Im Blick auf die Inhalte des Neuen Testaments hat sich landläufig so mancher Irrtum eingeschlichen. Christfried Böttrich stellt die zehn am meisten verbreiteten Irrtümer in einer Reihe im Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt richtig – nicht um exegetischer Spitzfindigkeiten willen, sondern um eine zum Teil auch verhängnisvolle Wirkungsgeschichte zu korrigieren.

 

Wer einen Roman schreibt, kommt ohne Liebesgeschichte nicht aus. Das Publikum will schließlich unterhalten sein. Bei Jesus-Romanen ist das nicht anders. Und wer sich da in den Evangelien nach einer passenden Gefährtin umsieht, stößt unweigerlich auf Maria Magdalena. Sie ist die auffälligste Frauenfigur im Umfeld Jesu. Lukas stellt sie an die Spitze einer Gruppe von Schülerinnen (Lk. 8,1-3). Johannes gesteht ihr zu, am Ostermorgen als Erste dem Auferstandenen begegnet zu sein (Joh. 20,11-18). Offenbar ist sie während des gesamten Weges Jesu dabei, von Galiläa bis nach Jerusalem. Nach dem Abschied Jesu gehört sie zur Jerusalemer Kerngemeinde. Danach verlieren sich ihre Spuren.

 

Wie wird Maria zur Geliebten Jesu?

Wie aber wird Maria zur Geliebten Jesu? Die Phantasie moderner Romanautoren hat eine Vorgeschichte in der frühen Christenheit. Vom 2. Jh. an entstehen zahlreiche apokryphe Evangelien, die am Rande der Gesamtkirche bei sog. „gnostischen“ Gruppen kursieren. Unter ihnen findet sich auch ein „Evangelium der Maria“, das von der Frau aus Magdala geschrieben sein will. Darin werden besondere Lehren Jesu mitgeteilt, die er ihr allein anvertraut habe. Vor allem aber macht Maria nun den mutlosen Männern Beine, damit sie die frohe Botschaft verkündigen.

In einem sog. „Philippus-Evangelium“ wird Maria Magdalena als koinonos (Gefährtin) Jesu bezeichnet; dort heißt es, der Erlöser habe sie mehr als alle seine Schüler geliebt und oft auf den Mund geküsst. Allerdings geht es in diesen gnostischen Evangelien sehr platonisch zu, und die Küsse stehen weniger für Erotik als für die soziale Beziehung, für Inspiration und Wissensvermittlung.

Das größte Aufsehen verursachte ein Papyrus-Fragment, das 2012 der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Darin bezeichnet Jesus Maria Magdalena frei heraus als „meine Frau“. Inzwischen ist der Schnipsel jedoch eindeutig als Fälschung erkannt. Auffällig bleibt, dass die frühen apokryphen Texte Maria Magdalena gleichsam als die „Meisterschülerin“ Jesu darstellen, die alle Männer an Einsicht und Verstand übertrifft.

Eine profilierte Frau war Maria Magdalena ohne Frage. Aber war sie auch Jesu Gemahlin? Die Evangelien stellen Jesus als unverheirateten Mann vor. Das ist im damaligen Judentum auffällig und ungewöhnlich. Aber was wäre an Jesus von Nazareth überhaupt schon alltäglich? Seine exklusive Gottesbeziehung lässt keinen Raum für eine Ehe mit weiterer Nachkommenschaft. Zudem wäre das unstete Wanderleben mit der Gründung einer Familie kaum zu vereinbaren. Maria bleibt eine herausragende Vertraute Jesu. Um das zu sehen, braucht es keinen Thriller wie etwa Dan Browns „Da Vinci Code“.

 

Die Apostelin der Apostel

Eine andere Perspektive nehmen die kirchlichen Ausleger der Frühzeit (allesamt Männer) ein. Mit den spärlichen Informationen der kanonischen Texte wollen sie sich nicht zufriedengeben; die apokryphen Evangelien lehnen sie ab. Deshalb versuchen sie, die Textbasis durch Kombinationen mit anonymen Frauenfiguren zu erweitern. Lk. 7,36-50 (die „Sünderin“ mit dem Salböl) und Lk. 8,1-3 (die erste Erwähnung der Magdalena) ­lesen sie als eine zusammengehörige Geschichte – und schon ist aus der Schülerin eine ehemalige Prostituierte geworden. Die Legende macht Maria Magdalena schließlich zur Schutzpatronin „gefallener“ Frauen.

Doch auch die Erinnerung an jene Frau, die alle Kriterien einer Apostelin erfüllt (Apg. 1,21-22), ist lebendig geblieben. Die Kirchenväter Hippolyt und Hieronymus hatten die Frauen vom Ostermorgen insgesamt „Apostelinnen der Apostel“ genannt. 2016 würdigte Papst Franziskus Maria Magdalena in herausgehobener Weise mit genau diesem Titel: „apostolorum apostola“.

Liebesgeschichten kann man gerne der Romanliteratur überlassen. Die Kirche hat gute Gründe, Maria Magdalena als eine bedeutende Schülerin Jesu und Lehrerin der ersten Generation in Erinnerung zu behalten.

 

Christfried Böttrich

(wird fortgesetzt)

 

Über die Autorin / den Autor:

Prof. Dr. Christfried Böttrich, Jahrgang 1959, Studium der Evang. Theologie in Leipzig, 1990 Promotion in Leipzig, 1995 Habilitation in Leipzig, Vertretungsprofessuren in Frankfurt/M., Marburg und Jena, seit 2003 Prof. für Neues Testament an der Universität Greifswald.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 3/2024

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