Das Schlagwort von den (notwendigen) kirchlichen Reformprozessen ist in aller Munde. Ob dabei die evang. Kirche viel zu lange einen »Reformstau« zu beklagen hatte und sich deshalb nun im »Reformstress« befindet, sei dahingestellt.In einer lockeren Folge von Beiträgen widmet sich das »Deutsche Pfarrerblatt« der Theorie und Praxis kirchlicher Reformprozesse in der EKD und in einzelnen Gliedkirchen. Es geht um die kritische Beobachtung und Begleitung dieser Vorgänge. Den Auftakt macht Friedhelm Schneider mit der Analyse eines Strukturwandels in der EKHN, der sich zugleich als Kulturwandel verstehen lässt.

Der Kirche wollen ihre Reformen nicht recht gelingen, sichtbarer Erfolg bleibt aus. Denn es fehlt der Bezug zur Praxis – »Kirche der Freiheit« (KdF), das Reformpapier der EKD, konnte »einer differenzierten Situationsanalyse … ein eigenes Recht«1 nicht zugestehen. Und »nur am Rande wird im Namen der ›Kirche der Freiheit‹ auch jene – von der EKD selbst finanzierte – Forschung rezipiert.«2 So will die Kritik an KdF auch heute, sechs Jahre nach Erscheinen, nicht enden und die Frage steht im Raum, ob die Reformen nicht »neue und vielleicht sogar schwerwiegendere Probleme« schafften3 als sie lösten.

Wir wollen im Folgenden versuchen, die Kritik in einer systemischen Gesamtanalyse anhand der dafür geeigneten Fragestellung der Koordinationsstruktur der Organisation zusammenfassend zu sichten. Was zunächst abstrakt klingen mag, wird anhand eines konkreten Beispiels, dem der EKHN, der Evang. Kirche in Hessen und Nassau, schnell anschaulich und lebendig werden. Und: die Leserinnen und Leser mögen sich vom Reizwort »Management« nicht abschrecken lassen.

Koordination zwischen Kultur und Struktur

Wie organisiert eine Institution ihre Arbeit wirksam? Eine nicht vollständige, aber wichtige Antwort gibt das jeweilige Koordinationssystem. Zwei Säulen der Koordination, die strukturelle und die nicht-strukturelle Koordination, werden unterschieden. Die folgende Grafik zeigt die beiden wesentlichen möglichen Koordinationslinien mit den entsprechenden zugehörigen Elementen in der Vertikalen.


Strukturelle Koordination setzt – etwas plakativ ausgedrückt – auf Macht und Gehorsam. Vom Charakter ist sie formalistisch, verhindernd und Bedenken tragend. Die nicht-strukturelle Seite hingegen besitzt Ermöglichungscharakter. Dazu zählt man unter der Organisationskultur die Instanz, die die Eigenmotivation fördert, sowie Vertrauen und Gemeinschaftssinn.4 Das Thema Professionalisierung, zweite Linie der nicht-strukturellen Koordination, ist in der Fachdiskussion durch Isolde Karle geläufig. Der Netzinteraktion wird in Zukunft als effiziente, partizipative und kostengünstige Alternative zu Strukturprogrammen große Bedeutung zukommen5. Die Netzwerkorganisation ist ebenfalls dieser Koordinationsart zuzuordnen.

Institutionen und Unternehmen können gemäß ihrem Arbeits- und/oder Produktionsschwerpunkt branchentypisch starke Gewichtungen nach der einen, der strukturellen, oder der anderen, der nicht-strukturellen, Seite aufweisen. Bürokratie und Militär sind klassische Vertreter der Strukturkoordination, wie auch die katholische Kirche. Unternehmen der Kreativwirtschaft gehören traditionellerweise zu den Vertretern der nicht-strukturellen Koordination, also die Designbranche, Architekturbüros, Neue Medien, Sport, etc. Dazwischen, ausgezeichnet durch eine gewisse Balance von Hierarchie (Bürokratie) und Professionalisierung (Selbstregulierung des Berufsstandes), das Bildungs- und das Rechtswesen. Hier sind zunächst grob auch die evangelischen Kirchen einzuordnen, die gemäß Konfession oder im geschichtlichen Entwicklungsprozess mehr nach der einen oder der anderen Seite hin oszillieren.

»Wir wollen geistliche Leitung sein, nicht Behörde«

Bei Gründung der EKHN 1948 sollte der Titel des Leiters der Kirche nicht »Bischof« lauten, sondern »Kirchenpräsident«. Und dieser hieß Martin Niemöller. Wie er waren die anderen Führungskräfte der jungen EKHN im wesentlichen Männer der BK, der Bekennenden Kirche, z.B. Pfarrer Karl Grein, der erste Personalabteilungsleiter der EKHN, der mit seinem »wir wollen geistliche Leitung sein, nicht Behörde«6 den Geist von Barmen auf den Punkt brachte. Gemeinschaft contra Behörde, flache contra ausgeprägte Hierarchie, Lebendiges contra Paragraphen, Geistliches gegen Ungeistliches. Das atmet jugendliche Frische und Zeitgenossenschaft, nicht den Muff von Talaren oder die Macht von Bürokraten. Der antihierarchische7 und die kirchliche Ordnung gemäß der Theologie gestaltende Impuls8 Barmens durchzieht nicht nur die Kirchenordnung, sondern die Praxis der alten EKHN: das Kirchenpräsidentenamt als Gemeinschaftsamt eines auch die PröpstInnen umfassenden Leitenden Geistlichen Amtes, der Dekan als Pfarrer und primus inter pares bzw. die Dekanin als prima (!) inter pares; flache Hierarchien mit starkem Zentrum auf der einen und starken Gemeinden sowie »starken« Pfarrerpositionen auf der anderen Seite. Letztere keine Pfarrherren sondern »Brüder« und »Schwestern«. Resultat: eine besondere Nähe zu den Menschen, zum »Volk«, auch zum »jungen Volk«, das zu emanzipativen Entwicklungen der 60er Jahre aufbrach.

Das war die Zeit bis in die 80er Jahre hinein, in der die EKHN innerhalb der Landeskirchen als fortschrittlich, liberal und damit attraktiv galt. Man ging offen mit Problemen wie Kirchenaustritten um. Einem absehbaren Theologenmangel begegnete man Anfang der 70er Jahre mit einer nicht nur zahlenmäßig erfolgreichen Kampagne zum Theologiestudium. Ein Erfolg, der jedoch geradewegs in die erste Krise der EKHN Mitte der 80er Jahre führte. In der »Pfarrerschwemme« wurde nicht allein in der EKHN, sondern EKD-weit eine zukünftige finanzielle Bedrohung der Kirchen identifiziert. In der EKHN war der Gedanke der geistlichen Gemeinschaft noch wach. Anstellungsbefürworter setzten sich zunächst durch, wobei die Dienstgemeinschaft der PfarrerInnen durch Verzicht9 auf materielle Leistungen und Ansprüche diesen Kurs unterstütze. In der EKHN heißt es noch 1992 in der Kirchenanalyse »Person und Institution«10: »Die Zukunft der Kirche entscheidet sich nicht an ihren Finanzproblemen … Die Krise der Kirche ist ihre mangelnde Überzeugungskraft und fehlende Beweglichkeit«. Die Studie war geprägt vom Ziel, auch in der ausdifferenzierten Milieugesellschaft »nahe am Menschen« zu bleiben. Ein Ziel, das dann noch einmal im Jahr 2000 bei der groß angelegten Reform der »mittleren« Ebene, mit der Errichtung von Fach- und Profilstellen, aufleuchtete, seitdem aber bestenfalls noch flackert.


Insoweit zeigt sich die EKHN in ihrer ersten, insbesondere frühen Phase bis Anfang der 90er Jahre als eine Organisation mit einem ausgeprägten Schwerpunkt auf nicht-struktureller Koordination. Es folgte intuitiv dem Grundmuster des Prinzips kybernetischen Managements, das lautet: »Organisiere das Unternehmen so, dass es sich so weit wie möglich selbst organisieren und regulieren kann.«11 Das Konstruktionsprinzip basierte auf Organisationskultur und Professionalisierung, ergänzt durch Kirchenrecht und demokratische Gremien auf der Seite der »strukturellen Koordination«. Überwiegend war die Koordination somit »nicht-strukturell« gestaltet – und das bei einer Großorganisation mit damals über 2 Mio. Mitgliedern. Das kann m.E. aus Managementsicht nicht genug gewürdigt werden12.

Doch alles fließt. Auch Koordinationssysteme und -komponenten haben ihre Zeit, verändern sich, gewinnen oder verlieren an Gewicht, gewollt oder ungewollt. Im Laufe der Zeit besteht also Anpassungsbedarf, will man die ursprünglichen Absichten und Inhalte über die Veränderungen der Zeit hin retten.

Strukturkampf in der EKHN

Die »Wende« der EKHN kam 1997 und trägt den Namen »Prioritätenplanung und Ressourcenkonzentration«. Aus einem richtig identifizierten Stakeholder-Problem13 wird ein Downsizing-Reformprojekt zur globalen Reduktion aller Finanzbudgets um 20%14, des Gebäudebestandes um 20% in einem zu erstellenden Gebäudestrukturplan15 und – last not least – die Reduktion der Pfarrstellen um 1,8% p.a. Die einfache, eingängige, schon in den 80er Jahren in einer EKD-Studie entwickelte Logik der Argumentation: Der Rückgang der Mitgliederzahlen der Kirche führe zu einer Reduktion der Steuereinnahmen und die (zukünftige) Finanzknappheit verlange (frühzeitig) entsprechende Reduktionen. Die zweite, ebenso behauptete Krise war und ist bis heute in der reichen EKHN nicht real existent16. So stiegen von 1997 bis 2000 die Kirchensteuern17 von 375 Mio. auf 410 Mio. €. Auch passten Problemanalyse, Argumentation und Lösungsvorschläge bei genauer Betrachtung nicht zusammen. Die Chance, gerade die Bürokratie selbst wirkungsorientiert zu reformieren und zu verschlanken (!), ganz gezielt und ausgewählt betriebswirtschaftliches Instrumentarium etwa in Form einer spezifischen „Erweiterten Kameralistik“ oder eines als Immobiliencontrolling definierten (!) kirchlichen Immobilienmanagements18 einzuführen, bleibt bis heute überwiegend uneingelöst oder wird durch aktivistische, überzogene, den Apparat neu aufblähende Maßnahmen konterkariert. Fazit: alles neoliberale Ideologie? Die hat dann gewonnen. Denn der Paradigmenwechsel der Reformdiskussion ist vollzogen. Die entscheidende Schlacht in der Gewichtsverlagerung von der nicht-strukturellen zur strukturellen Koordination, oder anders: von der Theologie zur Bürokratie, vom Nahe-am-Menschen zur Finanzprognose hat stattgefunden. Bezeichnend und bestätigend ist das Ergebnis einer Vergleichsstudie der Reformansätze zwischen EKHN und EKvW: „Der entscheidende Handlungsdruck wird über finanzielle und strukturelle Zwänge ausgeübt... Bemerkenswert ist, wie sehr sich praktische Maßnahmen ähneln, während Zuschnitt und Aufmachung der Konzepte sich doch in Qualität und Struktur voneinander unterscheiden“19. Von nun an hat in der EKHN – und möglicherweise nicht nur dort – die Finanzabteilung mit der Argumentation der Finanzprognose 2030 die Lufthoheit über die Reformdiskussion – und die EKHN. Eine Abteilung, die eigentlich für die Sachbearbeitung zuständig ist, nicht aber für das Management. Diese ideologiebelastete Diskussion weist schon damals auf ein wachsendes Problem der Integrität der Prozesskultur hin.

»Wir wollen nur die Besten der Besten«20

Ließ also die wirkliche Krise auf sich warten, waren im Personalsektor mit der »Krisen«­bekämpfung schon 1997 vollendete Tatsachen geschaffen worden: zwei fertig ausgebildete Vikarsjahrgänge blieben draußen vor der Tür der EKHN. Ein Kulturschock war die Folge, denn anders kann man das Ergebnis einer vom Pfarrerausschuss verantworteten Pfarrerzufriedenheitsstudie aus dem 2001 nicht interpretieren. Ein garstiger Graben zwischen Pfarrerschaft und der Kirchenleitung21, der Kirchensynode, und Kirchenverwaltung war aufgerissen. Bis heute brennende Wunden wurden aber auch durch die reduzierte Übernahmepraxis dieses Jahrzehnts, namentlich des aus der Bankenbranche stammenden Assessmentcenters (1998-2003) geschlagen. Flucht war die Folge: »Wir haben die Vikare auf den Markt verwiesen und sie haben sich orientiert: einige gingen nach Sachsen, andere nach Amerika oder in die freie Wirtschaft und wieder andere nach Kurhessen-Waldeck.«22 Aus der bruderschaftlichen Dienstgemeinschaft, auf deren Solidarität man bis dahin bauen und mit der man als Finanzreferent bis dato auch »rechnen« konnte, war vorüber. Eine neue Zeit, eine neue »Kultur«, ein k.o.-System war an- und ausgebrochen.

Diese neue Kultur zeigt sich auch in anderen Bereichen. Für die Stellung, die man der »Finanzprognose 2030« quasi als Ersatz der Sinninstanz einräumt, opfert man das für Unternehmen entscheidende, weil »hohe und gute Leistungen« hervorbringende Potenzial der »intrinsischen Motivation«23. Den identischen Sachverhalt wird später Michael Welker in Bezug auf KdF als »theologische Dürftigkeit«24 brandmarken. Welker weiter: »Die heute in der Wirtschaft erheblich beliebteren Instrumente des Ansatzes bei ›intrinsischer Motivation der Mitarbeitenden‹ böten vielleicht auch auf diesem Niveau eine ›protestantischere‹ Alternative.« Außerdem wird die horizontale Kultur der Selbstregulation durch eine hierarchische Struktur der Weisungen – von der Kirchenleitung über die Dekane zu den Pfarrern bzw. den Verwaltungsämtern zu den Gemeinden –ersetzt.


Reformprogramm »Kirche der Freiheit«

2006 folgte das Reformpapier »Kirche der Freiheit«. Wer angenommen hatte, dass nach der vernichtenden Kritik von Wissenschaft und Praxis und dem bei Isolde Karle zitierten Eingeständnis der EKD, dass »das Papier in gewisser Weise veraltet und quasi nicht mehr zitationsfähig sei«25 auch dessen Umsetzung gestoppt würde, sieht sich freilich getäuscht. Der Tross rollt, und in der EKHN soll KdF fortan (!) umgesetzt werden in Form von Doppik (nicht »erweiterter Kameralistik«), in Form eines extrem zuungunsten der Pfarrer formulierten Pfarrdienstgesetzes, massiver Pfarrstellenreduktionen26, territorialer Strukturreformen von Dekanaten, Landeskirchen, Kirchengemeinden u.a.

Der symbolische Höhepunkt des Strukturkampfes der EKHN erfolgte freilich 2008 in der Neufassung der Kirchenordnung der EKHN: Abschaffung des Leitenden Geistlichen Amtes, Schaffung der Bischofsfunktion. Allein der alte Name Kirchenpräsident blieb doch, entgegen dem ursprünglichen Entwurf, erhalten.

Vom Strukturkampf zum Strukturkrampf

Die radikale Verschiebung von der nicht-strukturellen zur strukturellen Koordinationsseite gleicht einem Wechsel von einem Extrem ins andere, und zwar auf allen Ebenen. Die kurze Gegenüberstellung mag die Problematik andeuten:


Die negativen Auswirkungen in Bezug auf die kirchlichen Zielsetzungen seien an drei Beispielen angezeigt:

1. »Geistliche Gemeinschaft«, »Nähe zu den Menschen« – das waren inhaltliches Denken und Handeln bestimmende Ziele der Kirche. Und heute? Kenner konstatieren eine »große innerkirchliche Selbstbeschäftigungsmaschinerie.«27 Der Weg zurück zu den Menschen wird nur über nicht-strukturelle Koordination zu erzielen sein.

2. Machtwechsel von der Theologie zur Bürokratie, vom Kirchenpräsidenten zum Finanzabteilungsleiter. Dazu bedenke man die Erkenntnisse Max Webers: »Eine einmal durchgeführte Bürokratie gehört zu den am schwersten zu zertrümmernden sozialen Gebilden … Als Instrument … war und ist sie daher ein Machtmittel allerersten Ranges für den, der über den bürokratischen Apparat verfügt.«28

3. Finanzen und Wirtschaftlichkeit. Generell gilt: kein System kann günstiger sein als eines, das auf Selbstregulierung basiert. Denn in betriebswirtschaftlicher Sicht erhöht die Gewichtsverlagerung zur »Struktur« die Gemeinkosten und senkt damit die Wirtschaftlichkeit. Und das mit wachsender Tendenz. Beispiel Gesundheitswesen: dort liegt der Verwaltungskostenanteil mittlerweile bei 25%.

Desintegration durch Verlust an Integrität und Vertrauen

Bei einer derart massiven Verschiebung der Koordinationsstruktur der EKHN in einem relativ kurzen Zeitraum von weniger als 20 Jahren, stellt sich die Frage, welches Tempo an Veränderungsdynamik eine Organisation denn verkraften kann. Schon früh sichtbar war eine Ideologisierung. Vertrauensverluste und Widerstände waren die Folge und es bildet sich ein circulus vitiosus. Die Integrität leidet zunehmend. Dazu zwei aktuelle Personalien: die Wahl des Leiters der Kirchenverwaltung der EKHN Thomas Striegler und der Rücktritt des langjährigen Vorsitzenden des Finanzausschusses der EKHN-Synode Wolfgang Leue. 28 Bewerbungen gingen zur Wahl des KV-Leiters ein, 26 musterte der Benennungsausschuss aus, ganze zwei, beide KdF-nah, wurden der Synode zur Wahl präsentiert. Der eine kam aus der EKD selbst, der zweite war hauseigen: der bisherige Finanzabteilungsleiter. Letzterer kandidierte unter der Bedingung, dass er bei einer Wahl auf die Abteilungsleitung Finanzen nicht verzichten würde. Die Wahl fiel auf ihn, und so ist der heutige Leiter der Kirchenverwaltung der EKHN in Personalunion Finanzdezernent. Die These des alles bestimmenden Gewichts der Finanzprognose 2030 und damit der Position des Finanzabteilungsleiters als Zentralposition der Kirche wird damit bestätigt.

Die zweite Personalie: der überraschende Rücktritt des Vorsitzenden des Finanzausschusses der Synode ereignete sich auf der Herbstsynode der EKHN 2011. Eine schon seit Jahren getroffene Festlegung des Finanzausschusses pro »erweiterte Kameralistik«29 wurde von der Finanzabteilung, ohne neue Gründe zu nennen, gekippt und in die Synode eine Eingabe für die Doppik eingebracht und – nach medial ausgeklügelter, charmanter weiblicher Power-Point-Präsentation – angenommen. Das argumentativ fundierte Votum des langjährigen, honorigen Vorsitzenden des Finanzausschusses, seines Zeichens Banker, konnte das nicht verhindern. Der Vorsitzende legte daraufhin sämtliche kirchlichen Ämter nieder.

Erwähnt sei noch die neue Pfarrstellenbemessung, im Frühjahr 2012 in die Synode eingebracht. Schon vor der ersten Lesung haben sich 17 von 47 Dekanatssynoden gegen die Vorlage ausgesprochen. Ein m.W. nie dagewesener Vorgang. Im Herbst soll beschlossen werden. Wird die Synode der Basis folgen oder der Kirchenleitung? Welche (weiteren) Taktiken werden angewandt werden? Inwieweit werden Argumentationen im Laufe des Prozesses verändert?

Alles Fragen, die man vor Jahren nie gestellt, an die man auch nie gedacht hätte, Fragen und Probleme, die man rational analysieren kann, die aber viel tiefer sitzen. Kulturfragen sind Fragen des Gefühls, sind Fragen der Seele, der »Substanz«. Sie leiden bei einer falschen Gewichtung der Koordination und können zugrunde gehen. Vielleicht werden sie das auch, wenn sich nicht Betroffene zu Wort melden – und zu Taten schreiten.

P.S.: Dieser Prozess verläuft nicht in allen Landeskirchen gleich. Die Ursache für unterschiedliche Entwicklungen der »Kulturen« liegen neben unterschiedlichen Traditionen auch in unterschiedlichem Führungspersonal. Es ist von größter Bedeutung, diese Prozesse aufmerksam zu verfolgen. Eigene Meinungsbildung und kritische Hinterfragung von Vorlagen und Argumentationen sind mittlerweile unabdingbar. Mehr noch: in Bezug auf etliche Vorgänge wie die o.g. EKHN-Synode ist geradezu ein process-watching zur Erhaltung von Kultur und Integrität angezeigt. Auch hier unterscheidet sich Kirche nicht von der Welt.

Das – und vielleicht noch mehr – kann und soll eine diesem Artikel folgende Serie von Beiträgen zum Thema »Fragen und Probleme rund um kirchliche Reformprozesse« leisten. Deshalb fragen wir nach Kurzbeiträgen aus unterschiedlichen Landeskirchen zum Thema »Reformprozesse – erste empirische Ergebnisse«. Welche Veränderungen, positive wie negative, bei den Hauptamtlichen (inklusive sich selbst), Mitgliedern, Ehrenamtlichen, aber auch den Prozessen, etc. können wahrgenommen und den Reformprozessen zugeordnet werden?

Wer einen Kurzbeitrag liefern möchte, erkläre seine Bereitschaft unter Angabe von Landeskirche und Thema an folgende Mailadresse: [email protected].

Anmerkungen:

1 Detlef Pollack, Formen der individuellen Bindung an die Kirche und Grenzen kirchenreformerischen Handelns, in: Isolde Karle (Hrsg.), Kirchenreform, Leipzig 2009, 122.
2 Jan Hermelink, Die Kirche als Dachorganisation und Symbolisierung des Unverfügbaren, in: Isolde Karle (Hrsg.), Kirchenreform, 143.
3 Isolde Karle, Kirchenreform, 8.
4 Fredmund Malik, Management, Frankfurt/New York, 240.
5 Dieter Becker, Funktionale Kirchenverwaltung im Wandel, KVI 1/2012, 38.
6 Hans-Heinrich Herwig, Karl Grein – Pfarrer im Arheilger Kirchenkampf, Darmstadt 2011, 256.
7 Barmer Theol. Erklärung, 4. These.
8 Barmer Theol. Erklärung, 3. These.
9 Helmut Hild, FR, 2.12.1982.
10 EKHN (Hrsg.), Person und Institution, Frankfurt 1992.
11 Fredmund Malik, Management, 50.
12 Bekannte Würdigungen aus anderen Perspektiven müssen hier nicht wiederholt werden.
13 Das Problem des faktischen Vetorechts gegenüber Veränderungen jedes Leiters einer Einrichtung, Referats etc.
14 Beschlossen, aber nicht durchgeführt für das Budget der Verwaltung.
15 Von den Gemeinden schlicht ignoriert und daher unwirksam, 2003 offiziell »erfolgreich« abgeschlossen.
16 Friedhelm Schneider Die Pfarrstellenbemessung der EKHN, in: Becker/Bergner/Schneider (Hrsg.), Kirche ohne (pastorale) Zukunft?, vgl. www.kirche-der-zukunft.de.
17 EKHN, Reader zur Pfarrstellenbemessung, 2011, Folie 12.
18 Friedhelm Schneider, Kirchliches Immobilienmanagement, Darmstadt 2004.
19 Dieter Beese, Die Zukunft der Kirche in Hessen-Nassau und Westfalen, 3.
20 OKR Bechinger, mündliches Zitat.
21 Angaben »weniger zufrieden« oder »gar nicht zufrieden« 76%.
22 Siegfried Sunnus, Pfarrberuf im Wandel 1970-2005, Berlin 2006, 315.
23 Isolde Karle, Kirche im Reformstress, 210.
24 Michael Welker, Freiheit oder Klassenkirche, in: zeitzeichen 12/2006, 10.
25 Isolde Karle (Hrsg.), Kirchenreform, Leipzig 2008, 9.
26 Christoph Bergner, Warum der EKHN die Pfarrer abhanden kommen, in: Becker/Bergner/Schneider (Hrsg.), Kirche ohne (pastorale) Zukunft?, vgl. www.kirche-der-zukunft.de, 25.
27 Matthias Drobinski, Mission Zukunft, Kommentar zur EKD-Synode in Magdeburg, SZ, 7.11.2011, 4.
28 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Frankfurt 2005, 726.
29 Vgl. PERSPEKTIVE 2025 von 2007.

Über die Autorin / den Autor:

Pfarrer Friedhelm Schneider, Pfarrer, Immobilienfachwirt, Software-Entwickler, Geschäftsführer Kompetenzzentrum Integriertes Management GmbH; www.k-im.org.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 8/2012

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