Vor Jahren, es mag an die zwanzig Jahre her sein, erzählte Bischof Lohse, damals Ratsvorsitzender der EkiD, einmal folgende Geschichte:

Eine Delegation amerikanischer Kirchenmänner besuchte auch die Universität Göttingen in ihrer theologischen Fakultät. Voller Stolz zeigten die Göttinger Theologieprofessoren das neuerrichtete und neueingerichtete Göttinger theologische Seminar. Die amerikanischen Gäste waren voller Bewunderung ob des vorzüglich organisierten und ausgestatteten Seminars. Plötzlich die Frage eines der Gäste an Bischof Lohse: »And what about the spiritual life of your students?«

Ich stelle mir den Schreck von Bischof Lohse vor. Was sollte der Arme antworten? An amerikanischen Hochschulen gibt es selbstverständlich eine Kapelle: Für Gottesdienste, für Andachten, für einen persönlichen »stillen Augenblick« - aber an deutschen Universitäten? Wer käme auf den Einfall, einem neuerrichteten und neueingerichteten theologischen Seminar einen Andachtsraum anzufügen?

Die kleine Geschichte ist exemplarisch und symptomatisch: Sie zeigt, daß es nicht gut bestellt ist um die Übung und Pflege und das Leben des persönlichen Glaubens unter unseren deutschen Theologiestudenten und Vikaren.

Bei uns Pastoren wird es kaum besser sein!

Seit Jahren beobachte ich in dieser Hinsicht unsere Pfarrconvente. Ich beziehe mich jetzt auf den Pfarrconvent, den ich seit Jahrzehnten kenne, so daß ich mir einen gewissen Überblick zugute halten darf. Vor vielleicht 25 Jahren haben wir anstelle einer »Andacht« ein »Bibelgespräch« eingeführt. Ein gemeinsames Gespräch über einem biblischen Wort, zu welchem ein Amtsgeschwister eine kurze Einführung gab. Dies Gespräch hatten wir ursprünglich »zweckfrei« gedacht: Als ein Stück Seelsorge an unserer eigenen (Pastoren-)Seele. Ganz allmählich, noch zu meiner Zeit als Superintendent, wandelte sich der Charakter dieses Gespräches: Aus einem »zweckfreien« Gespräch zur Seelsorge an der eigenen Seele wurde ein zweckgebundenes Gespräch: Es bürgerte sich ein, jeweils den Predigttext vom folgenden Sonntag vorzunehmen; gelehrte, lehrreiche, ausführliche Exegesen wurden geboten, und es gab und gibt fruchtbare Gespräche - aber alle funktional ausgerichtet auf die Aufgabe der Predigt, alles unter der Frage: Was kann ich aus dem Text gewinnen für meine Predigt, die ich am kommenden Sonntag zu halten habe?

Daß auch die eigene (Pastoren-)Seele einmal - und sogar ganz besonders! - Zuspruch und Tröstung und Stärkung und auch Mahnung und Weisung braucht, ist völlig aus dem Blick geraten.

Es ist nur folgerichtig, daß das Gebet aus unserem Pfarrconvent ausgewandert ist, es existiert eigentlich nur noch in der Segensbitte.

Vor Jahren kehrte ein Amtsbruder unserer Klasse aus Ghana zurück. Er berichtete: Ein Pfarrconvent ohne intensives Gebet wäre in Ghana undenkbar!

»What about the spiritual life of your students?« - ich fürchte, das ist eine Frage, so unzeitgemäß sie sein mag, an der sich, zumindestens ein entscheidendes Stück weit, Leben und Zukunft nicht nur unserer Pfarrerschaft, sondern unserer Gemeinden und unserer Kirche entscheiden.

Es ist lange her, es war in meiner Vikarszeit, da kam ich, im Predigerseminar in Wuppertal, in der »Mainzerstraße«, auf das Zimmer eines unserer begabtesten und klügsten Vikare - er war schon älter und hatte den Krieg noch mitbekommen. Auf seinem Schreibtische sah ich eine Karte aufgestellt mit einem Gesangbuchvers, den ich sofort auswendig lernte, und den ich seitdem nie mehr vergessen habe:

 

»In meinem Studieren

wird Er mich wohl führen

und stehen bei mir,

wird schärfen die Sinnen

zu meinem Beginnen

und öffnen die Tür.«

 

Da ist beides, was ein Theologe braucht, da ist es miteinander verbunden: Die Erinnerung an die Notwendigkeit intensiver Verstandesarbeit mit »scharfen Sinnen« - und gehörigem Fleiß -; aber das alles in der Gewißheit, daß im Letzten und zum Letzten Gottes Geist selber die Türen öffnen muß - und öffnen wird, wenn denn ein » verbi divini minister« sich ernstlich in Hören und Beten in persönlicher Frömmigkeit darauf ausrichtet.

Und dann braucht auch Bischof Lohse keinen Schreck mehr zu kriegen!

 

Pfr. i.R. Walter Stock

Finkenweg 34

32694 Dörentrup-Hillentrup

 

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 1/2001

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