Es wird viel geheiratet – inzwischen wieder. Die Kinder der Babyboomer binden sich. Und viele gehen außer aufs Standesamt eben auch in die Kirche oder wünschen sich eine kirchliche Feier an einem besonderen Ort. Als Pfarrer erfreuen mich Hochzeiten. Bisher habe ich die Klagen von Kollegen mit »Hochzeitskirchen« nicht so recht verstehen wollen und dachte: Es ist schade, dass zu meiner schönen Dorfkirche nicht wie zum benachbarten gotischen Dom die heiratswilligen Paare pilgern. Wenn es nach mir ginge: Ich würde gerne noch mehr Paaren eine schöne kirchliche Trauung gestalten. Weil Hochzeiten durch die Begegnungen so dynamisch sind, die Paare so mutig, der Akt so hoffnungsvoll, die Kirche ein gutes Bild abgeben kann und Gottesdienst mit vielen unterschiedlichen Menschen doch richtig Spaß macht.

Das freiflorierende Fest der Verbindung

Inzwischen bin ich etwas zurückhaltender. Und das hat seine Gründe, die nicht in meinem zunehmenden Alter liegen. Schon vor 20 Jahren erlebte ich ein Brautpaar, dessen eine Mutter mit einer Wünschelrute in der Kirche den besten Platz für das Jawort der Ihren auspendelte. Ich empfand das damals als schräg, habe mir sogar die Argumente gemerkt, weil es sich um eine Ausnahmesituation handelte. Heute allerdings sind die Ausnahmen zur Regel geworden. Nicht die Gestaltung der Liturgie oder der Ansprache oder das Üben von Musikstücken mit und ohne Solisten sind das Problem, sondern der rasante Zuwachs an Kommunikationsbedarf. Eine einzelne kirchliche Trauung macht heute so viel Arbeit wie etwa vor zehn Jahren zehn Hochzeiten. Das macht es für Pfarrer, Organisten und Küster schwierig und zeitaufwendig.

Das Ritual trägt nicht mehr. Der Vollzug jeder Hochzeit soll individuell neu erfunden werden. Das Paar begibt sich nicht in das Ritual, sondern das Ritual soll sich dem Paar anpassen. Der Pfarrer vermittelt nicht mehr als Person oder qua Amt Sicherheit für die Fahrt innerhalb der Form, sondern er wird als Dienstleister eines Services verstanden. »Mein Papa bringt mich rein zu meiner Lieblingsmusik. Sie stehen schon vorne. Und wenn ich da bin, sagen Sie zu meinem Freund, er soll mich küssen. Und dann gehen wir zur Lieblingsmusik meines Freundes wieder raus.« Evangelisch Heiraten geht natürlich anders. Inhalt und Form wollen die Paare selbst bestimmen. Ein Akt der Freiheit. Die Katalogmuster kommen aus dem Internet und Fernsehen. Selten aus Erlebtem und Erfahrenem.

Brieftauben und Böllerschüsse

Das Jawort des Paares und der Wechsel der Ringe genügen nicht mehr. Auch nicht der Segen eines Pfarrers. »Haben sie schon Mal zum Ringwechsel, den Ring durch ein Seil gegeben? Das hätten wir gerne. Jeder in der Kirche hält das Seil in der Hand und gibt unsere Ringe ein Stück weiter. So geht der Segen.« Alle Anwesenden müssen die Zeichen ihres Einverständnisses geben. Die Einbettung ihres Lebens muss in der temporären Gemeinschaft der Feier in der Kirche sichtbar werden. »Unsere Gäste bekommen einen Gasluftballon. Jeder schreibt in der Kirche auf die angehängte Karte seine Wünsche für uns. Wenn wir rausgehen, lassen wir sie dann alle in den Himmel fliegen.« Vielleicht organisieren auch Freunde oder Angehörige noch weitere Überraschungen vor, in und nach der Kirche wie Brieftauben, Böllerschüsse, ein persönliches Gedicht über die Vergangenheit eines Teils des Paares oder einfach nur tolle Musik – ohne zuvor den Kontakt mit Pfarrerin oder Pfarrer aufzunehmen. Einen Tag vor der kirchlichen Hochzeit bestellt eine Brautmutter telefonisch die Orgel ab: sie habe doch noch eine Band gefunden, die spiele flott.

Die ganze Ohnmacht des individuellen Feierns drängt förmlich in die Kirche und ihren öffentlichen Raum. Ein Menü wird kreiert, obwohl keiner der Betroffenen kochen kann. Das löst den bisherigen Charakter des Gottesdienstes auf. Statt einer Gemeinde versammelten sich Einzelne und kleine Gruppen. Selten nur verstehen sie sich als Gäste im Haus Gottes, sondern eher als Gäste des Brautpaares. Wenn es gut geht, entsteht aus ihnen für einen Augenblick eine Gemeinschaft. Alles darüber hinausgehende, durch Raum und Zeit verbindende Gedanken und Traditionen gibt es kaum. Oder rudimentär: »Ich geh ja in keine Kirche. Das letzte Mal, dass ich in einer war, das war bei der Beerdigung meiner Oma. Das ist nun auch schon her.« »Also ich bin in keiner Kirche und glaube auch nicht an Gott, aber das Programm heute hier war gut.« »Danke!«

Die Eigendynamik der Vorbereitung

Wenn Paare ihre Hochzeit ankündigen, haben sie meist schon einen festen Termin. Da ist nicht dran zu rütteln. Sie fragen nicht nach, sondern sagen an. Oder sie haben einen, zwei, drei Wunschtermine, an denen die Kirche prophylaktisch gebucht wird und eine Pfarrperson Zeit haben soll. Alles andere kommt später. Manchmal auch ein vierter, ganz anderer Termin. Auch Paare, die an alles gedacht haben, nur nicht, bei der Pfarrerin oder dem Pfarrer. In Urlaubszeiten kann das zum Drama werden. Flexibilität ist angesagt.

Da die Paare nicht persönlich im Gemeindebüro – sprich Pfarramt – erscheinen, erhalten sie die ersten Informationen nicht mündlich direkt und ebenso als Papier zur Erinnerung in die Hand, sondern per e-Mail. Ganz selten auch durch Brief. Bei uns sind das zwei DIN A4-Seiten mit Formalem: über Anmeldung, Voraussetzungen, Ablauf, Kirchengestaltung, Feiermöglichkeiten, Kosten, Traugespräch, wichtige Personen, Kontaktdaten usw. Das Anmeldeformular fülle ich dann beim Traugespräch aus, andere Kollegen überlassen das den Paaren. Die Sekretärin überträgt die Daten in das elektronische Kirchenbuch. Die den Paaren nicht präsenten kirchlichen Personaldaten und das ungenügende Funktionieren der kirchlichen Datenverarbeitung sind ein Thema für sich.

Zur Vorbereitung und Gestaltung ihrer kirchlichen Feier erhalten die Paare einen Musterablauf mit ausgedruckten Liedern, Gebeten und Texten zur Anregung bzw. Auswahl. Auch Trausprüche als Motto für ihr Leben und zur Grundlage der Predigt mit dem Hinweis auf eine weitere Fundstelle: trauspruch.de. Meine Landeskirche hat eine auch im Netz einsehbare Broschüre zum kirchlichen Heiraten. An anderen Orten haben die Gemeinden diese Informationen auf ihrer Homepage. An Material mangelt es nicht, aber offensichtlich ist es zu viel Holz. Die meisten kirchlichen Informationen werden nicht gelesen.

Schräge Symbolik

Dafür stellen sich den Paaren viele Fragen und es beginnt ein reger e-Mail- oder App-Austausch mit dem Pfarrer. Zu allen Tages- und Nachtzeiten. Grundsätzliches und jedes Detail werden extra hin und her bewegt. Ein Beispiel: »Müssen wir singen?« »Ja.« »O, aber wir können nicht singen. Wir wollen das auch nicht.« »Oder vielleicht doch: von Helene Fischer …« »Das Kindermutmachlied geht auch. Das war im Kindergarten so toll.« Oder: »Können wir – also Sie – die ersten Bänke in der Kirche herausnehmen? Wir brauchen Platz für das Orchester.« »Wie ist das mit den Huschen? Haben Sie Huschen an den Brautstühlen?« »Sie meinen Hussen? Die haben wir.« »Schön, wir hätten gerne weiße.« »Haben wir.« »Oder nein, rot wäre toll.« Oder: »Wie breit ist der Gang in der Kirche, in der Sie uns trauen? Wir möchten uns einen Hochzeitsteppich machen lassen mit den schönsten Bildern aus unserem Leben.« »Die Breite des Mittelganges der Kirche in NN kenne ich nicht, aber die örtliche Küsterin oder das dortige Pfarramt helfen bestimmt gerne weiter. Aber ist es nicht seltsam, wenn alle Gäste vorher auf eure Bilder treten, bevor ihr dann auch noch über sie schreitet? Wäre nicht ein Wandteppich schöner?« Die schräge Symbolik störte das Paar nicht, aber der Preis. Moderne Hochzeiten entwickeln sich. Sie wachsen mit allen, die daran beteiligt sind, und mit allem, was ein Paar noch bis kurz zuvor entdeckt und für sich als passend empfindet. Strickmuster: brandaktuell.

Längst führe ich wie viele Kolleginnen zwei Gespräche mit den Paaren. Eines zum Kennenlernen zu Hause und eines in der Kirche für alle praktischen Fragen. Manche Paare hätten gerne und benötigen auch noch eine dritte Runde mit den nun ausgesuchten Details, der Musik und dem Einzug. Manchen gelingt es, mit der Küsterin und der Organistin ebenso intensiv Kontakt aufzunehmen.

Das heikle Thema Musik

Es gibt Organisten, die haben ihr Auswahlprogramm im Netz oder auf CD, andere spielen nach dem Sonntagsgottesdienst einige Stücke an. Manche Paare haben genaue Vorstellungen, andere keine klaren. Manche blenden auf dem Smartphone den Kirchenmusikern ein, was sie gerne hätten, wobei dann entweder viel Improvisation oder das Beschaffen von Noten nötig ist. Zur Verwunderung geht das nicht immer schnell.

Selbst, was über längere Zeiten als verbindendes Element galt, die Musik, hat diese Rolle eingebüßt. Der sich immer mehr ausdifferenzierende Musikgeschmack schafft nur noch selten größere Gemeinklänge. Wenn es gut geht, findet das Paar »ein Lied«, in dem sie emotional ihre Gemeinsamkeit wiederfinden oder die Erinnerung an einen wunderbaren biographischen Augenblick. Immer seltener findet sich Begleitmusik, die alle Anwesenden genießen können. Im Gegensatz zu Kirchenmusikern und Pfarrern erscheint das vielen Paaren nicht als Problem, denn es ist ja »ihre« Hochzeit. Klar scheint, dass Orgelmusik für viele nicht mehr zu ertragen ist und Kirchenlieder nicht mehr zum Allgemeinwissen gehören. Die Musik zeigt den gesellschaftlichen Wandel und den individualistischen Lebensstandard deutlich. Kirchenmusiker wie Pfarrer partizipieren daran und benötigen an dieser Stelle Fingerspitzengefühl und Geschick und Brautpaare und Hochzeitsgesellschaften offenherzige Ohren.

Ganz empfindlich bin ich inzwischen bei den Liederheften: Die mache ich. Aus Erfahrung bin ich klug geworden. Noch so gut gemeinte Produktionen von Angehörigen können verwirren durch eingebaute Überraschungen, viel zu kleine Schrift, neue Anordnung des Ablaufes und das Weglassen von wesentlichen Texten, Lieder oder Ansagen. Ein Heft für die Kirche muss aber alle für den Gottesdienst nötigen Hinweise beinhalten. Klar und Übersichtlich. Lieder, die in den ausliegenden Gesangbüchern stehen, brauchen nicht abgedruckt werden. Auch der Hinweis, wann das Paar sich küsst, ist überflüssig. Wichtiger erscheint, wann alle etwas gemeinsam tun sollen. Oder wo sich die Toiletten befinden und Malsachen für Kinder. Denen die lesen können und in der Kirche nicht so zu Hause sind, kann das Kirchenheft als Navi dienen und Einzelne in Form und Gemeinschaft einbinden.

Der geniale Auftritt

Auch schon lange verbandelte Paare ziehen zum Einzug in die Kirche gerne die amerikanische Variante vor. Sehr emotional. Der Vater führt seine Tochter zum Altar. Wohlmöglich bringt er sie in einem Oldtimer. Wie der Bräutigam in die Kirche kommt, ist nicht so entscheidend. Nur darf er die Braut vorher nicht sehen, weil das nach üblicher Meinung Unglück bringt. Also steht er oft allein etwas hilflos in der Kirche herum und ich stelle mich zu ihm oder ziehe mit ihm zu Beginn ein.

Nicht jede Hochzeit beginnt, wenn alle da sind, und die Glocken schweigen. Natürlich muss erst noch das Kleid gerichtet werden und das kann dauern. Die Gäste haben dann genügend Zeit, noch ihre Plätze einzunehmen, vom feinsten ausgestattet und ihre Handys startklar. Dann hat die Braut ihren Auftritt und der Fotograf oder die Fotografin. Nicht jeder professionelle Fotokünstler macht seine Aufnahmen nur während der musikalischen Teile. Manche bewegen sich spielerisch und unbeschwert durch den Raum. Sie versuchen jeden traumhaften Moment zu sichern. Unter Umständen auch gegen alle Absprachen.

In der Aufregung kommt es schon mal vor, dass eine Braut ihren Brautstrauß und ein Bräutigam die Ringe vergisst. Aber das lässt sich alles auch in der Situation noch klären. Den Blumenschmuck der Kirche gilt es auch vorher zu organisieren. Wir haben eine floristisch begabte Küsterin, die über ästhetisches Gespür und Geschick verfügt und über einen reichen Fundus an Ideen und Materialien. Viele Brautpaare beauftragen ortsunkundige Blumenläden, die dann mehrfach anrufen und sich nach den Öffnungszeiten der Kirche erkundigen. Für unsere Kirche ist meine Antwort ist immer gleich: jeden Tag bis 19 Uhr. Und ich verweise darauf, sie mögen, bevor sie mit ihrer Arbeit beginnen, unsere Kirche einmal live anschauen. Nicht jedes Gesteck passt auf unsere Blumenständer, den Altar oder die Bänke. Leider halten das manche Floristen für unnötig und sorgen lieber für Überraschungen. Vom einfachen Blumentopf auf dem Altar bis zum von Blumen verdeckten Altarkreuz. An den Bänken angehängte, angeklebte, angenagelte Blumendekorationen. Alles scheint möglich.

Müssen Brauteltern Kaugummi kauen?

Die Ignoranz einiger Profis im Umgang mit dem Kirchenraum verärgert mich inzwischen. Und das gilt auch für manche Gäste. Kinder dürfen singen und lassen sich auch einbinden und bremsen. Aber müssen Brauteltern Kaugummi kauen? Müssen Gäste sich an der Kirchenwand ihres offensichtlichen Druckes entledigen, weil sie die Toiletten nicht gefunden haben? Ich freue mich, wenn Leben in unserer Kirche ist. Alle sollen sich wohlfühlen, aber müssen sich einige so wie zu Hause benehmen? Führte früher Verunsicherung Menschen eher zu Zurückhaltung, geschieht heute scheinbar das Gegenteil. Allgemeine Umgangsformen haben sich verflüchtigt und werden durch individuelle Vielfalt und Egalismus ersetzt. Sind wir wirklich zu einer Republik von Rüpeln geworden, wie Jörg Schneider meint? Manches muss einfach nicht sein.

So wie der große Auftritt in der Kirche zelebriert wird, ist natürlich auch der Abgang. Die einen Laufen durch Rosen, die anderen durch Insignien ihrer Berufe. Kutsche und Fesselballon. Nicht immer klappt das Timing. Zeit ist ein wunder Punkt des Eventgeschehens. Beim Fernsehen und im Theater gibt es dafür einen minutiös durchgetesteten Programmablauf und Verantwortliche. Die Vielfalt der Mitwirkenden, die bei Amtshandlungen Einfluss auf die Gestaltung nehmen, erfordert diese Stringenz auch. Es ist die klassische Rolle des Pfarrers, zumindest für den Gottesdienst. Diese Rollendefinition hat sich aber zunehmend auf das Brautpaar oder andere verlagert.

Was ist das Wesentliche?

Der Gottesdienst kann leicht länger werden als gedacht. Wer fünf musikalische oder andere Beiträge à 4 Minuten noch einschieben oder unterbringen will, verlängert das Programm um 20 Minuten. Wenn diese an anderer Stelle eingespart werden sollen, wird es eng. Entgegen der sich ausbreitenden Meinung, bieten sich Gebete, Lesung und Predigt nicht als Streichpotential an. Dahinter steckt die Frage: Was ist das Wesentliche? Das Proprium von evangelischen Gottesdiensten ist der Mehrheit der Paare und ihren Gästen einfach fremd. Reduktion auf den Segen allein ist mir zu wenig.

Wir sammeln bei Amtshandlungen während des Gottesdienstes die Kollekte für unsere Gemeinde oder ein Projekt. Nach einer freundlichen Spendenaufforderung gehen Klingelbeutel herum und landen am Ende auf dem Altar. Ein Dank den Spendern. Andere sammeln am Ausgang und die Brautpaare dürfen festlegen, wohin das Geld gehen soll. Die Höhe der Kollekte nimmt nicht proportional zur Größe der Gottesdienstgemeinde zu und auch nicht proportional zur Länge der liturgischen Feier ab. Sie ist bei uns konstant sinkend: Kleingeld macht kleine Beträge. 100 erwachsene Gäste spenden 50 Euro. Ich kann mich noch erinnern, wie Brautpaare oder ihre Familien die Gemeinde mit einer Spende bedacht haben. Aber heute bin ich schon zufrieden, wenn sie für Sonderleistungen von kirchlichen Mitarbeiter den vereinbarten Obolus zahlen, auch ohne, dass ich dreimal darum bitten muss.

Die Moderation der Pfarrperson

Kirchliches Heiraten erfordert viel Moderation. Denn nichts ist mehr vertraut oder selbstverständlich, keine Form und kein Inhalt. Nichts ist mehr wirklich präsent oder wichtig. Auch hat Religion ihren Nützlichkeitsfaktor verloren. Also wird sie nicht mehr gepflegt, weder reflektiert noch unreflektiert. Sie ist einfach nicht mehr wie ein Gerüst da, sondern zu einer Leerstelle geworden. Kirche ist suspekt, ein Fremdkörper. Alles, was hier geschieht, ist den meisten Menschen völlig fremd. Und Fremdheit verunsichert und schafft Abwehr.

Als Pfarrer versuche ich Brücken zu schlagen zwischen der Tradition meines Glaubens und der Situation der Paare und ihres sozialen Umfeldes. Leben macht Freude. Liturgie ist Spiel. Gottesdienst verleiht dem Leben und der Freude Ausdruck, auch den Enttäuschungen und Wünschen, der Klage und dem Dank. Aber nicht immer gelingt dieser Spagat, kann personale Präsenz die gesellschaftlichen Widersprüche ausgleichen.

Hochzeit ist eine gute Einübung. Aber in was? In eine zutiefst individualisierte Religion. Andere Amtshandlungen auch. Sie bilden keine Gemeinde, aber emotionale Augenblicke und hilfreiche Übergänge für Lebenssituationen. Sie gelingen, wenn sie Kommunikation ermöglichen unter allen Beteiligten und die christlichen Deutungsmuster auch von den anderen Beteiligten – sprich Pfarrer und Hochzeitsgästen – mit Toleranz zugelassen werden. Wahrnehmung geschieht nicht im Ablehnen, sondern im Aufnehmen.

Aufklärung im Chaos

Brautpaare und ihre Gäste haben es so wenig leicht beim Heiraten wie Pfarrpersonen und kirchliche Mitarbeiter. Auf der einen Seite gibt es da Ideen, Interessen, Vorstellungen, Eindrücke, Erfahrungen und viele Bruchstücke aus der Fülle des Alltags, und auf der anderen Seite Ordnungen, Liturgien, Regelungen, Traditionen, Grundgedanken und Werte aus der Fülle der Kirchengeschichte. Manche Paare neigen freudig zur völligen Neukonzeption, ich dagegen eher zum behutsamen Anpassen an bewährte Muster. Vermittlung ist nötig, gegenseitiges Verstehen und Bewegen. Amtshandlungen sind kein Machtspiel. Und selbst wenn sie viele Elemente nutzen, die aus Show und Theater vertraut erscheinen, bleiben doch evangelisches Deutungsgeschehen, Darstellung und Deutung des situativen Lebens im Angesicht biblischer Verheißung.

Mag sein, dass unsere Gottesdienste und Amtshandlungen immer mehr zum Patchwork werden. Ich erlebe im Umgang mit personalen Ereignissen, die in der Kirche beheimatet werden, immer mehr das, was Peter L. Berger als »Patchwork-Religion« bezeichnet hat. Aber auch meine eigene Religiosität ist nichts anderes als eine Auswahl aus dem reichen Schatz der christlichen Theologie. Das allgemeingültige System, zusammengefasst in einem Buch und gültig für alle Zeiten, ist einer breiten Vielfalt an Möglichkeiten gewichen. Und die neuen Medien haben die Lage nicht gerade erleichtert, sondern erweitert und aktualisiert. Die für eine Generation gültige Enzyklopädie, das Handbuch für die ganze Berufszeit, die Liturgie und Kirchenordnung für ein Imperium, das gab es nur in romantischen Vorstellungen. Reduktion der Komplexität ist gefragt, Vereinfachung der Vielfalt, Aufklärung im Chaos.

ie Stunde der Häretiker

In jeder Entscheidung und Auswahl steckt allerdings die Gefahr, dafür verurteilt zu werden, weil sie als falsch oder nicht stimmig empfunden wurde und sie weckt gleichzeitig auch den Wunsch nach weiterer Häresie. Der Vergleich mit anderen Hochzeiten führt nicht geradewegs zur Entwicklung neuer Standards, eher zur Einsicht: »Bei uns muss alles viel besser sein.« Gefährlich hybrid. Insofern werden alle zu Häretikern, weil Brautpaare, Pfarrer und Kirchenmusiker wählen und entscheiden müssen. Eine konzertierte Aktion, die aus der Unsicherheit einen Weg und aus der Not eine Tugend macht. Ob es gelingt, liegt an der Unvoreingenommenheit mit der sich alle Beteiligten begegnen müssen. Vielleicht entstehen sogar Bindungen an Personen und Räume. O Jesu, meine Freude …

Wie alle Kolleginnen und Kollegen freue ich mich über Paare, die sich gefunden und füreinander entscheiden haben und ihren gemeinsamen Weg in einer Kirche mit Gebet und Segen feierlich starten. Die Entscheidung gegen ein Singledasein ist gut und heilsam, die Ehe ein mutiges Unternehmen mit beschränkter Haftung. Jeder ist für den anderen mitverantwortlich. Mal mehr, mal weniger hilfreich. Glücklich, wer sich im Wechselspiel der Verhältnisse nicht aus Herz und Augen verliert. Ein wenig traurig bin ich, weil ich nur für einen Augenblick das große Programm unseres Glaubens in der Kirche anbieten kann, aber ich hoffe, dass sich ein Paar auf seinem Weg immer wieder Menschen und Orte der Heimat sucht und findet. Unser Christentum fängt an der Kirchentür erst an. Und ein dichtes Beziehungsnetz in unseren Gemeinden wäre schön.

Schon im Theologiestudium als Angehöriger der Babyboom-Generation mit schlechten Aussichten auf eine Pfarrstelle und gruseligen Festerfahrungen haben Freunde und ich mit dem Gedanken gespielt, Coach für Kasualien zu werden. Heute sind Wedding-Planer und Hochzeitsmessen keiner Seltenheit mehr und für andere Feiern kommen sie sicher noch. Wenn ich etwa an die Angebotspalette im Bestattungsgewerbe denke. Damals wollten wir uns den All-Inclusive-Service auf die Fahnen schreiben: Outfit, Location, Deko, Catering, Musik, Foto und Programm. Wir sind dieser verführerischen Phantasie nicht gefolgt. Aber wenn ich exponierte Kirchen erlebe, in denen gerne geheiratet wird, frage ich mich schon, warum eine Gemeinde nur ihr Gebäude anbietet und nicht noch den Garten für den Sektempfang in Kooperation mit anderen, und ob nicht die Mühen der Amtshandlungen auch eine Chance sind.


Heinz-Günter Beutler-Lotz

Über die Autorin / den Autor:

Pfarrer Heinz-Günter Beutler-Lotz, Jahrgang 1956, ist evangelischer Pfarrer in Dienheim am Rhein und Religionslehrer an der Georg-Forster-Gesamtschule in Wörrstadt.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 6/2016

1 Kommentar zu diesem Artikel
26.06.2016 Ein Kommentar von Daniel Renz So treffend manche Wahrnehmung, so hilfreich manche Anregung hier auch sein mag: In seiner zynisch-kulturpessimistischen Fülle kann ich den Beitrag nur als Comedy lesen …
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