Ein Interview mit Generalsuperintendentin Heilgard Asmus

Schon in den 90er Jahren fanden in Brandenburg (und in den östlichen Landeskirchen allgemein) flächendeckend Fusionen von Kirchenkreisen, kirchliche territoriale Gebietsreformen, statt. Angesichts eines relativ hohen Mitgliederrückgangs1  und zurückgehender Zuweisungen an die Kirchenkreise, namentlich für Personal2, sucht man z.B. im Kirchenkreis Wittstock-Ruppin Antworten mit dem Ziel der Personal- und Finanzsicherheit und dem Ziel der »Strukturanpassung zur Verbesserung des kirchlichen Lebens vor Ort« 3.

Frau Asmus, die Synode der EKBO hat gerade ein neues Strukturmodell für die Gemeinde- und Kirchenkreisebene beschlossen. Was ist das wesentliche Merkmal und welches Ziel wollen Sie erreichen?

Die Synode hat ein Gesamtkirchengemeindegesetz verabschiedet. Es ist auch aufgenommen in der Grundordnungsänderung, die auf der gleichen Tagung beschlossen wurde. Wir wollen erreichen, dass Gemeinden, die von sich aus feststellen: wir können verwaltungstechnisch in einer größeren Einheit arbeiten, weil wir das geistliche Leben vor Ort stärken wollen – dass diese Gemeinden leichter Gelegenheit dazu haben, ohne dass es jeweils ein extra Gesetz geben muss.

Eine heikle Frage war dabei schon die der Pfarrstellenbesetzung – wie ist die Pfarrstellenbesetzung in diesem Gesetz geplant?

Die Gesamtkirchengemeinde ist dabei besetzende Gemeinde. Der Gesamtgemeindekirchenrat wählt die Pfarrerin oder den Pfarrer, sofern es keine konsistoriale Besetzung ist.

Durch die Strukturveränderungen können Entlastungen an der einen, größere Belastung an anderen Stellen entstehen.

Eine mögliche größere Belastung kann darin liegen, dass ein Gesamtgemeindekirchenrat nicht mehr nur für eine kleine Gemeinde denken und vorplanen muss, sondern für mehrere Ortskirchen zusammen. Das setzt natürlich einen Mentalitätswechsel voraus. Nicht mehr nur der eigene Kirchturm ist das Wichtigste, sondern eine ganze Region. Das kann zu Belastungen führen. Weil das wirklich ein anderes Denken voraussetzt: ein solidarisches. Die Verwaltungsthemen, die zu bearbeiten sind, sind zugleich auch etwas vielfältiger, weil für mehrere Orte gedacht werden muss, wenn es z.B. um Bausachen geht.

Auf der anderen Seite gibt es Bereiche vor Ort, wo der verantwortliche Ortskirchenrat sagen kann: wir sind jetzt befreit von Verwaltung, wir können inhaltlich stärker tätig werden und uns überlegen, welche Gottesdienste wir wie feiern wollen oder wie es mit der Jugendarbeit weitergehen kann, oder auch, wie wir Evangeliumsverkündigung in anderen Bereichen organisieren. Ein Ortskirchenrat kann sich also eher geistlicher Arbeit widmen.

Sie erkennen also einen größeren Entscheidungsspielraum. Wie sieht es aus mit der Entscheidungshoheit? Die geht verloren?

Der Gesamtgemeindekirchenrat ist derjenige, der verbindlich die Beschlüsse fasst. Aber dort ist ja aus jedem Ortskirchenvorstand ein Mitglied vertreten. Keine Gemeinde fällt also weg in der Frage der Mitbestimmung. Was verloren geht, ist die Siegelhoheit jeder einzelnen kleinen Gemeinde, daran hängt offensichtlich viel Selbstbewusstsein. Doch geistliches Leben sollte man nicht daran messen.

Geht diese Veränderung nicht auch zu Lasten der Nähe zu den Menschen?

Die Erfahrung des Modellkirchenkreises Wittstock-Ruppin sagt, dass es gerade nicht zu Lasten der Nähe geht. Weil diejenigen, die Verantwortung übernehmen, ganz besonders auf die Meinungen in ihren Orten achten und diese in das größere Gremium (Gesamtgemeindekirchenrat) einbringen. Die Art, wie Verantwortung übernommen wird und die Kompetenzen von ehrenamtlicher Leitung sind wohl bewusster geworden, als es vorher war.

Was ist mit den Gemeinden, die ihre hergebrachte Eigenständigkeit vorziehen und sich wehren, etwa, weil sie sagen, die Nähe zu den Menschen gehe verloren?

Sie haben genau davor Furcht gehabt und sich aus diesem Grund einem Gesamtgemeindemodell verweigert. Inzwischen ist es so, dass in diesem Bereich 5 Gemeinden fusioniert haben, die zu den schärfsten Kritikern gehörten, weil sie nach 5 Jahren entdeckt haben, sie können die Arbeit doch gemeinsam tun. Das ist ein Prozess, den wir mit einiger Überraschung zur Kenntnis genommen haben. Aber vielleicht brauchen solche Modelle auch Zeit. Und möglicherweise ist das neue Gesetz günstiger, weil es den Gemeinden die Entscheidung lässt, sich so zu entscheiden oder anders. In unserem Modellkirchenkreis Wittstock-Ruppin, da war das ursprünglich für den ganzen Kirchenkreis geplant – und das war ein Weg, der zu Konflikten führte.

Andere Strukturen sind das eine, andere Steuerungsinstrumente wie ein neues Rechnungswesen (erweiterte Kameralistik/Doppik) das Nächste. Ein neues Rechnungswesen, mit dem so entscheidende Fragen beantwortet werden können wie: Ist die Feldsteinkirche etwa 1 € oder 1 Mio. € wert? Sind das die richtigen Instrumente für Kleingemeinden, Großgemeinden, den Kirchenkreis?

(lacht) Sind das die richtigen Instrumente? Die Frage kann ich so nicht einfach beantworten. Denn wir haben es so noch nicht eingeführt. Wir sind jetzt auf dem Weg. Ich finde in jedem Fall einen Prozess spannend, mit dem wir möglicherweise am Ende wissen, was kirchliche Arbeit am Ort wirklich kostet. Ich weiß z.B. nicht, wie teuer bspw. ein Gottesdienst oder eine Stunde Christenlehre ist. Das musste ich bisher auch nicht wissen. Aber sobald wir die erweiterte Kameralistik eingeführt haben, wird es darüber auch Erkenntnisse geben. Und dann kann eine Gemeinde auch sagen, wir haben dieses Geld und für die gottesdienstliche Arbeit wollen wir die größte Summe zur Verfügung stellen, weil die uns am wichtigsten ist.

Wie das mit der Bewertung unserer schönen, schönen Kirchen ist (lacht), da sind wir alle sehr gespannt. Da gibt es noch verschiedene Modelle. Im Moment geht man davon aus, dass bei der Bewertung auch die Kubatur zugrunde gelegt könnte.

Dann lassen sie sich überraschen, ob die Gemeinden auf der Basis dieser Bewertung reich oder arm sind?

(lacht) Ich gehe davon aus, dass wir steinreich sind ..., weil wir unsere Kirchen mit einbeziehen.

Was wir auch schon vor der Einführung der erweiterten Kameralistik wissen ... Steht Aufwand und Nutzen im Verhältnis? Können sie sich diesen kostenträchtigen Weg nicht sparen?

Nein. Denn wir wissen ja immer noch nicht: Wie viel Geld geben wir für welche kirchliche Kernaufgabe aus?

Nun ist der alte kirchliche kamerale Haushalt intransparent. Auch taten sich die Ehrenamtlichen schwer damit. Mit der Doppik nehmen solche Verständnisschwierigkeiten zu. Bedeutet das schon aus diesem Grunde eine Machtverschiebung hin zu hauptamtlichen Verwaltungskräften?

Davon gehe ich nicht aus. In der EKBO wird nur die erweiterte Kameralistik eingeführt. In der Planung sind sehr viele Fortbildungen für Ehrenamtliche als Angebote, finanziert und getragen von der Landeskirche. Dort wird Stück für Stück erklärt werden, wie man z.B. mit einem Haushaltsbuch umgeht. Das finde ich einen wichtigen Ansatz, dass wir die Menschen nicht allein lassen und sagen: Ihr müsst Euch da jetzt allein reinarbeiten. Die Fortbildungen sollen regional stattfinden. Und Ehrenamtliche sind sehr kluge Menschen!

Wir sprachen von Kritikern in Gemeinden. Die haben sich teilweise als Verbände organisiert, in der EKBO, in Bayern, in der Nordkirche. Können solche Interessengruppen ein wichtiges Regulativ für ein überlastetes System Kirche bilden? Also z.B. Synoden, die heute mit extrem vielen neuen Fragestellungen konfrontiert sind, wobei sie sich selten ein umfassendes Bild machen können. Sind solche Verbände eine hilfreiche Ergänzung zur Artikulation differenzierter Fragestellungen und Interessen?

Ich finde es grundsätzlich gut, wenn sich Interessengruppen bilden, die bestimmte Sachthemen bearbeiten, die sehr differenziert wahrnehmen können und auch mit kritischen Einwänden noch einmal zum Nachdenken bringen. Das ist wirklich hilfreich. Für unsere Landeskirche gibt es neben dem Pfarrverein einen Gemeindebund, der sich vor einigen Jahren gegründet hat, da sind einige Gemeinden Mitglied geworden. Bei deren Äußerungen stelle ich immer wieder fest, dass da ein nicht wandelbares Gemeinde- und Pfarrerbild gepflegt wird, mit so einer Spitzenforderung: jede Gemeinde braucht ihren Pfarrer. Da denke ich bei Gemeinden von 8 oder 16 Gemeindegliedern: Wie soll das gehen? Ich verstehe einerseits die Sehnsucht nach Nähe und pfarrdienstlicher Vollversorgung vor Ort, und muss doch andererseits fragen, wie kann das so gestaltet werden, dass es nicht nur haushalterisch, sondern auch von der Arbeitsorganisation geleistet werden kann? Und was wird eigentlich Ehrenamtlichen zu getraut? Das sind so meine Themen, wo ich auf Antworten warte von den verschiedenen Gruppierungen ...

Wenn also der Pfarrverein oder der Gemeindebund auf Sie zukommt und sagt: Wir haben da ein Alternativmodell, das wollen wir erproben, dann antworten Sie: Ja, aber bitte ganz schnell?

Dann antworte ich: wunderbar, dass Sie sich Alternativen überlegt haben. Können wir die für den ganzen Bereich der EKBO, für die kleinsten und größten Gemeinden diskutieren, also Ideale und die unterschiedlichen Realitäten ins Gespräch bringen? Dazu bin ich sehr gern bereit.

Stichwort Pfarrerleitbild. Wer und was ist der Pfarrer/die Pfarrerin?

Wir diskutierten das ab 2000. Ziel war, dass der Pfarrberuf, der sich stark wandelt, deutlich Rahmensetzungen bekommt. Wir haben Wert auf die Frage gelegt: Was sind Kernaufgaben im Pfarrdienst? Verkündigung, Seelsorge, Bildung, Leitung mit Ehrenamtlichen. Das hat schon mal eine wenig Sicherheit gegeben. Wir haben mit dem Leitbild Dienstvereinbarungen verbunden, die es geben kann. Sie werden individuell durch die Superintendentin zwischen Gemeindekirchenrat und PfarrerIn beraten und beschlossen. Also immer mit der Beteiligung der Ältesten und der Person selbst. Das hat dazu geführt, dass Gemeindekirchenräte viel stärker wahrnehmen konnten, was sie alles an Aufgaben haben, was sie davon leisten können und was genuin pfarramtliche Aufgabe ist. Das ist ein ganz wertvoller Prozess gewesen, der noch nicht abgeschlossen ist, weil er noch nicht jede Gemeinde und jede PfarrerIn erreicht hat. Er war aber eine wunderbare Vorbereitung auf die Frage, ob man Pfarrdienst teilen kann in aufgabenbezogenen Dienst und allgemeinen Dienst. Das ist derzeit bei uns die Diskussion. Und nun haben wir einen Kirchenkreis, der aufgabenbezogene Dienste gefunden hat und da können die Gaben von Pfarrerinnen und Pfarrern ganz besonders eingebracht werden. Die Wahrnehmung, dass wir alle etwas unterschiedlich sind, dass wir für bestimmte Aufgaben verschiedene Zeiten brauchen und Anstrengungen, die kann dazu führen, dass man den Pfarrdienst den Betreffenden auch ein wenig erleichtert.

Es handelt sich also um das traditionelle Modell (im Westen)?

In unserer EKBO nicht. Wir haben nur noch wenige Spezialpfarrämter. Wer 12 Gemeinden zu versorgen hat – wie könnte man da noch differenzieren nach aufgaben- und gabenorientiertem Dienst? Das ist die Realität hier. Und viele Kirchenkreise suchen nach Modellen.

Das Reformkonzept »Salz der Erde«  setzt auf Zielvereinbarungen? Heißt das etwa erfolgsorientierte Werbung für Kircheneintritte?

(lacht) Wir sind in unserer EKBO deutlich entfernt von Quantifizierungen, wie sie noch in »Salz der Erde«  zu lesen waren. Wir sind längst bei einem veränderten Reformprozess angekommen unter dem Titel »Reform ist möglich«  mit neuen Orientierungspunkten. Aber die Orientierung geht nicht mehr zu Quantifizierung, sondern zu Qualifizierung von Aufgaben und Qualifizierung von Personen, die sich bestimmter Themen besonders annehmen. Das betrifft haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende. Ein Orientierungspunkt z.B. ist Spiritualität, ein Thema, das sich überhaupt nicht quantifizieren lässt, aber sinnvoll ist, vor Ort zu diskutieren in Gemeindekirchenräten oder auch Ältestenrüsten. Wie leben wir eigentlich geistlich miteinander? Was haben wir für Formen? Gibt es Formen, die Menschen nur wenig ansprechen, bspw. der sonntägliche Gottesdienst zu viert oder zu fünft? Gibt es Formen von gemeinsamem spirituellem Leben, die wir einmal ausprobieren wollen, weil andere damit schon Erfahrungen gemacht haben? Einen Kommunikationsprozess gestalten und Wandlungen in der Volkskirche fördern – das ist, kurz gesagt, das Ziel unseres Reformprozesses.

(Das Gespräch führte Friedhelm Schneider.)


Anmerkungen:

1 Ca. 4% p.a. ab 2003, vgl. statistische Berichte der EKBO unter www.ekbo.de; im Vergleich: EKHN – ca. 0,9% p.a.
2 Der Evaluationsbericht (S. 12) spricht auch von rückläufigen Kirchensteuereinnahmen; deren Anteil am Haushaltsvolumen beträgt aber nur ca. 40%; vgl. Statistischer Bericht 2006, Kap. 5 Finanzstatistik.
3 Evaluationsbericht, S. 13.

Anregungen und Texte zu dieser Reihe senden Sie bitte per Mail an [email protected] und an [email protected]


Über die Autorin / den Autor:

Generalsuperintendentin Heilgard Asmus, Jahrgang 1958, Studium der Theologie und Religionswissenschaft an der Universität Jena, Vikariat in Brandenburg a.d. Havel, Pfarrerin in der St. Gotthardt-Gemeinde daselbst, Krankenhausseelsorgerin am Klinikum Brandenburg und Dozentin für Seelsorge im landeskirchl. Bildungswerk und am Predigerseminar für Gottesdienstarbeit, 1999-2004 Leiterin des Pastoralkollegs der Evang. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), 2005-2010 Generalsuperintendentin des Sprengels Cottbus, seit 2010 Generalsuperintendentin für den Sprengel Potsdam.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 2/2013

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