung des Ruhegehalts so zu behandeln, als sei Dienst in Vollzeit getan worden, forderte Kahnt vor der Mitgliederversammlung.

Berufsbild Pfarrer / Pfarrerin – Sieben Positionen für die theologische Ausbildung

Angesichts des sich wandelnden Berufsbildes Pfarrer / Pfarrerin sei verstärkt zu fragen: Welche Pfarrerinnen und Pfarrer brauchen wir zukünftig in einer Kirche und Gesellschaft, die vielfältiger wird und in der es gleichzeitig an Nachwuchs mangelt? Hinzu komme die Frage, welche Kompetenzen und theologischen Qualifikationen eine Pfarrerin, ein Pfarrer in Zukunft haben müsse, so Kahnt. Auch die Frage nach der Gestaltung der Aus- und Weiterbildung müsse in den Mittelpunkt treten. Kahnt formulierte sieben Positionen des Verbandes für die theologische Ausbildung:

"1. Das Berufsbild wird sich in nächster Zeit stark verändern. Umso wichtiger sind Persönlichkeiten im Pfarrberuf. Studierende sollen theologisch urteilsfähig werden.

2. Die alten Sprachen helfen dabei. Sie öffnen neue, spannende, historisch, theologisch und existentiell bedeutsame Räume.

3. Studierende sollen sich zunächst nicht um das Berufsbild Pfarrer/Pfarrerin kümmern, sondern unbekümmert in die Theologie eintauchen, und zwar möglichst tief, zumindest exemplarisch.

4. Studierende sollen dabei ihre Charismen nicht verlieren. Im Gegenteil: Ihre Charismen sollen von Lehrenden individuell und kritisch gesehen und gefördert werden.

5. Wer den Pfarrberuf ergreift, soll nicht unzählige Kompetenzen mitbringen oder entwickeln müssen, sondern sich im Tun bewähren dürfen. Man soll die jungen Leute machen lassen, sie dabei aber nicht alleinlassen.

6. Wenn von Studierenden erwartet wird, dass sie sich den digitalen Möglichkeiten im Pfarrberuf in zeitgemäßen Formen widmen, werden sie andere, zumal hergebrachte Inhalte allerdings nicht bedienen können. Darüber darf sich dann niemand beschweren. Alles geht nicht.

7. Nicht jede Pfarrerin, nicht jeder Pfarrer passt in jede Gemeinde. Und anders herum: Nicht jede Gemeinde passt zu ihnen. Wenn es gut läuft, werden sensible, sorgfältig nachdenkende Menschen mit ihnen zusammen finden, was weitgehend passt."