Ende 2019 feiert die literarische Welt den 200. Geburtstag Theodor Fontanes (*30.12.1819). Der Dichter zeichnet sich durch eine ausgesprochen präzise und feinsinnige Beobachtung und Beschreibung gesellschaftlicher und milieubezogener Verhältnisse aus und stellt damit eine unerschöpfliche Fundgrube für historische Recherchen dar – auch für das Bild des Pastors im 19. Jh. In einer lockeren Reihung präsentiert Reiner Strunk »Fontanes Pastoren« quer durch sein Œuvre.

»Trotz ihrer enormen Fehler bleiben märkische Junker
und Landpastoren meine Ideale, meine stille Liebe.
Aber wie wenig geschieht, um diese wundervollen
Elemente geistig standesgemäß zu vertreten.«

(Theodor Fontane, Brief an seine Frau Emilie vom 10. Juni 1884)

Lorenzen, natürlich

Wenn die Rede auf Theodor Fontane und auf Pastoren seiner Romane kommt, gerät sofort Lorenzen aus dem Stechlin ins Blickfeld1: der Pastor in lebhaften Gesprächen mit seinem Patronatsherrn, den er am Ende mit einer bewegenden und für Fontanes eigene Anschauung vom christlichen Leben aufschlussreichen Beerdigungsansprache verabschiedet und ehrt. Lorenzen dürfte die Pastorengestalt in Fontanes Werk sein, sogar die »eindrucksvollste Figur des Geistlichen, die im deutschen Roman des 19. Jahrhunderts dargestellt wurde«, wie Fritz Martini urteilte2, die einzige ist es aber keineswegs. Bei weitem nicht. Kaum ein Roman, in dem Fontane keinen Pastor auftreten ließe und sei es auch, mit spitzem Karikaturenstift hingesetzt, eher am Rande.

Dass er mit Frau Jenny Treibel einen Gesellschaftsroman ganz ohne Pastoren vorgelegt hat, ist deshalb eher die Ausnahme und sehr bezeichnend dazu. Denn hier bewegt sich Fontane ausschließlich im Berliner Milieu, das sich von der Kirche mit ihren Pastoren entfernt und eine säkulare Stadtkultur entwickelt hat. Ähnlich verhält es sich bei Irrungen, Wirrungen, jener sensiblen Liebesgeschichte zwischen einem jungen Baron und einer kleinen Näherin, die die Standesverlogenheit und obendrein die ganze Prüderie der Berliner Gesellschaft in den achtziger Jahren aufdeckt und prompt bei Publikum und Presse auf heftige Ablehnung stieß. Peter von Matt meint, es sei »Fontanes vielleicht vollkommenster Roman, vollkommen in dem Sinne, dass alles mit einer tranceartigen Sicherheit leicht und richtig an seinen Platz gerückt erscheint«3. Einen Vergleich mit Effi Briest braucht dieser Roman also nicht zu scheuen, auch wenn er, anders als dort, auf Schlüsselszenen mit einem Pastoren verzichtet.


Eine Welt in Auflösung

Bei den meisten seiner Romane liegen die Dinge jedoch anders. Sie spielen gern auf dem Lande, in Dörfern der alten Mark Brandenburg oder im Harz und auf den Gutshöfen märkischer Junker. Dubslav im Stechlin ist Patronatsherr seiner Kirchengemeinde und damit auch des evangelischen Pastorats. Diese ländlichen Lebensverhältnisse haben Reste des Idyllischen bewahrt, wie Fontane sie in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg entdeckt und geschildert hat, nicht zuletzt nach Besuchen in dortigen Pfarrhäusern.

Doch selbst wenn diese Idylle nicht vollständig verschwunden ist, zeigt sie sich zunehmend in Auflösung begriffen. Seit der napoleonischen Ära und seit den Befreiungskriegen ist die ständische Welt mit ihren patriarchalischen Ordnungen ins Wanken geraten. Die Adelsherrschaft, bisher das Rückgrat des gesellschaftlichen Lebens in Preußen, muss ums nackte Überleben ringen und kränkelt zugleich am Schwund des eigenen Selbstbewusstseins, und die verfasste Patronatskirche leidet zwangsläufig an allen Krisenerscheinungen mit.

Grob skizziert bietet diese Problemlage den Rahmen, in welchem Fontane seine Gesellschaftsromane ansiedelt und nun auch seine Pastoren porträtiert. Es ist eine Zeit der Umbrüche. Altes verliert an Gewicht, auch wo es noch vorhanden bleibt. Neues wetterleuchtet am Horizont, ohne Klarheit zu schaffen, wie es denn einmal aussehen wird. Dies galt gleichermaßen für die politischen wie für die kirchlichen Verhältnisse.


Echtes und verkehrtes Christentum

»Angstchristentum« und »Schablonenchristentum« sind zwei ironische Begriffsbildungen, die Fontane in seinem Debutroman Vor dem Sturm verwendet. Sie signalisieren, dass es ihm nicht allein um pastorale Charaktertypen, sondern auch um die Unterscheidung zwischen echtem und verkehrtem Christentum gegangen ist.

Beim »Angstchristentum« handelt es sich um eine Fehlform, die Pastor Seidentopf witzig und prägnant erläutert: ein »tapferes Bekenntnis des Unglaubens«, meint er, »sei ihm viel, viel lieber als das Angstchristentum beispielsweise Baron Pehlemanns, der bei jedem Gichtanfall begierig nach der Bibel greife und sie wieder zuklappe, wenn der Anfall vorüber sei« (528). Ein Christentum, bei Bedarf in Anwendung gebracht wie ein spirituelles Hausmittel ist nicht das, was Pastor Seidentopf vorschwebt. Denn so wird es instrumentalisiert für ein privates Wohlbefinden, als schmerzlindernde und bekömmliche Medizin, die immer zur Verfügung steht und nichts kostet.

Einem rein selbstbezogenen »Angstchristentum« steht nun ein »Schablonen-christentum« gegenüber, das laut Pastor Seidentopf auch »nicht besser« ist (531). Heruntergekommen zu einer Abfolge von Formalitäten ergeht es sich in religiösen Sprachmustern und in inhaltlichen Klischees, die abgespult werden, ohne etwas zu sagen oder gar zu bewirken. Seidentopf kreidet es seinem Amtsbruder in der Groß-Quirlsdorfer Kirche an, dass er den offen unfrommen General Bamme »mit seinem Schablonenchristentum (aus der Kirche) herausgepredigt« habe – den General Bamme ausdrücklich und sicher andere in schweigendem Einvernehmen dazu.


»Es geschieht etwas«

Vor dem Sturm war Fontanes Erstling, ein Roman von epischer Breite in vier Bänden, der in mancher Beziehung mit dem Spätwerk des Stechlin verglichen werden kann, ohne schon dessen literarisches Niveau erreicht zu haben. Minutiös werden aber jetzt bereits die Gesellschaftsbilder gestaltet, oft farbige Miniaturen aus der märkischen Welt, und Charakterstudien betrieben, die sich vorzugsweise in aparten Gesprächsszenen niederschlagen. Das wird Jahrzehnte später im Stechlin nicht anders sein. Auch ein unübersehbarer Mangel an Handlung und damit an handlungsgeleiteter Spannung verschwistert die zwei Romane am Anfang und am Ende der Schaffensperiode des Dichters. Fontane kann das selbstironisch bereits in Vor dem Sturm unterstreichen, wenn er das 14. Kapitel im II. Buch (immerhin nach einem Drittel des Ganzen) mit der verblüffenden Überschrift versieht: »Es geschieht etwas« (222).

Natürlich geschieht auch vorher schon etwas: es wird Weihnachten gefeiert, und zwar ausgiebig. Es werden Besuche gemacht, Gespräche geführt – und bei alledem wird das Leben auf einem märkischen Gut samt Anwohnern auf dem Land ringsum belauscht und in einer Skizzenfülle festgehalten. Die Geschichtszeit wird exakt bestimmt, ein paar Wochen im Winter 1812/13, Zeit wachsenden Befreiungsdrangs aus Napoleons Umklammerung, und die Gelegenheit scheint günstig nach dessen militärischem Desaster vor Moskau und einem ungeordneten Rückfluten seiner Truppen durch preußisches Gebiet. Da gibt es viel an Stimmen und an Stimmungen einzufangen, und Fontane tut es, fünfzig Jahre nach den historischen Ereignissen und in einem gesellschaftspolitischen Umfeld, das sich seitdem verändert hat.

Befreiung also ist Wunsch und Thema, aber der preußische König zögert mit dem Angriff, so dass Berndt von Vitzewitz, der alte Gutsherr von Hohen-Vietz, sich zusammen mit Standesgenossen veranlasst sieht, die Zügel selber in die Hand zu nehmen und eine Attacke gegen die französische Einheit in Frankfurt/Oder zu reiten. So »geschieht« denn etwas, aber was da politisch geschieht, bildet doch mehr die Kulissen im Hintergrund als die Bühne im Scheinwerferlicht. Genau hier spielen vielmehr die kleinen Szenen, die lokalen, familiären, provinziellen Tagesereignisse, nicht die großen historischen Bewegungen der Geschichtsbücher. Und bei diesen kleinen Szenen finden nun auch die Pastoren mit ihren persönlichen Eigenheiten, ihrem Lebensgefühl und ihren Amtspflichten aufmerksame Beachtung.


Ein Pastor als Hobby-Archäologe

Seidentopf ist Pastor an der Hohen-Vietzer Dorfkirche, seinem Patron von Vitzewitz unterstellt, mit dem ihn aber eine persönliche Freundschaft verbindet. Fontane betont das ausdrücklich (42), und zwischen Dubslav und Lorenzen wird es sich später im Stechlin ähnlich verhalten. Der Regel entsprach dies jedoch keineswegs. Die Standesunterschiede waren groß und eigentlich, etwa auf dem Gebiet von Eheschließungen, schier unüberwindlich. Der Pastor war trotz geistlicher Würde von gesellschaftlich niederem Rang, und das zeigte sich schon bei seinem Amtssitz, einem bescheidenen Bau im Vergleich zu den Bauernhöfen ringsum und zum Gutshof erst recht. Was ihn dagegen auszeichnete, war sein Maß an Bildung und seine Befähigung zur Konversation. Das wussten Gutsherren gelegentlich zu schätzen, und Fontanes Adlige taten es oft, so wenig sie sich deswegen mit kritischen Auslassungen ihren pastoralen Gesprächspartnern gegenüber zurückhielten.

Die Leidenschaft, die Pastor Seidentopf, zumindest im Urteil mancher Dorfbewohner, bei seinen pastoralen Diensten und in seiner Frömmigkeit vermissen lässt, entwickelt er stattdessen auf anderem Gebiet: der heimischen Archäologie. Kirchlich besehen, so äußert sich Uhlenhorst, das geistige Haupt der »Konventikler«, sei Seidentopf »ein Halber, ein Lauwarmer«, wenn es sich aber »um Urnen und Totenköpfe« handle, beweise er die »Dogmenstrenge eines Großinquisitors« (86).

Natürlich ist Uhlenhorst Partei. Er reist als Erweckungsprediger umher, besucht und pflegt die Kreise der Bekehrten und zählt die pastoralen Amtsträger aus Prinzip zur Kategorie der »Lauwarmen«, die nach Apc. 3 allgemein gerichtet sind. Das ist eine der Pointen, die Fontane mit seinen biblischen Zitatanspielungen setzt, von denen es im Roman nur so wimmelt. Seidentopf ist für den Erweckungsprediger einfach der falsche Mann am falschen Platz. Wäre er Lehrer oder Forscher, gäbe es gegen seine fachliche Leidenschaft nichts einzuwenden. Als Pastor aber verfehlt er damit seinen Auftrag.


Anzeichen eines ideologisch aufgezäumten Nationalismus

Nun ist es freilich kein Zufall, dass Fontane seinem Pastor Seidentopf genau diese Forscher- und Sammlerleidenschaft zuschreibt, mit der er einen Teil seines Pfarrhauses buchstäblich in ein »heidnisches Museum« verwandelt habe (85). Er unterscheide sich nämlich »von der Armee seiner (Sammler-)Genossen« dadurch, dass er ein »Tendenzsammler« sei, der eine »Idee« verfolge. Und diese Idee ist von kulturgeschichtlicher und zugleich politisch aktueller Art. Denn Seidentopf erweist sich als bekennender Patriot, mit deutlichen Anzeichen eines ideologisch aufgezäumten Nationalismus.

Daran und an nichts anderem haftet, was Uhlenhorst seine »Dogmenstrenge« nennt. Es geht um seine Heimat, die Mark Brandenburg, und um den Nachweis, dass dieses Gebiet immer schon deutsch, weil ursprünglich germanisch, die wendische, also slawische Einwanderung dagegen nichts weiter als eine beiläufige Episode gewesen sei. Mit Justizrat Turgany, der umgekehrt die Theorie von einer ursprünglich wendischen Besiedelung des Landes vertritt, liefert Pastor Seidentopf sich hitzige Streitgespräche (95ff).


Gewagte Typologie

Seidentopfs wahre Leidenschaft kommt zum Zuge in der allgemeinen Aufbruch-stimmung vor den Befreiungskriegen. Das unterstreicht Fontane mit zwei Predigten, die er seinen Pastor halten lässt. Die erste, zu Beginn des Romans, ist eine Weihnachtspredigt. Die zweite, unmittelbar vor dem geplanten Überfall auf die in Frankfurt/Oder stationierten Franzosen, hat deutlicher den Charakter einer Kriegspredigt. In ihre Predigten und Kasualansprachen verlegt Fontane übrigens am liebsten, was er einer bestimmten Pastorenfigur an Eigenschaften beimisst.

Bei seiner Weihnachtspredigt erlaubt sich Seidentopf, »ein Sechziger, mit spärlichem weißen Haar, von würdiger Haltung und mild im Ausdruck seiner Züge« (41), eine gewagte Typologie. Denn er legt seine – grundsätzlich – »dreige-teilte Predigt« so an, dass sie auf das Motiv des Verkündigungsengels zuläuft: den Engel Gottes, der den Hirten einen neuen Frieden auf Erden ankündigt und der, laut Seidentopf, von Gott immer gesandt werde, »wenn die Nacht der Trübsal auf den Völkern« läge. »Und eine Nacht der Trübsal sei auch über dem Vaterlande.« Deshalb rufe der Engel auch jetzt: »›Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude.‹ Denn das Gericht des Herrn habe unsere Feinde getroffen, und wie damals die Wasser zusammenschlugen und ›bedeckten Wagen und Reiter und alle Macht des Pharao, dass nicht einer von ihnen übrigblieb‹, so sei es nun wiederum geschehen.«

Der Weihnachtsengel über den Feldern von Bethlehem und die Friedensbotschaft zu Weihnachten 1812; das Gottesgericht an Pharaos bewaffneten Haufen und die vernichtende Niederlage Napoleons bei dessen Russlandfeldzug – es wird beides typologisch miteinander verbunden und macht aus der Weihnachtspredigt ein nationalpolitisches Manifest.

Seidentopf schließt seine Predigt entsprechend: »Unser Herd, unser Land sind Heiligtümer nach dem Willen Gottes. Und seine Treue wird uns nicht lassen, wenn wir getreu sind bis in den Tod« (43). Die Kirchgänger in Hohen-Vietz nehmen’s hin und – so Fontane in trockener Ironie – »rechneten nicht nach, ob die Worte lutherisch oder kalvinistisch klangen, so sie nur aus einem preußischen Herzen kamen« (41). Evangelische Konfessionsdifferenzen verblassen vor dem wichtigeren und vereinigenden Bekenntnis zu Preußens geschichtlicher Größe. Sogar Müller Mickley, der Konventikelführer und geistliche Widersacher des Pastors im Ort, zeigt sich bereit, dem Prediger, obwohl er nichts vom »eingeborenen Sohne Gottes« gesprochen habe, zu verzeihen, weil er doch »ein preußisches Herz« habe (59).


Schleiermacher im Munde Seidentopfs

Seidentopfs zweite Predigt zum Auftakt des militärischen Coups gegen eine napoleonische Einheit in der Nähe bekräftigt die Tendenz der ersten: »Der Übergang von der Knechtschaft in die Freiheit bereitet sich vor«, erklärt er (592), und dann: »Ein heiliger Krieg ist es, der beginnt, ein Krieg voll Hoffnung auf ›innerliche Befreiung‹, weil er nicht allein die äußerlichen Fesseln der Fremd-herrschaft lösen, sondern auch der ›traurigen Gewöhnung‹ ans Sklavische ein Ende bereiten werde: ›Jene Schamlosigkeit war da, die um des Lebens willen jeden edleren Zweck des Lebens hintenansetzt oder vergisst‹« (593).

Was Fontane an dieser Stelle seines Romans macht, ist eine Demonstration. Er lässt nämlich seinen Pastor Seidentopf nicht bloß reden, wie es ihm in seiner nationalen Gesinnung einfällt, sondern er legt dem Pastor sozusagen einen Fremdtext auf die Kanzel, den dieser jetzt mit einigen Varianten lediglich zitiert. Und bei diesem Fremdtext handelt es sich um eine Predigt Schleiermachers vom 28. März 1813 in der Berliner Dreifaltigkeitskirche!4


Lebendige Attrappen

Neben dieser markanten Figur Seidentopfs wirken andere Pastoren, die vom Dichter beiläufig ins Spiel gebracht werden, wie lebendige Attrappen, die dazu dienen, Seidentopfs Eigenart plastischer erscheinen zu lassen. Der »Dolgeliner Pfarrer«, der zum Weihnachtsbesuch in der Hohen-Vietzer Pfarre weilt, ist nach Fontane ein mäßig begabter Mensch, »aber was er am gewissesten entbehrte, das war die Leuchtekraft des Glaubens. Er war für praktische Seelsorge, worunter er verstand, dass er den Bauern ihre Prozesse führte … Er war weder Orthodoxer noch Rationalist, sondern bekannte sich einfach zu der alten Landpastorenrichtung von Whist à trois« (94f), dem geselligen Kartenspiel also mit dem Gutsherrn und dem Schullehrer.

Dies ist eine griffige Pastorenkarikatur, die wenig später durch eine weitere, freilich anders gelagerte, ergänzt wird. Und die betrifft sogar eine historische Person, Friedrich Wilhelm August Schmidt, bekannt als »Schmidt von Werneuchen«, einem Ort in der Mittelmark, wo der Pfarrer sich neben seinen Amtsgeschäften als volkstümlicher Dichter versuchte.5 Allerdings erntete er damit mehr Spott als Beifall. In der weihnachtlichen Gesprächsrunde heißt es: »Diese Werneuchener Poesie hat in der Tat kein anderes Ideal als den bekäpselten Familienvater«, und dann, auf den Punkt gebracht: »Der Dichter soll ein Spiegel aller Dinge sein. Schmidt aber spiegelt nichts; er gibt nur die Natur selber« (112f).

Der dritte im Bunde dieser Pastoren, die Seidentopfs Bild einen Rahmen geben, ist Othegraven, der nach Fontane in sich vereinigt, was »damals in märkischen Landen nur selten betroffen wurde: Strenggläubigkeit bei Freudigkeit des Glaubens« (94). Woher er das hat, wird anschließend verraten. Er habe sich nämlich längere Zeit in Holstein aufgehalten, wo er mit Matthias Claudius und Claus Harms zusammengetroffen sei und von beiden gelernt habe. Das Ergebnis: »Er sah alle Dinge in ihrer Beziehung zu Gott; das gab ihm Klarheit und Ruhe.«


Anmerkungen:

1 Zitiert wird nach der leicht zugänglichen und ­wissenschaftlich fundierten Werkausgabe im Taschen­buch­format (dtv), die jede Erzählung und jeden Roman in Einzelausgabe bringt.

2 Fritz Martini: Pfarrer und Pfarrhaus, in: M. Greiffenhagen (Hg.): Das evangelische Pfarrhaus, 1984, 142.

3 Peter von Matt: Liebesverrat. Die Treulosen in der Literatur, 5. Aufl. 2001, 137.

4 Vgl. Alexander Faure: Eine Predigt Schleiermachers in Fontanes Roman »Vor dem Sturm«, in: ZSystTh 17/1940, 221-279.

5 Im Roman Cecile (97) fällt die hübsche Bemerkung: »Alle Geistlichen wären bekanntermaßen heimliche Dichter, was auch kaum anders sein könne. Denn wer allsonntäglich unter einem Kanzeldeckel mit der Heiliggeisttaube stehe, für den müsse auch dichterisch etwas abfallen.«



 

Über die Autorin / den Autor:

Pfarrer i.R. Dr. Reiner Strunk, Jahrgang 1941, Assistent für Syst. Theologie bei Jürgen Moltmann in Bonn und Tübingen, 1970 Promotion, 1977-1986 Studienleiter am Württ. Pfarrseminar, 1997-2003 Leiter der Fortbildungsstätte Denkendorf.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 12/2018

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