Pastor Andreas Kahnt
Standpunkt

Dilemma

Der Krieg in der Ukraine stellt die Haltung der Kirche zum Frieden infrage. Der Pazifismus scheint sich überlebt zu haben. Die Weltordnung, in der es sich vermeintlich sicher leben und zum unbedingten Frieden bekennen ließ, hat sich verändert. Denkschriften zum Frieden sollen überdacht und umgeschrieben werden. Aber ist das wirklich nötig?

Pazifismus oder doch zumindest der unbedingte Wille zum Frieden ist eine Haltung, die Christinnen und Christen entspricht und im persönlichen Tun und Lassen sichtbar wird. Für diese Haltung darf mit dem eigenen Beispiel geworben werden. Sie anderen aufzuerlegen, verbietet die Haltung selbst. Das gilt umso mehr, wenn das Leben, die Identität und die Integrität von Menschen oder eines ganzen Volkes angegriffen werden, wie jetzt in der Ukraine.

Der Ukraine in dieser Situation Gewaltfreiheit abzuverlangen, ist zynisch. Das Land in jeder Hinsicht, auch mit Waffen, zu unterstützen, ist eine Frage, deren Beantwortung vor dem Hintergrund eigener Friedensethik äußerst komplex ist und in das Dilemma führt, einerseits alles für den Frieden tun zu wollen, es aber ohne Waffen nicht zu können.

Dieses Dilemma lässt sich nicht lösen. Aber es lässt sich aushalten, indem am eigenen, unbedingten Willen zum Frieden und zum Pazifismus festgehalten, der Ukraine aber die Nothilfe nicht verweigert wird, sich gegen einen Angriff auf Menschenleben, nationale Identität und staatliche Integrität zu wehren. So gesehen, müssen kirchliche Friedensdenkschriften nicht umgeschrieben werden.

Nothilfe ist nämlich nicht präventive Aufrüstung, um anderen zu drohen, sondern Unterstützung zu rechtserhaltender Gewalt in einer konkreten Ausnahmesituation. In einer solchen Situation darf der Pazifismus eine Ausnahme machen, ohne sich selbst zu verleugnen. Nichts zu tun, wäre eine Haltung, die den Pazifismus zu einer Sache privilegierter Menschen machte, die das Glück haben, in einem Land zu leben, in dem seit über 70 Jahren Rechtsstaatlichkeit und die Abwesenheit von Krieg den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen.

Diesen Diskurs weiterzutreiben, nicht zuletzt zur Frage von Frieden und Sicherheit, ist bleibende, gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ernsthaft existentiell in Not geratene Nachbarn zu unterstützen, auch.

Andreas Kahnt
 

Pastor Andreas Kahnt
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