Die Abkehr von der umlagefinanzierten hin zu einer kapitalbasierten Altersvorsorge hat sich finanzmarktpolitisch als Irrweg erwiesen. Indem die Kirchen auf diesen Zug aufgesprungen sind, haben sie sich – nach Franz Segbers – aber nicht nur zu Komplizen des ­Finanzkapitalismus gemacht, sondern auch Grundüberzeugungen christlicher Sozialethik vergessen.

 

Warnungen der Ökumene vor einer Finanzmarktkrise

Schon seit langem haben sich die Kirchen in ihren ökumenischen Verlautbarungen für eine radikale Neuorientierung des Wirtschaftens ausgesprochen, deren Dringlichkeit die katastrophalen Folgen der Finanzkrise zu bestätigen scheint. Die Finanzkrise weitet sich immer mehr zu einer ernsten Bedrohung des inneren sozialen Friedens in einigen Europäischen Ländern wie Griechenland, Italien oder Spanien aus und hat das eindringliche »Bekenntnis des Glaubens angesichts wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und ökologischer Zerstörung« der 24. Generalversammlung des RWB in Accra mit ihrem »Nein zur gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung, wie sie uns vom globalen neoliberalen Kapitalismus aufgezwungen wird«, zu einer wirklichkeitsnahen Forderung gemacht.

Noch am Vorabend des Ausbruchs der Finanzkrise in Europa hatte die EKD im Juli 2008 eine Denkschrift »Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive« herausgegeben.1 Darin vermeidet sie nicht, auf die ökumenische Kritik einzugehen, sondern fordert im Einklang mit dem Denken der politischen und ökonomischen Elite gar, die »Begrenzung der staatlichen Regulierung … auf das Notwendigste« (Ziff. 44) vorzunehmen und empfiehlt eine Priorität der privaten Altersvorsorge.

Nur ein Jahr später – aber nach dem Schock der Finanzkrise – hat der Rat der EKD in seinem Wort zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise »Wie ein Riss in einer hohen Mauer«2 eine bemerkenswerte Kehrtwendung vollzogen. In seinem Vorwort gesteht der damalige Ratsvorsitzende der EKD Bischof Wolfgang Huber ein, die Partner aus der weltweiten Ökumene, »nicht ernst genug genommen« zu haben. Wenn es jetzt nicht endgültig gelinge, gegen die klaren Fehlentwicklungen gegenzusteuern, müssten katastrophale Folgen für die gesamte Menschheit befürchtet werden. Die EKD wiederholt in ihrer Stellungnahme zwar ihr bekanntes Plädoyer für eine Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft, doch dringlicher als bisher klagt sie eine Kurskorrektur ein, denn offensichtlich kommen die desaströsen Folgewirkungen der weltweiten Finanzkrise immer näher. Bei aller Klarheit und vorsichtigen Abkehr von der allzu forschen Unterstützung der ökonomischen und politischen Eliten wie in der Unternehmerdenkschrift ist es jedoch auffallend, dass die eigenen Verstrickungen im Finanzkapitalismus nicht thematisiert werden. Genau diese Verstrickungen aber benennt der ÖRK-Zentralausschuss, wenn er in seiner »Erklärung zu einem gerechten Finanzsystem und einer Wirtschaft, die dem Leben dient«, sagt: »Bedauerlicherweise haben sich auch Kirchen an diesem System beteiligt und haben auf Finanz- und Wirtschaftsmodelle gesetzt, für die das Erwirtschaften von Geld wichtiger ist als Fortschritt und Wohlergehen der Menschheit.«3 Die Erklärung spricht von einer »Komplizenschaft« mit dem Finanzkapitalismus.

Wenn Huber im Vorwort des Wortes der EKD »Wie ein Riss in einer hohen Mauer« fordert, dass aus dem Umschwung eine »Umkehr« werden muss, dann muss gerade die Verstrickung in den Finanzkapitalismus durch die kapitalbasierte Finanzierung der Kirchenpensionen für Pfarrerinnen und Pfarrer sowie die Zusatzversorgung für ihre diakonischen und kirchlichen Mitarbeiter thematisiert werden. Die Privatisierung der Alterssicherung war nämlich für die Transformation hin zu einem finanzmarktdominierten Kapitalismus von entscheidender Bedeutung. Ganz im Einklang mit den politischen und ökonomischen Eliten haben einige Kirchen eine kapitalbasierte Versicherung aufgebaut und sich damit in den Finanzkapitalismus eingefügt.

Auswirkungen der Finanzkrise auf die kapitalgedeckte Altersvorsorge

Die Finanzkrise legt die schon immer befürchtete Verletzlichkeit einer kapitalgedeckten Rentenversicherung offen, denn allein bis Ende 2008 hatte sich der Wert der Anlagen um durchschnittlich 20-25% verringert. Die für die private Altersvorsorge angelegten Vermögen schrumpften um sagenhafte 5,4 Bio. US-Dollar.4 Viele kapitalgedeckte Pensionsfonds standen kurz vor dem Kollaps. Auch wenn die dramatischen Vermögensverluste sich vor allem auf dem US-Markt abzeichneten, waren auch Deutschlands kapitalgedeckte Versicherungen mit Verlusten, die unter 10% lagen, betroffen.5

Die Hoffnung, dass private Renten gleichsam schatzbildnerisch angesammelt und aufgebaut werden könnten, hat sich in der Finanzkrise als Missverständnis erwiesen. Versicherungskonzerne und Rentenfonds schweigen aus verständlichen Gründen über die systemischen Risiken und die Instabilität eines privatisierten Rentensystems, wie sie in der Finanzkrise offenkundig geworden sind, denn sie haben mit der Umstellung auf eine kapitalbasierte Alterssicherung sehr viel Geld verdient. So konnten mehr als die Hälfte der rund 900 niederländischen Pensionsfonds nicht einmal den gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleich für die jährliche Inflation und die Mindestverzinsung der Rentenansprüche garantieren. Da in Deutschland die Pensionsfonds noch nicht so verbreitet sind wie in den Niederlanden, war der Einbruch nicht dermaßen dramatisch. Mit dem nach wie vor dominanten Gewicht der gesetzlichen Rentenversicherung und den Schutzmechanismen ist die Altersvorsorge auch der Kirchen bislang noch relativ gut durch die Krise gekommen. Doch auch hierzulande zeigen sich bereits erste krisenhafte Verwerfungen.

Die Niedrigzinsphase macht den Versicherungsunternehmen zu schaffen. Sie haben zunehmend Schwierigkeiten, bei Lebensversicherungen und Anlagen für die Alterssicherung die Mindestbedingungen einzuhalten. Das niedrige Zinsniveau hat 2011 bei der Wieder- bzw. Neuanlage der deutschen Lebensversicherer bereits zu entgangenen Zinseinnahmen von über 1 Mrd. Euro geführt. Die weiter anhaltende Niedrigzinsphase wird sich zunehmend auf die Leistungen der Lebensversicherung und andere Formen der privaten Altersvorsorge auswirken. Wie unsicher die Finanzanlagen sind, zeigt sich bereits bei den deutschen Lebensversicherungen, die nach dem Börsencrash von 2001 rund 6 Jahre brauchten, um ihre Verluste wieder auszugleichen. Doch schon 2008 waren deren Reserven wieder drastisch um durchschnittlich 20% zusammengeschmolzen.

»Wackelige Lebensversicherer bedrohen private Renten. … Lediglich für riskante Festverzinsliche bekommen sie überhaupt noch auskömmliche Renditen.«6 Fallende Aktienkurse, schrumpfende Anleiherenditen, niedrige Zinsen machen es den Lebensversicherungen derzeit unmöglich, selbst den Garantiezins zu erwirtschaften, obwohl er abermals im Jahr 2011 von 2,25% auf 1,75% abgesenkt worden war.7 Die Pensionskassen können nur noch sichere Anleihen mit niedrigen Zinsen aufnehmen.

Wenn die Niedrigzinsphase über einige Jahre andauern sollte, befürchten Fachleute Probleme mit den Renten und Pensionen. Der Rechnungszins zahlreicher Versorgungswerke liegt bei 4%, der jedoch in Niedrigzinsphasen nicht mehr zu erwirtschaften ist. Wenn jedoch der Rechnungszins gesenkt wird, wird mehr Deckungskapital benötigt, wenn die Renten stabil gehalten werden sollen. Die meisten Versorgungswerke können ihre Renditeversprechen noch halten, doch wenn die Zinsen weiterhin so niedrig sind, müssen sie notfalls die Renten kürzen. So hat der Oberste Rechnungshof in Bayern 2012 einige geprüfte Versorgungswerke aufgefordert, »strukturelle Eingriffe in die Leistungsseite« – also Rentenkürzungen – vorzunehmen.8 Wenn sie allerdings nicht kürzen wollen, dann steht für Kirchenpensionen die Frage an, ob durch Kirchensteuermittel Kapital beigesteuert werden muss. Doch das bedeutet zugleich, dass anderweitig gekürzt werden müsste.

Die Rating-Agentur S&P hat bereits die Versicherungen gewarnt, dem anhaltenden Niedrigzinsniveau nicht gewachsen zu sein. Sollte sich das Umfeld nicht zum Besseren wenden, dann würde die Kreditwürdigkeit der Assekuranzen herabgestuft.9 Axel Kleinlein nennt die Rentabilität der Riester-Rente ernüchternd, da die zu erwartenden Renditen seit der Einführung der Riester-Rente um mehr als ein Drittel gesunken sei.10 Daher empfiehlt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW, dass »es die Riester-Produkte nicht mehr geben« und »die öffentliche Hand die Gelder aus der Riester-Förderung gezielter in der gesetzlichen Rentenversicherung insbesondere für Geringverdiener und untere Einkommensgruppen einsetzen sollte.«11

Die verheißene prinzipielle Vorteilhaftigkeit der privaten, kapitalgedeckten Finanzierung der Alterssicherung ist in der Finanzkrise widerlegt worden. So ist auch bei der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, die noch vor Jahren eine kapitalbasierte Rente propagiert hatte, eine neue Nachdenklichkeit zu vernehmen, muss sie doch nun eingestehen: »Künftige Rentengenerationen werden es nicht leicht haben: Der Anlagennotstand der Pensionskassen ist abzusehen.«12 Diese allgemeine Entwicklung auf dem Kapitalmarkt ist systemisch bedingt und trifft deshalb auch die kirchlichen Anleger, die kirchlichen Versorgungskassen und Pensionen und zwar unabhängig davon, ob sie sich in ihrem Anlageverhalten nach ethischen Kriterien ausrichten oder nicht.

Kirchen im Einklang bei der Überführung der Alterssicherung auf die Kapitaldeckung

Spätestens seit den 1970er Jahren setzte sich in der sozialpolitischen, ökonomischen und öffentlichen Debatte nach und nach die Überzeugung durch, dass ein über Steuern und Abgaben finanziertes System der Alterssicherung im Umlageverfahren ineffizient und aufgrund demographischer Entwicklungen in Zukunft nicht länger finanzierbar sei. Es sollte deshalb durch eine kapitalgedeckte private Finanzierung der Alterssicherung ergänzt oder sogar ersetzt werden. Seit der Rentenreform von 1957 basiert die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland auf dem Umlagesystem, das den Versicherten den im Beruf erworbenen Lebensstandard sichern sollte. Der grundlegende Wechsel in der Rentenpolitik seit der rot-grünen Koalition bestand in einem Abschied von dieser Lebensstandardsicherung, in dem das Rentenniveau abgesenkt und eine privat finanzierte Rente, die Riesterrente, propagiert wurde, welche die Niveauabsenkung der Gesetzlichen umlagefinanzierten Rente ausgleichen sollte. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Investment- und Vermögensverwaltungsgesellschaft resümiert im Rückblick: »Wenig bekannt ist, dass die Investmentbranche einer der wesentlichen Impulsgeber zur Reform der Altersvorsorge in Deutschland war.«13 Ursprünglich von der Weltbank favorisiert wurden keine sozialpolitischen, sondern wirtschaftspolitische Absichten verfolgt, nämlich: die gesamtwirtschaftliche Ersparnis und die Investitionen sollten erhöht und dadurch das Wirtschaftswachstum gefördert werden.

Die Kritik der umlagefinanzierten Alterssicherung erfasste zeitgleich auch die Kirchen. In Westdeutschland hatte die Mehrzahl der Landeskirchen ihre Altersversorgungspflichten über kircheneigene Versorgungskassen nach dem Kapitaldeckungsprinzip abgesichert außer Baden, Bayern und Hessen-Nassau. Mit Wirkung vom 1.1.1992 waren auch die Pfarrer und Beamten der ostdeutschen Landeskirchen der gesetzlichen Rentenversicherung beigetreten. Ab dem Jahr 2000 beabsichtigten diese Landeskirchen, die gesetzliche Rentenversicherung BfA zu verlassen und sich der politisch favorisierten kapitalbasierten Rentenvorsorge zuzuwenden, bei der die Kirchlichen Versorgungs-Kassen einen Kapitalstock bilden, aus dessen Zinsen und Renditen die Ruhegehälter (mit)gezahlt werden.

Die kapitalbasierte Altersvorsorge wird als wirkungsvoller und effizienter als die umlagebasierte Rente bezeichnet. Dieses Denken in Kategorien eines »renditeorientierten Verständnisses der Altersvorsorge«14 lässt sich exemplarisch an den Beratungen auf der Synode der EKHN nachzeichnen. Im Entwurf für ein Kirchengesetz zur Änderung des Versorgungsgesetzes für die Synode der EKHN werden drei Hauptargumente für einen Ausstieg aus der BfA und den Aufbau eines Kapitalstocks aufgeführt: Die Beitragssätze haben sich erstens erhöht und die Leistungen gleichzeitig verschlechtert; der demographische Wandel werde zweitens diese Tendenz fortsetzen und schließlich werde drittens die »Verzinsung« des an die BfA geleisteten Geldes weiter sinken (sie betrage jetzt schon weniger als 2% p.a.).15

Zu den Hauptargumenten für den Ausstieg aus der umlagefinanzierten Altersversorgung ist folgendes anzumerken: Die Alterung der Gesellschaft wurde in eine ethische Debatte um die Generationengerechtigkeit überführt und dabei wurde verdrängt, dass die Gerechtigkeitsfrage innerhalb derselben Generation zugedeckt wird. Gerechtigkeit zwischen den Generationen wird verletzt innerhalb derselben Generation. Die »demographische Entwicklung« und »Generationengerechtigkeit« verstecken eine dramatische Umverteilungspolitik. Durch Riester-, Nachhaltigkeits- und Nachholfaktor, Kürzung der Anrechnung von Ausbildungszeiten, marginale Beitragszahlungen bei Arbeitslosigkeit und schließlich die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre erfolgte eine Abkopplung der Renten von der allgemeinen Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums und vom Grundsatz der Lebensstandardsicherung. Die Alterung der Gesellschaft muss deshalb keineswegs die wirtschaftliche und finanzielle Basis solidarischer Rentensysteme untergraben.

Zweitens wird das Argument angeführt, dass gemessen an der Idee der Leistungsgerechtigkeit die Rentenpolitik in einem schlechten Licht stehe, denn die Leistungen würden gekürzt und die Beiträge erhöht. Darin drückt sich ein Leitbildwechsel aus, bei dem der Beitragshöhe ein Vorrang vor dem Leistungsziel eingeräumt wird. Der Synodale und frühere hessische Sozialminister Armin Clauss nannte es einen »unsolidarischen Akt«, wenn die politisch verursachte Belastung der Rentenversicherung durch die Kosten der Wiedervereinigung und die Arbeitslosigkeit von der Synode zum Anlass genommen würde, eigene Weg in der Altersversorgung durch den Aufbau eines Kapitalstocks zu gehen. Der Synodale Clauss verwies auf das ökonomische und finanzielle Risiko, das beide Systeme haben: »Die demographischen Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf Kapitalmarktverfahren.«16

Die Synodenunterlagen führen ein Argument an, das ökonomisch kaum haltbar ist: »Der Grund hierfür (für die höhere Verzinsung, F.S.) ist darin zu sehen, dass eine Altersversorgung durch den Kapitalmarkt letztendlich am (Produktivitäts)Wachstum einer Volkswirtschaft partizipiert, während eine staatliche Rente »nur von der staatlichen Garantie lebt, die allerdings keinen Ewigkeitscharakter hat, sondern politischen Opportunitätserwägungen unterworfen ist.«17 Clauss verweist auf den ökonomischem Grundsatz nach Gerhard Mackenroth, dass bei einer Umlage, Steuerfinanzierung oder Kapitaldeckung, »aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muss. Es gibt keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand fließen könnte.«18 Wenn Renten und Pensionen, ob steuerfinanziert, umlagefinanziert oder kapitalgedeckt, immer nur die eine Quelle in der jeweils bestehenden Wirtschaftskraft haben, dann müssen die Rentenversorgungsansprüche immer aus der jeweiligen Wirtschaftskraft gedeckt und verteilt werden. Strittig ist nur die Begründung der Verteilung: erfolgt der Zugriff auf das erwirtschaftete Sozialprodukt über Ansprüche aus einem Kapitalstock, der angespart wird, oder über die Solidarität der Generationen durch eine Umlagefinanzierung? Dieser Vorgang ist ethisch bedeutsam. Die soziale Alterssicherung ist deshalb nicht nur als eine bloße technische Finanzierungsfrage zu begreifen. Sie ist vielmehr immer auch Ausdruck, wie die gesellschaftliche Solidarität organisiert wird, bei der diejenigen, die arbeiten, für die einstehen, die nicht mehr arbeiten. Diese gesellschaftliche Solidarität kann aber politisch gestärkt oder geschwächt werden.

Drittens: Wenn private Kapitalversicherungen höhere Renditen abwerfen als eine gesetzliche Rente im Umlageverfahren, dann bedeutet dies, dass der Finanzsektor einen höheren Anteil am gesellschaftlichen Anspruch erhebt. Die EKHN erhoffte sich mit dem Ausstieg aus der Umlagefinanzierung der Pensionen, mindestens 10 Mio. Mark jährlich sparen zu können, wenn ein Teil der Ruhegehälter von Kirchenbeamten in Zukunft nicht mehr von der Bundesanstalt für Angestellte (BfA) ausgezahlt, sondern von der Evang. Ruhegehaltskasse und der Versorgungsstiftung der EKHN übernommen würde.

Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich angesichts der empirisch beobachteten sinkenden Renditen bei gleichzeitig hoher Unsicherheit der Leistungshöhe der behauptete Vorteil des Kapitaldeckungsverfahrens nicht nachweisen lässt.19 Ein »renditeorientierte Verständnis der Altersvorsorge« (Hockerts) belegt den Paradigmenwechsel, denn ein Vergleich der »Verzinsung« der Gelder, die in die Umlagefinanzierung fließen, mit jenen, die am Kapitalmarkt angelegt werden, übersieht die unterschiedlichen Logiken von Rentenversicherung und Kapitaldeckung. Die private Kapitalanlage verspricht die Verzinsung der privaten Ersparnisse durch die Bildung eines Kapitalstocks, während die Umlagefinanzierung eine Solidarität aller Rentnerinnen und Rentner gewährleisten will, damit sie gemäß ihrer Beiträge, die sie während ihres Arbeitslebens eingezahlt haben, an der Entwicklung des Sozialprodukts teilhaben können. Die gesetzliche Rentenversicherung mit ihrer Teilhabeäquivalenz unterscheidet sich grundlegend von der versicherungsmathematischen Äquivalenz der privaten Rentenversicherung. Die damalige Privatisierungseuphorie wollte die Risiken der kapitalbasierten Altersvorsorge nicht wahrnehmen, obwohl nach Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung die umlagefinanzierte Rente einem Renditevergleich sehr wohl standhalten kann. Langfristig ist von einer positiven Rendite von mindestens 2,7% bei der umlagefinanzierten Rente auszugehen, während der Garantiezins der privaten, kapitalgedeckten Altersvorsorge seit 2007 nur bei 2,25% liege.20

Die Abkehr vom umlagefinanzierten solidarischen Verfahren und die Hinwendung zum Kapitaldeckungsverfahren am Kapitalmarkt stellt nicht nur ein finanztechnisches Problem dar, sondern ist sozialethisch bedeutsam, da die Kirchen auf den fatalen Erfolg eines renditeträchtigen Finanzsystems für die Finanzierung der Pensionen setzen. Sie ziehen somit ihren Vorteil aus einem System, das auf renditeträchtige Anlage bedacht ist und Finanzmittel ins Kasino spült. Doch eben dadurch treiben die Kirchen den Kasinokapitalismus an. Wenn Pensionen und Renten über den Kapitalmarkt finanziert werden, entsteht ein immanenter Druck auf den Kapitalmarkt, möglichst hohe Renditen abzuwerfen. Es sind aber eben diese hohen Renditeerwartungen, die in die Finanzkrise geführt haben.

In den Synodenunterlagen für die Beratungen der EKHN über einen Ausstieg aus der BfA wird behauptet: »Die Erfahrungen der vergangenen 50 Jahre in Deutschland sowie die Erfahrungen in Ländern mit vorwiegend privat organisierter Altersversorgung zeigen, dass jedoch ein über das Kapitaldeckungsverfahren und damit letztendlich über den Kapitalmarkt organisiertes Altersversorgungssystem genau so sicher wie eine staatliche Rente ist, aber wesentlich höhere Erträge abwirft und damit geringere jährliche Beitragszahlungen erfordert.«21 Doch diese Behauptung lässt sich gerade nach der Finanzkrise nicht aufrechterhalten. »Insbesondere die Annahme einer deutlich höheren Rendite erwies sich als Illusion.«22

In den Beratungen der Synode der EKHN hat der Synodale Sunnus den rentenpolitischen Paradigmenwechsel angesprochen, der eine stärkere kapitalmarktbasierte Altersvorsorge privilegierte: »Der tiefste Hintergrund wohl für dieses moderne Denken ist, das sich keiner mehr den Supergau der Finanzwirtschaft vorstellen kann.«23 Kriszeleit, Finanzreferent der EKHN, hat die systemischen Risiken des Finanzmarktes heruntergespielt: »Wenn ein neuer Krieg kommt, dann ist es finanzwirtschaftlich ein Supergau.« Doch die Finanzkrise hat auch ohne Krieg zu einem finanzwirtschaftlichen Supergau geführt. Die in der Finanzkrise verursachten Vermögensverluste belegen, dass die kapitalgestützten Rentensysteme keines der massiven Finanzierungssysteme lösen, sondern sich als eine Quelle wirtschaftlicher und sozialer Instabilität erweisen.24

Der Schock der Finanzkrise mit seiner ungeheuren Vernichtung von Vermögenswerten für die Altersvorsorge muss zu einer kritischen Reflexion des bisherigen Weges führen. Die systemische Krise des Finanzmarktkapitalismus ist auch eine systemische Krise der kapitalgedeckten Rentenversicherung, die umso bedrohlicher ist, je weiter die Kapitaldeckung der Altersvorsorge diese in den systemisch unsicheren Finanzmarkt einbindet. Der Synodale Clauss sollte mit seiner Kritik am Ausstieg aus der BfA, den er »gesellschaftspolitisch und kirchenpolitisch für falsch«25 hielt, Recht bekommen. Die propagierte Kapitaldeckung hat sich systemisch als krisenanfällig erwiesen und die Altersvorsorge unsicherer gemacht. Diese Erkenntnis aber bedeutet nichts weniger, als dass den Kirchen selber eine Umkehr bevorsteht, in der sie ihre Komplizenschaft mit dem destruktiven Finanzkapitalismus aufkündigen. Denn sie ist in die Irre gegangen.

Unzeitgemäße theologische Zwischenüberlegungen zu einer gerechten Altersversorgung

Das vom Finanzkapitalismus und seinen Verheißungen geprägte kulturelle Großklima hat frühere theologische und ethische Einsichten vergessen gemacht. Vor dem Siegeszug des Finanzkapitalismus und seiner Verheißungen wusste man noch, dass die Akkumulation von Vermögen aus arbeitslosem Kapitaleinkommen sich nicht auf Kosten derer vollziehen darf, die als Arbeitende am Zustandekommen des Produktionsergebnisses beteiligt sind. Georg Wünsch, der die erste evangelische Wirtschaftsethik 1927 verfasste, nannte – wie fremd doch für heutiges Denken! – den »Zins … Ausbeutung fremder Arbeit. … Zins und Dividende gehören entweder dem Unternehmen, um es auszubauen und die Produktion zu verbilligen, oder sie sind in Form von Gehältern und Löhnen an die im Betrieb Arbeitenden auszuzahlen.« Gerade dies aber geschieht im Finanzkapitalismus nicht, wenn Pensionen sich aus der Akkumulation von Renditen und Zinsen speisen.

Die Unternehmen sind im Finanzkapitalismus eine Kapitalanlage in den Händen der Aktionäre. Folglich bedienen die Manager ausschließlich die Interessen der Aktionäre, während die Interessen der Belegschaft, der Kunden oder das Interesse an der Erhaltung der natürlichen Umwelt keine oder nur eine nachrangige Rolle spielen. Die Finanzmärkte üben deshalb systemisch Druck auf die Unternehmen aus, möglichst wenig Steuern, möglichst niedrige Löhne und möglichst geringe Sozial- und Umweltabgaben zu zahlen, um eine möglichst hohe Rendite an die Anteilseigner auszahlen zu können. Nicht anders als Wünsch urteilte auch der bedeutende Schweizer Ethiker Emil Brunner, der nach den Erfahrungen mit der Weltwirtschaftkrise 1932 eben diesen Renditezins »eine ethisch bedenkliche Größe« nannte, denn er begründe ein arbeitslos zustande gekommenes Einkommen. Auch wenn der Zins für die Wirtschaft unentbehrlich sei, so hafte ihm doch nach Brunner ein »Makel« an. Was Brunner aber einen »Makel« nennt, wird im Finanzkapitalismus zu einem Vorteil, den es auch für die Pensionen zu nutzen gelte. Wie weltfremd muss es heute wirken, wenn Brunner den Christen damals mahnte, dass er angesichts des ethischen Dilemmas das, was er an arbeitslosem Einkommen gewinnt, der Gesellschaft zurückerstatten möge – und eben nicht privat aneignet!

Diese ethischen Bedenken, werden völlig verdrängt in einem Diskurs, der sich umgekehrt als ethisch verantwortliche Eigenvorsorge darstellt. Das viel benutzte Wort »Eigenverantwortung« kaschiert nur die Rücknahme des Staates von seiner Verantwortung für eine gesicherte Rente durch die Übertragung dieser Verantwortung auf die Finanzwirtschaft. Sich auf dem Kapitalmarkt zu versichern, wird dann als ethischer Akt der Übernahme von Eigenverantwortung gedeutet. Eigenverantwortung steht aber nicht im Gegensatz zur Solidarität, sondern ist deren Voraussetzung. Solidarität schließt beides ein: dass jeder nach dem Maß seiner Möglichkeiten für sich verantwortlich ist und dass jeder nach dem Maß des ihm Möglichen Verantwortung für andere wahrnimmt. In diesem Sinn wird die Forderung nach einer Stärkung der Eigenverantwortung in der jüngsten Vergangenheit durchaus zu Recht erhoben worden. Doch sie hat viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt, wenn die Verantwortung für andere und die Verantwortung für das Gemeinwesen dahinter zurücktreten. Die Ermutigung zur Eigenverantwortung hat ihren Sinn darin, dass Solidarität möglich wird und möglich bleibt, nicht dass sie verschwindet.

Umkehr in die Solidarität einer gerechten Altersversorgung

Die Kosten der Alterssicherung wie des Sozialstaates insgesamt sind Unkosten der Solidarität. Die Kosten für eine armutsfeste und würdige Rente und die Verhinderung von Armut sind so hoch, wie die Kosten zur Vermeidung von Altersarmut einer Gesellschaft das wert sind, was sie kosten. Die soziale Alterssicherung ist – wie gesagt – nicht nur als eine Finanzierungsfrage zu begreifen, die sich über individuelles Sparen oder Kapitalbildung lösen ließe, sondern vielmehr immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität, bei der diejenigen, die arbeiten, für die einstehen, die nicht mehr (und noch nicht) arbeiten. Und diese Solidarität kann politisch gestärkt oder auch geschwächt werden.

Das Kapitaldeckungsverfahren am Kapitalmarkt ist keineswegs nur ein finanztechnisches Problem; es bedeutet sozialethisch, dass die Kirchen auf den Erfolg eines renditeträchtigen Finanzsystems für die Finanzierung ihrer Pensionen statt auf die Solidarität der Generationen setzen. Statt die bisherigen Strukturen der Solidarität zu stärken und sozialstaatlich auszubauen, haben auch die Kirchen im Einklang mit den politischen und ökonomischen Eliten die Legitimation der solidarischen Rentenversicherung fahrlässig geschwächt. Sie wollen ihren Vorteil aus einem System ziehen, das auf renditeträchtige Anlage bedacht ist und haben dabei Finanzmittel ins Kasino gespült. Doch dadurch haben die Kirchen den Kasino-Kapitalismus angefeuert. Wer seine Pensionen und Renten über den Kapitalmarkt finanziert, der muss auch ein Interesse daran haben, dass der Kapitalmarkt möglichst hohe Renditen abwirft.

Die kapitalbasierten Alterssysteme fungierten als Katalysator bei der Transformation hin zu einem finanzmarktdominierten Kapitalismus, wie die Höhe des direkt zur Altersvorsorge angelegten Kapitalstocks anzeigt, der sich allein in Deutschland auf rund 889 Mrd. Euro summiert.26 Die kirchlichen Eliten sind so zu »Komplizen« des Finanzkapitalismus geworden. Sie haben mit der Abkehr von der Umlagefinanzierung der Altersvorsorge gezeigt, dass sie den Verheißungen einer Stabilität der Finanzmärkte mehr vertraut haben als der Solidarität der Menschen. Diese Renditeerwartungen jedoch haben sich als irrig erwiesen. »Das Versprechen stabil hoher Zinssätze für die Versicherten kann offensichtlich nicht gehalten werden.«27 Die Privatisierung der Alterssicherung und die Kapitaldeckung haben sich ökonomisch und sozial in der Systemkrise des finanzmarktdominierten Kapitalismus als Irrweg gezeigt. Finanzmärkte sind systemisch unsicher und instabil.

Die von Huber im Vorwort zur Schrift der EKD »Wie ein Riss in einer hohen Mauer« geforderte Umkehr, die über eine kurzfristige Krisenbewältigung zu einem »grundlegenden Wandel des Denkens und Handelns«28 führen soll, muss ihren Ausdruck auch und gerade in einem grundlegenden Paradigmenwechsel in der Alterssicherung finden. Diese Umkehr wird erst glaubwürdig, wenn die Kirchen sich von der kapitalgedeckten Finanzierung der Altersbezüge ihrer Beschäftigten abwenden und zur solidarischen Umlagefinanzierung zurückfinden. Es ist an der Zeit, dass die Kirchen ihre eigenen Verstrickungen in die illusionären Versprechungen des Finanzsystems aufdecken und als Zeichen der eigenen Umkehr die scheinbar so renditeträchtige und attraktive Kapitaldeckung ihrer Pensionen aufkündigen und zu der sehr viel krisensicheren Umlagefinanzierung zurückkehren. Die Umsteuerung wird kein leichter Weg, sondern ein schwieriger und langwieriger Prozess sein, der viele Detailfragen aufwirft. Doch die Rückkehr zur Solidarität der Umlagefinanzierung ist nicht nur ökonomisch vernünftig und sozialethisch angezeigt sondern auch ein theologisch kräftiges Zeichen der Umkehr.

Anmerkungen:

1 S. die kritische Auseinandersetzung mit der Denkschrift in: Ulrich Duchrow/Franz Segbers (Hg.), Frieden mit dem Kapital? Wider die Anpassung der evangelischen Kirche an die Macht der Wirtschaft, Oberursel 2008.

2 EKD-Texte 100.

3 »Erklärung zu einem gerechten Finanzsystem und einer Wirtschaft, die dem Leben dient«, ÖRK Zentralausschuss, Genf vom 2.9.2009. Während in der deutschen Fassung eher neutralisierend von »Beteiligung« gesprochen wird, heißt es im englischen Original: »Unfortunately, churches have also been complicit in this system.« (Punkt 6) »Complicit« heißt: an etwas mitschuldig zu sein, Komplize sein, abgedruckt in: www.oikoumene. org/resources/documents/central-committee/
geneva-2009.

4 OECD vom 23. Juni 2009: Pensions at a glance. Berlin/Paris 2009.

5 Heike Joebges/Volker Meinhardt/Katja Rietzler/Rudolf Zwiener, Kapitaldeckung in der Krise. Die Risiken privater Renten- und Pflegeversicherungen, FES WISo Diskurs, Juli 2012, 8.

6 WELT-online vom 16.10.2011.

7 Veronika Csizi, In der Zinsfalle, IN: ZEIT-online, 26.7.2012.

8 Auch Freiberufler trifft der Niedrigzins, FAZ vom 16. November 2012, S. 24.

9 WELT-online vom 16.10.2011.

10 Axel Kleinlein, Zehn Jahre »Riester-Rente« – eine ernüchternde Rentabilitätsanalyse, FES, WISO direkt, September 2011, 3.

11 Interview mit Kornelia Hagen, Schlechte Produkte zuungunsten der Versicherten, in: DIW Wochenbericht, 47/2011, 15.

12 FAZ vom 21.7.2012.

13 Zit. in: Hans Günter Hockerts, Abschied von der dynamischen Rente. Über den Einzug der Demographie und der Finanzindustrie in die Politik der Alterssicherung, in: ders., Der deutsche Sozialstaat. Entfaltung und Gefährdung seit 1945, Göttingen 2011, 294-325, hier 308.

14 Hockerts, Abschied von der dynamischen Rente, 310.

15 Drucksache Nr. 63/99.

16 5. Tagung, neunte Kirchensynode 31.3.-2.4. 2000, 153.

17 Drucksache Nr. 63/99, S. 8.

18 Gerhard Mackenroth, Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Plan, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik. Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, hg. von Gerhard Albrecht, Berlin 1952, 39.

19 Joebges/Meinhardt/Rietzler/Zwiener, Kapitaldeckung in der Krise, 9.

20 Was ist eine gerechte Rente? Sozialethische Analysen zu aktuellen Herausforderungen in der Alterssicherung, von Axel Bohmeyer, Andreas Lob-Hüdepohl und Christof Mandry, icep Arbeitspapier Berlin 1/2011, S. 5.

21 Drucksache Nr. 63/99, S. 7f.

22 Joebges/Meinhardt/Rietzler/Zwiener, Kapitaldeckung in der Krise, 22.

23 4. Tagung, neunte Kirchensynode November/Dezember 1999, 309.

24 Richard Detje, Systemische Risiken privater Alterssicherung, in: Hans-Jürgen Urban/Christoph Ehlscheid/Axel Gerntke (Hg.), Der neue Generationenvertrag, Hamburg 2010, 157-175, hier 162.

25 4. Tagung, neunte Kirchensynode November/Dezember 1999, 309.

26 Vgl. Christian Christen, Kapitalanlage von Lebensversicherern, Pensionskassen und Pensionsfonds. Grafikpapier (2011), http://www.chefvolkswirt.net/eigene-veröffentlichungen/neu.

27 Joebges/Meinhardt/Rietzler/Zwiener, Kapitaldeckung in der Krise, 3.

28 Huber, Vorwort, Wie in Riss in einer hohen Mauer, 5.

Über die Autorin / den Autor:

Prof. Dr. Franz Segbers, Professor für Sozialethik an der Universität Marburg.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 3/2013

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