Im Juliheft des »Deutschen Pfarrerblatts« wurde eine Artikelreihe eröffnet, die auf die ­Geschichte der Gleichstellungsarbeit für Frauen im Pfarrberuf im Verlauf des 20. Jh. ­zurückblickt. In der aktuellen Ausgabe berichtet Heike Köhler von Schwierigkeiten und Durchbrüchen der pfarrberuflichen Emanzipation in der hannoverschen Landeskirche.


Angekommen!

2017 feiern wir weltweit das 500-jährige Jubiläum der Reformation. Dr. Margot Käßmann hebt als Botschafterin für das Reformationsjubiläum die besondere Bedeutung dieses Jubiläums für die Frauenordination hervor: »Es ist das erste Jubiläum, bei dem die große Mehrheit der evangelischen Kirchen in aller Welt Frauen im ordinierten Amt und auch als Bischöfinnen akzeptieren1

Beim letzten Reformationsjubiläum – vor gut 100 Jahren – ist die reformatorische Erkenntnis, dass Frauen aufgrund des lutherischen Taufverständnisses jedes kirchliche Amt ausüben können, noch weit entfernt vom Bewusstsein der kirchlichen Öffentlichkeit. Es brauchte noch ein weiteres halbes Jahrhundert bis sich die Frauenordination in den meisten Gliedkirchen der EKD etabliert hatte.


»Angekommen! Der lange Weg der Frauen ins Pfarramt«

Unter diesem Motto gedenkt die Evang.-luth. Landeskirche Hannovers der Tatsache, dass Frauen seit 50 Jahren ordiniert werden.2 Am 1. März 1964 trat das »Pastorinnengesetz« der Evang.-luth. Landeskirche Hannovers in Kraft. Das Gesetz war eine entscheidende Weichenstellung, markierte aber keineswegs das Ende des Weges der Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Pfarramt.

Angekommen! Hieß es mehrmals in der Geschichte der ersten Theologinnen:


Angekommen! – im Studium

Nachdem Frauen 1908 endlich auch in Preußen zum Studium zugelassen wurden, war es theologisch interessierten Frauen möglich, sich auch zum Theologiestudium einschreiben zu lassen. Allerdings nahm die Evang.-luth. Landeskirche Hannovers zunächst nicht das 1. Theologische Examen ab. 1920 wurde für die Frauen das Fakultätsexamen eingeführt, so dass ihnen der Abschluss des Studiums erleichtert wurde.3 Den jungen Frauen, die sich für ein Theologiestudium interessierten, wurde es zumeist nicht in die Wiege gelegt. Die wenigsten wuchsen in einem Pfarrhaus auf, oft kamen sie über den Umweg des Lehramtsstudiums in den Pfarrberuf.

Angekommen! – im Berufsleben

Nach dem Ersten Weltkrieg drängten Frauen in den Arbeitsmarkt. Unter dem Stichwort »Neue Ämter für neue Aufgaben« wagten es bereits kurze Zeit nach dem Ersten Weltkrieg einige Männer, sich die theologisch gebildete Frau als Gehilfin des Pfarrers vorzustellen. Unter den großen sozialen Nöten der Zeit und dem akuten Pfarrermangel war das nicht verwunderlich.4

Angekommen! – in der landeskirchlichen Wirklichkeit

1925 waren es in Deutschland etwa 100 Frauen, die das Theologiestudium absolviert hatten. Diese schlossen sich zum Verband evangelischer Theologinnen zusammen, um sich bei den Landeskirchen Gehör zu verschaffen. Sie forderten ein Amt eigener Art für Frauen.5 Noch im selben Jahr erreichte den Landeskirchentag (Synode) der Evang.-luth. Landeskirche Hannovers die Eingabe des Verbandes evangelischer Theologinnen. Eine der ersten Synodalinnen, die Studienrätin Elisabeth Neuse brachte ihn ein. Er war die Initialzündung für eine langjährig dauernde Etablierung des Pastorinnenberufes:

»An den hochwürdigen Landeskirchentag Hannover.

Der »Verband der evg. Theologinnen Deutschlands« erlaubt sich gehorsamst, den hochwürdigen Landeskirchentag Hannover von seiner im März dieses Jahres erfolgten Gründung in Kenntnis zu setzen. Gleichzeitig bittet er um gütige Berücksichtigung folgender Eingabe.

Aus dem dringenden Wunsche, der religiösen Not unseres Volkes an ihrem Teil steuern zu können, haben seit mehreren Jahren eine Reihe von Frauen das theologische Studium ergriffen, ohne Rücksicht auf die späteren Anstellungsmöglichkeiten. Infolgedessen sind manche Kandidatinnen der Theologie in Arbeitsgebiete hineingekommen, die weder ihrem Wunsche, noch ihrer Vorbildung entsprechen. So war ein Zusammenschluß der Theologinnen erwünscht, und erforderlich, um Einheitlichkeit zu erreichen, und um sich klarer zu werden über die Arbeit, die man als Frau innerhalb der Kirche zu leisten wünscht. Die Einstellung des Verbandes zur kirchlichen Arbeit der Frau ist aus Folgendem ersichtlich:

Unsere Bitte an den hochwürdigen Landeskirchentag Hannover, uns die Möglichkeit zu geben, als Theologinnen innerhalb der Gemeinde tätig zu sein, entspringt nicht frauenrechtlerischen Bestrebungen. Wir sind nicht Kampforganisation, die die männliche Pfarrertätigkeit, also die volle Gemeindeleitung, nun auch für die Frau beansprucht. Wir möchten vielmehr dort angreifen, wo Frauenarbeit besonders notwendig ist. Diese Beschränkung bedeutet zwar nicht, daß wir als Helferinnen eines Pfarrers und als dessen Angestellte arbeiten möchten, wobei wir zu jeder Hülfsarbeit gebraucht werden, sondern wir möchten mit ganzer Verantwortung und Selbständigkeit von der Kirche (Gemeinde) angestellt sein. […]

Wohlwollende Beachtung erhoffend der ­Verband der evangelischen Theologinnen Deutschlands Erna Haas. – Ilse Jonas.

Vorsitzende.«6


Von Seiten des Landeskirchenamtes wurde die positive Aufnahme der Eingabe als ein Markstein7 in der Geschichte der Landeskirche angesehen und man war sich bewusst, »daß unsere Landeskirche sich einer schweren Versäumnis schuldig machen würde, wenn sie nicht Mittel und Wege suchte und fände, die in den Theologinnen sich ihr anbietenden wertvollen Kräfte für die Arbeit der Kirche nutzbar zu machen8


Die erste hannoversche Theologin

Parallel zu diesem synodalen Prozess fand tatsächlich mit Lic. Meta Eyl (1893-1952)9 die erste Theologin 1926 in der Gartenkirche in Hannover eine Anstellung. Da es noch keine Anstellungsmöglichkeiten für sie gab, wurde sie probeweise unter dem bewährten Berufsbild einer Gemeindehelferin angestellt.



Meta Eyl


Sehr zufriedenstellend berichtet der Kirchenvorstand über die Arbeit von Lic. Meta Eyl:

»Frl. lic. Eyl ist am 1. April 1926 der Gartenkirchengemeinde zur informatorischen Beschäftigung überwiesen. Wir Geistlichen haben in ihr eine außerordentlich tatkräftige und arbeitsfreudige Mitarbeiterin gefunden. […]

Man darf nach alledem wohl sagen, daß sie in die wesentlichsten für Frauen in Betracht kommenden Zweige der pfarramtlichen Tätigkeit eingeführt ist und sich auf das Beste bewährt hat. Jedenfalls würde unsere Gemeinde sie nur schmerzlich wieder missen mögen.

Der Kirchenvorstand.

gez. W. Köhler, Pastor.10


Das »Pfarramtshelferinnengesetz« 1930

Weitere Jahre verstrichen, bis sich die Landessynode 1930 zu dem weitreichenden Schritt durchringen konnte, theologisch gebildete Frauen als Pfarramtshelferinnen/�Vikarinnen anzustellen. Im »Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Pfarramtshelferinnen« wurde nun erstmals eine kirchenrechtliche Grundlage geschaffen.

In der synodalen Debatte spielten theologische Bedenken gegenüber dem Amt der Pfarramtshelferin keine Rolle. Dennoch waren sich die Kirchenvertreter bewusst, mit der Verabschiedung dieses Gesetzes einen Schritt getan zu haben, der mit einer langen Tradition brach. »Zum ersten Mal seit 1900 Jahren wird der Frau eine Stellung im amtlichen kirchlichen Dienst eingeräumt. […] Wenn die Frau jetzt in den Klerus aufgenommen wird, so ist das etwas so Bedeutungsvolles, dass die Frau verstehen möge, dass die Männerwelt zögernd und abwartend diesem Eintreten einer neuen Großmacht gegenübersteht«, so der Göttinger Kirchenhistoriker und Missionswissenschaftlicher Carl Mirbt.11

»Ein wichtiger Aspekt der Synodaldebatte war die Frage, wie das Verhältnis des neuen Frauenamtes zu den bisherigen weiblichen Ämtern zu beurteilen sei. Dass das Nebeneinander von Diakonissen, Gemeindehelferinnen und Pfarrfrauen im Gemeindeleben zu Spannungen führen könnte, darüber war man sich im Klaren.12 […] Die konkreten Aufgaben, die den Theologinnen im Pfarramtshelferinnengesetz zugewiesen wurden, gehörten zunächst doch zu den traditionellen Feldern kirchlicher Frauenarbeit: die Arbeit mit Frauen, sei es in Bibelstunden, Vorträgen und Andachten, oder mit Kindern wie im Kindergottesdienst. Hinzu trat die seelsorgerische Betreuung von Frauen in Gefängnissen, Krankenhäusern und Altenheimen. Alles in allem hatte das Gesetz den künftigen Pfarramtshelferinnen eine konfliktträchtige Zwischenstellung im kirchlichen Dienst zugewiesen: dem Pfarramt beigeordnet, faktisch aber untergeordnet sollten die Pfarramtshelferinnen an der Schnittstelle zwischen den Diakonissen, Pfarrfrauen und Gemeindehelferinnen wirken. Gänzlich ungeklärt blieb, worauf das ureigene Proprium ihres Tuns beruhte.«13 Die Pfarramtshelferinnen ins Gemeindeleben zu integrieren, stellte sich demnach als schwierig heraus.


Die Amtsbezeichnung

Um deutlich zu machen, dass die Pfarramtshelferin in keinerlei Konkurrenz zum Pfarramt stand, sondern diesem untergeordnet war, wählte man die Amtsbezeichnung »Vikarin«. Vikarinnen blieben also anders als ihre männlichen Kollegen auch nach der Ausbildung Vikarinnen. Da es nicht vorgesehen war, dass die Vikarin ein Pfarramt übernahm, wurden sie in irgendeiner Kirche (z.B. in der Heimatgemeinde) für ihren Dienst eingesegnet. Auf Antrag des Kirchenvorstandes bzw. einer anderen kirchlichen Einrichtung wurden die Vikarinnen durch das Landeskirchenamt angestellt. Ihre Aufgaben regelte eine jeweils eigene Dienstanweisung.

Offen blieb die Frage der Finanzierung; ebenso die Frage, wer ihnen gegenüber im alltäglichen Arbeitsvollzug weisungsbefugt sei. Ihr Gehalt war von der anstellenden Organisation abhängig. Sie konnten jederzeit auf eine andere Stelle verfügt werden. Und noch etwas wurde damals für selbstverständlich gehalten: Pfarrer heirateten, gründeten eine Familie. Wenn eine Vikarin heiratete, musste sie aus dem Dienst ausscheiden.


Die pfarramtliche Wirklichkeit der Kriegsvertretung

Die Vikarinnen, die in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts in den kirchlichen Dienst strebten, wurden schnell mit der Wirklichkeit des Zweiten Weltkriegs konfrontiert. Bis Ende des Krieges waren 450 Pfarrer der hannoverschen Landeskirche eingezogen, das war fast die Hälfte der gesamten Pfarrerschaft. Die 16 damals im Dienst befindlichen Vikarinnen konnten mit Kriegsvertretungen beauftragt werden und wurden so erstmals mit der vollen pfarramtlichen Wirklichkeit konfrontiert. So sammelten sie ihre ersten praktischen Erfahrungen unter extremen äußerlichen Bedingungen.

»Unter dem Druck der Umstände waren am 12. November 1941 mit dem ›Kirchengesetz betr. Abänderung des Kirchengesetzes über die Anstellung der Pfarramtshelferinnen vom 1. Mai 1930‹ die Befugnisse der Vikarinnen zumindest vorübergehender Weise erweitert worden. ›In dringenden Notfällen‹, die vom Landeskirchenamt anerkannt werden mussten, konnten der Vikarin ausnahmsweise das Halten von Hauptgottesdiensten, die Sakramentsverwaltung und kirchliche Handlungen wie Taufen, Konfirmationen und Beerdigungen übertragen werden.«14



Minna Kimm


Angekommen! Das galt für Vikarin Minna Kimm (1910- 1984)15, die 1941 nach Wesermünde-Wulsdorf als Kriegsvertretung zur Hilfeleistung entsandt wurde. Obwohl man es einer Frau auf der Kanzel gerade auch in Norddeutschland nicht zutraute, dass sie akzeptiert würde, galt Minna Kimm in Wulsdorf vielen als ihr »Pastor«.16 Sie versorgte die Stadtrandgemeinde in allen pfarramtlichen Diensten in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Allerdings musste das Verwalten der Sakramente und die Durchführung von Amtshandlungen immer im Einzelfall beantragt und genehmigt werden. Als sie in ihrer Wohnung, einem angemieteten Zimmer, ein Schild anbrachte mit der Aufschrift »Pfarramt Wulsdorf«, musste sie dies auf Weisung von Landeskirchenamt und Superintendent hin wieder entfernen. Höhepunkt ihres Erfindungsreichtums ist die Anfertigung und der Gebrauch eines Siegels, das sie sich 1949 zulegte und für Urkunden benutzte. Es trägt die Umschrift: »Vikarin der Ev.-luth. Kirche Bremerhaven-Wulsdorf«.17

Achtung und Anerkennung hatte sie sich durch ihre konsequente Seelsorgearbeit erworben, insbesondere während der Zerstörung Wesermündes durch zwei verheerende Bombenangriffe 1944.18

Angekommen war sie längst im Leben der Gemeinde Wulsdorf und so war es nur konsequent, dass der Kirchenvorstand nach Kriegsende die Pfarrstelle mit ihr besetzen wollte. Mit einer Unterschriftenliste kämpfte er für ihren Verbleib in Wulsdorf. Das Landeskirchenamt lehnte ab. Nachdem das Vikarinnengesetz verabschiedet war, war klar, dass dieses Gesetz einer Vikarin nicht die Rechte zugestehen würde, die Vikarin Kimm in Wulsdorf bereits praktizierte.19

Dr. Uta Schäfer-Richter schildert die Nöte der jungen unerfahrenen Frauen am Beispiel von Vikarin Elisabeth Hahn:

»Das erste Mal auf der Kanzel stehen und predigen, das erste Mal junge Menschen trauen, das erste Mal beerdigen – dem begegneten die Theologinnen beglückt und zugleich mit ›Furcht und Zittern‹, wie es Vikarin Elisabeth Hahn (1907-1996) schilderte. Aus Hannover war sie nach den schweren Luftangriffen im Oktober 1943 nach Bad Pyrmont übergesiedelt, wo ihr eine Pfarrgemeinde samt vier kleinerer Dörfer übertragen worden war.

Am ersten Advent [1943] stand ich zum ersten Mal auf der Kanzel der Oesdorfer Kirche. Die Größe der Verantwortung, Gottes Wort zu verkündigen, kam mir in diesem Augenblick mit Macht zum Bewusstsein. Und ich ging mit Furcht und Zittern an meine Aufgabe. ›Predige das Evangelium! Das Gesetz predigt Gott heute selbst durch die Weltgeschichte‹, hatte mein Onkel Hugo Hahn mir als Rat mit auf den Weg gegeben. Und nun erlebte ich tatsächlich, dass es nichts Herrlicheres gibt, als die frohe Botschaft weiter zusagen, wo Menschen danach hungern.‹«20


Das Vikarinnengesetz 1948

Waren während der Kriegszeit den Vikarinnen in »dringenden und wirklichen Notfällen« größere Freiräume in der Amtsgestaltung zu gestanden worden21, stellte sich nach Beendigung des Krieges die Frage, wie »unter normalen Verhältnissen« weitergearbeitet werden solle. Bereits im Frühjahr 1947, hatte die 14. Ordentliche Synode der hann. Landeskirche erstmals über eine gesetzliche Neuregelung der Dienstverhältnisse der Vikarinnen beraten. Dr. Uta Schäfer-Richter hat diese Diskussion für die Dokumentation »Angekommen!« aufgearbeitet:

»Es sollte anderthalb Jahre dauern, bis am 4. November 1948 nach lebhaften Aussprachen das ›Kirchengesetz über die Dienstverhältnisse der Vikarinnen‹ mit großer Mehrheit in der Synode beschlossen wurde. […] Vor allem die Befürworter des Gesetzes hatten vergeblich gehofft, eine grundsätzliche Debatte – ›von Adam her‹, wie es Vikarin Daasch spöttisch ausdrückte – vermeiden zu können. […]. Zwei organisatorische Dinge galten der Synode als weitgehend unumstritten. Zum einen musste die materielle Versorgung der Vikarinnen, das hieß ihre Besoldung, ihr Ruhegehaltsbezug wie ihre Zurruhesetzung überhaupt auf sicheren Grund gestellt werden. Tatsächlich brachte das Gesetz hier eine spürbare Verbesserung. Entsprechende Regelungen – Besoldung: zunächst 80 % des Pfarrgehaltes, ab 1952 erhöht auf 90 %; Ruhestandsalter mit 65 Jahren – erwiesen sich als unproblematisch.

Nicht zu leugnen war zum anderen – und das betraf die Gestaltung ihres Amtes und seiner Befugnisse –, dass sich die Vikarinnen während des Krieges in der Pfarramtsvertretung als geistliche Amtsträger bewährt hatten und ihr Auftreten in den Gemeinden auf ein positives Echo gestoßen war. Man war ihnen zu Dank verpflichtet. Und nicht nur das: Diese Erfahrung weiblicher Tüchtigkeit konnte bei der Gestaltung des neuen Gesetzes nicht unberücksichtigt bleiben. […]

Mit dem Kirchengesetz über die Dienstverhältnisse der Vikarinnen war ein ideell selbständiges weibliches Amt im kirchlichen Dienst gesetzlich verankert worden, doch verschränkten sich Fortschritt und Krebsgang darin auf eigentümliche Weise. Ein Umstand, der darauf beruhte, dass das Vikarinnenamt als ›besonderes geistliches Amt der Frau‹ im kirchlichen Dienst gestaltet worden war: […] Im Rahmen dieses Dienstes kann der Vikarin auch das Recht zur Verwaltung der Sakramente eingeräumt werden. […] Das Pfarramt als männliche Domäne blieb erneut unberührt. Nach wie vor blieb den Theologinnen jene kirchliche Vollmacht versagt, die traditionell zum geistlichen Amt gehörte, nämlich die selbständige Leitung und Verwaltung eines Pfarramtes.«22


Das Pastorinnengesetz 1964

1958 wird mit dem »Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts« der jahrhundertelangen Unterordnung der Frau vom Gesetzgeber eine Absage erteilt. Frauen wurde erst jetzt zugestanden, dass sie als rechtsmündige Bürgerinnen selbst darüber entscheiden konnten, ob sie z.B. als verheiratete Frau einer Berufstätigkeit nachgehen wollten oder wie sie mit ihrem Vermögen umgehen wollen.



Hildegard Juhle


Die kirchliche Gesetzgebung blieb von der politischen Entwicklung nicht unberührt. Die Genese des »Kirchengesetzes über die Rechtsstellung der Pastorinnen« vom 1. März 1964 fasst Dr. Uta Schäfer-Richter folgendermaßen zusammen:

»Die Zähigkeit der Auseinandersetzung will dem heutigen Betrachter begreiflich und unbegreiflich zu gleich erscheinen. Unbegreiflich, weil die Reformbedürftigkeit des Vikarinnenamtes mit seiner rechtlichen Zurücksetzung der Theologinnen in den zurückliegenden Jahren deutlich zutage getreten war. Der Notwendigkeit einer Neuordnung des Vikarinnenamtes widersprachen allerdings auch die Verfechter eines Amtes sui generis nicht. Als Kern des Streits […] schälte sich vielmehr im Laufe der Auseinandersetzung die Frage heraus, ob Frauen der Zugang zu Pfarrstellen eröffnet werden sollte. Unbegreiflich mag die Langwierigkeit des Werdegangs auch insofern erscheinen, als die Mitglieder der hannoverschen Synode von Anfang an mehrheitlich der Gleichstellung der Vikarinnen mit großer Aufgeschlossenheit gegenüber standen. Ebenso die Kirchenleitung, also Kirchensenat, Bischof und Bischofsrat. […] In der Debatte wie in der Entscheidung um die Gleichstellung der Theologinnen waren die Männer jedoch praktisch unter sich, und es waren diese Männer, die die Gleichstellung am Ende auch fast einstimmig beschlossen.«23

»Angekommen zu sein«, dieses Gefühl konnte sich jedoch bei den Vikarinnen nicht einstellen. Pastorin i.R. Hildegard Juhle (Jg. 1926) berichtet, dass ihr, nachdem sie 1959 in ihrer Heimatgemeinde Lauenau durch Landeskirchenrat Creutzig als Vikarin eingesegnet wurde, innerhalb von zwei Jahren drei Arbeitsplätze zugewiesen wurden. So wurde Juhle im Oktober 1959 zunächst für 4 Wochen als »Kurseelsorgerin« auf die Insel Langeoog geschickt. Diese Stelle wurde mehrmals verlängert. Im Mai 1960 übernahm sie eine Arbeit »zur Hilfeleistung« bei Pastor Runte an der Mariengemeinde in Göttingen. Im Februar 1961 musste sie Hals über Kopf eine Vikarinnenstelle in Barsinghausen übernehmen, da der dortige Pastor plötzlich verstorben war.24 In unterschiedlichen Dienstverhältnissen blieb sie in Barsinghausen bis im Februar 1964 die Nachricht vom Landeskirchenamt kam, »daß zum 1. MÄRZ 1964 das neue PASTORINNENGESETZ in Kraft träte und ich damit nun PASTORIN geworden sei, vorläufig laufe jedoch mein bisheriger Auftrag in Barsinghausen weiter wie bisher und ›falls die Landeskirche es für erforderlich halte, mich in ein anderes angemessenes geistliches Amt zu versetzen, habe ich mir das gefallen zu lassen!‹ Zunächst änderte sich in meiner Rechtsstellung also nichts.«25

Sechs Jahre später wurde in Barsinghausen eine dritte Pfarrstelle als Pastorinnenstelle eingerichtet, die Hildegard Juhles. Nach neun Jahren Arbeit in der Gemeinde wurde sie nochmals eingeführt: »Nach dem Gottesdienst saßen meine Kollegen Pastor Grosse und Pastor Schnell mit allen Kirchenvorstehern in meiner Wohnung bei einem Glas Rotwein zusammen. Dabei überreichte Pastor Grosse mir das SIEGEL der Mariengemeinde, das ich nun endlich ordnungsgemäß benutzen durfte!«26

In einem formalen Schreiben wurden die 31 Vikarinnen auf die Änderung ihrer Rechtsstellung aufmerksam gemacht.27 Ordiniert wurden sie trotzdem nicht! Sie blieben »eingesegnete Pastorin«!

Eines konnten sich aber die meisten der Synodalen, die das Pastorinnengesetz beschlossen hatten, nicht vorstellen – dass eine verheiratete Pastorin den Belastungen des Amtes gewachsen sei und ihren Pflichten als Hausfrau und Mutter gerecht werden konnte. So blieb das Zölibat für die Pastorin bis 1969 aufrecht erhalten!


Frauen in kirchlichen Leitungsämtern

Erst 1978 wurde die völlige Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Pfarramt durch das Inkrafttreten des Pfarrgesetzes der VELKD verankert. Erst in den 90er Jahren wurden Frauen in weiteren Leitungspositionen denkbar, dazu hatten verschiedene frauenpolitische Initiativen beigetragen:

– die ökumenische Dekade »Solidarität der Kirchen mit den Frauen« (1988-98)

– die Gründung von ket (konvent evangelischer Theologinnen in der ev.-luth. Landeskirche Hannovers) (1989)

– das Dezernat »Erneuerte Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche«, 1990 das die hann. Landessynode geschaffen hatte (1990).

So konnte 1992 die erste Superintendentin, 1998 die erste Landessuperintendentin eingeführt werden und – last but not least – 1999 mit Margot Käßmann auch das Bischöfinnenamt erstmals weiblich besetzt werden.


Schuldeingeständnis der Kirche

Wie die Landeskirche mit den ersten Theologinnen umgegangen ist, das ist wahrlich kein Ruhmesblatt. Erstmals benennt Landesbischof Ralf Meister öffentlich die Schuld der Kirche gegenüber den ersten Amtsschwestern im Vorwort des Buches »Angekommen! Der lange Weg der Frauen ins Pfarramt«:

»Siebzehn Frauen, die ihren Berufsweg als ›Pfarrverwalterinnen‹, ›Vikarinnen‹ und ›Hilfsgeistliche‹ begannen, waren im Mai 2012 meiner Einladung in die Bischofskanzlei gefolgt. Ihre individuellen Lebensgeschichten zu hören hat mich bewegt. […] Sie sind Zeuginnen einer besonderen Zeit, in der das, was heutzutage selbstverständlich ist, erkämpft werden musste. Sie waren und sind, wie auch meine Amtsvorgängerin Dr. Margot Käßmann, Pionierinnen einer emanzipatorischen Bewegung. Diese Bewegung erinnert zugleich an die Schuld der Kirche, die bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts Frauen vom ordinierten Amt ausgeschlossen hat. Mit gesellschaftlichen Zuständen und der Geschichte der Kirche kann man diese Separation nicht entschuldigen. Es war eine Schuld der Kirche. Auch wenn die gleiche Berechtigung heute formal gegeben ist, bleibt die Herausforderung, in allen Diensten innerhalb der Kirche die Männer- und Frauengerechtigkeit Wirklichkeit werden zu lassen.«28


Literatur

Angekommen! Der lange Weg der Frauen ins Pfarramt – 50 Jahre Ordination von Frauen in der ev.-luth. Landeskirche Hannovers (erscheint November 2014)

Biermann, Dorothea, Auf dem Weg ins Pfarramt und ins Landeskirchenamt, in: Angekommen!

»Darum wagt es, Schwestern …«. Zur Geschichte evangelischer Theologinnen in Deutschland/Frau­en­for­schungs­projekt zur Geschichte der Theologinnen (Göttingen), Neukirchen-Vluyn 1994 (Historisch-theologische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 7)

Henze, Dagmar, Die Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland, in: »Darum wagt es, Schwestern …«, a.a.O., 19-40

Käßmann, Margot, Reformation 1517-2017: 500 Jahre Zukunft, in: epd-Dokumentation 18/2014, 27-36

Köhler, Heike, Deutsch – Evangelisch – Frau. Meta Eyl – eine Theologin im Spannungsfeld zwischen nationalsozialistischer Reichskirche und evangelischer Frauenbewegung, Neukirchen-Vluyn 2003

Köhler, Heike, Kirchenpolitische Notwendigkeiten zur Errichtung eines Theologinnenamtes, in: »Darum wagt es, Schwestern …«, a.a.O., 55-70

Meister, Ralf, Vorwort, in: Angekommen!

Schäfer-Richter, Uta, Der lange Weg der Frauen ins Pfarramt – Dokumentation zur Geschichte der Pastorinnen in der hannoverschen Landeskirche, in: Angekommen!

Wendorf-v. Blumenröder, Susanne, »Es fehlt kein Pastor, nur Vikarin Kimm«, in: Lebensweisheit und Praktische Theologie. Christiane Burbach zum 65. Geburtstag, hrsg. von Fritz Heckmann, Göttingen 2014, 65-92


Quellen

Aus der ersten Beratung des Kirchengesetzes über die Anstellung und über die Vorbildung der Pfarramtshelferinnen, Aktenstück 13, 4. Sitzung des zweiten Landeskirchentages, 20. April 1928. Protokolle des zweiten Landeskirchentages der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, 1928, S. 82-89

Bericht über die Arbeit von Meta Eyl in der Gartenkirchengemeinde. Der Kirchenvorstand der Gartenkirchengemeinde an das Landeskirchenamt, Hannover, 26. November 1926. LKA Hannover, L1 Nr. 35

Eingabe des Verbandes evangelischer Theologinnen. Marburg, den 1. Juni 1925. Aktenstücke des ersten Landeskirchentages, Anlage 2 zu Aktenstück Nr. 45, S. 116

Ev.-luth. Landeskirchenamt Hannover an den Ev.-luth. Kirchensenat, Hannover, den 25. Mai 1927. LKA Hannover, L1 Nr. 35

Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, Das Landeskirchenamt an Frau Pastorin Hildegard Juhle, Hannover, den 2. März 1964, Privatbesitz Juhle

Juhle, Hildegard, Mein Werdegang als Vikarin und dann Pastorin in der hannoverschen Landeskirche, Göttingen im Januar 2014, unveröffentlicht

Protokolle des zweiten Landeskirchentages der hannoverschen Landeskirche, 1928, S. 604-611


Anmerkungen:

1 Margot Käßmann, Zukunft, 31.

2 Am 1./2.11.2014 findet eine Tagung zum Thema »Angekommen! Der lange Weg der Frauen ins Pfarramt« in der Evang. Akademie Loccum statt; die gleichnamige Dokumentation erscheint im November 2014. Die Wanderausstellung wird ebenfalls in Loccum erstmals zu sehen sein.

3 Dagmar Henze, Anfänge.

4 Heike Köhler, Notwendigkeiten.

5 Über den Verband (heute Konvent) evangelischer Theologinnen Deutschlands wird Dr. Cornelia Schlarb in der Ausgabe Oktober 2015 an dieser Stelle ausführlicher berichten.

6 Eingabe des Verbandes, 116.

7 Aus der ersten Beratung, 82-89.

8 Landeskirchenamt an Kirchensenat 1927.

9 Heike Köhler, Deutsch.

10 Bericht über die Arbeit von Meta Eyl.

11 Protokolle des zweiten Landeskirchentages.

12 Protokolle des zweiten Landeskirchentages.

13 Schäfer-Richter, Frauen.

14 Schäfer-Richter, Frauen.

15 Ausführlich zur Biographie von Minna Kimm: Wendorf-von Blumröder, Kimm.

16 Wendorf-von Blumröder, Kimm, 88.

17 Das Siegel wurde durch Susanne Wendorf-von Blumröder zugänglich gemacht.

18 Wendorf-von Blumröder, Kimm, 77f.

19 Wendorf-von Blumröder, Kimm, 85.

20 Schäfer-Richter, Frauen.

21 LKA Hannover, L 5f 371.

22 Schäfer-Richter, Frauen.

23 Schäfer-Richter, Frauen.

24 Hildegard Juhle, Werdegang, 3.

25 Hildegard Juhle, Werdegang, 3.

26 Hildegard Juhle, Werdegang, 5f.

27 Ev.-luth. Landeskirche an Pastorin Hildegard Juhle, 2. März 1964. Die 31 Vikarinnen waren überwiegend in übergemeindlichen Einrichtungen tätig. Lediglich fünf versahen ihren Dienst in einer Kirchengemeinde (vgl. Schäfer-Richter, Frauen).

28 Ralf Meister, Angekommen, Vorwort.


 

Über die Autorin / den Autor:

OKR Dr. Heike Köhler, Mitarbeiterin im Frauenforschungsprojekt zur Geschichte der Theologinnen, 2001 Promotion, 2001-2011 Pastorin in der Kirchengemeinde Kathrinhagen/Rolfshagen, seit 2011 Referentin für Visitation und Projekte im Landeskirchenamt Hannover.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 10/2014

1 Kommentar zu diesem Artikel
04.11.2014 Ein Kommentar von Cornelia Schlarb Besten Dank, lieber Herr Haigis, dass wiederum ein sehr guter Artikel zu den Anfängen der Ordination und Gleichstellung von Frauen im Pfarramt erschienen ist. Meine Hoffnung ist, dass angeregt durch diese Artikelserie in allen Landeskirchen nach den Anfängen der Gleichstellung von Frauen und Männern im Pfarramt geforscht wird, damit bis 2017 ein Gleichstellungsatlas entstehen kann.
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