Der Titel weckt Neugierde, das Thema ist in Zeiten auch religiös pluraler Gesellschaft nicht nur in kirchlichen Gremien im Gespräch, sondern eines der wenigen, nach denen wir aus säkularer Umgebung gefragt werden (soweit sie nicht mit dem Klischee der „linksgrünen Kirche“ zufrieden sind): Was ist „evangelisches Profil“? Nach einer „Ökumene der Profile“ fragte seinerzeit Wolfgang Huber als Ratsvorsitzender, was als Kritik an bisherigen Vorstellungen von Ökumene kritisiert wurde. Es kehrt wieder in den Leitbild- und Selbstverständnisdebatten kirchlicher Reformdiskussionen. Muss unsere Kirche eine Art „Markenzeichen“ haben, um erkennbar und unterscheidbar zu sein? Die Fahnen mit Positionen gegen Rassismus z.B. in Berlin regen manche zum Wiedereintritt an, wie ich erlebt habe.
Gesellschaftliche oder politische Positionierung ist nicht Hebarts Ansatz, wie der Untertitel zeigt, der manchen abschrecken könnte: Ist „evangelisch-lutherisch“ noch zeitgemäß? Wollen wir Evangelischen „lutherisch“ sein und wenn ja, wie definieren wir es? Ist „christlich“ nicht genug „Profil“ und „lutherisch“ nicht Anlass für ermüdende Diskussionen um Luther und seine Nachfolger?
Hier macht der Untertitel erst einmal deutlich, dass es Hebart nicht um Kirche als Institution, sondern um ihre Botschaft geht (was in vielen Leitbilddiskussionen in eins gesetzt wird!). Damit legt er den Finger in eine Wunde: Wenn wir nicht sagen können, was wir wollen, glauben, lehren, was (unsere) Kirche ausmacht und was sie zur Ökumene christlicher Kirchen beiträgt, bleiben alle Markenzeichen und Leitbilder leer und bloße Werbeversprechen und Menschen werden nicht wirklich angesprochen.
Hebart hat die Gabe, Themen auf eine verständliche Art anzusprechen und riskiert die Kritik mancher Theologen, die unwissenschaftliche und unterkomplexe Herangehensweise sehen. Wie er auf der Konkordienformel beharrt und immer wieder auf sie zurückkommt (wie viele Theologinnen und Theologen wissen aus dem Stand, was damit gemeint ist?), mag abgestanden scheinen; auch muss man nicht alle seine Erklärungen teilen – das Buch ist freilich Anleitung zu einem Gespräch in der Gemeinde, unter Studierenden oder Theologinnen und Theologen. Das Begleitheft stellt Fragen, in denen sie zum Thema nachdenken, diskutieren und zu Antworten finden können.
Diese Art der Aneignung – Antworten finden, in denen ich meine Anliegen und Themen wieder entdecke – scheint mir verheißungsvoller als alle „Lehre“, die gelernt, oft nicht wirklich verstanden und angeeignet und darum weder weitergegeben noch angewandt wird. Der Autor riskiert, dass seine Meinung in diesem Gespräch untergeht. Gewinnen könnte er Menschen mit eigener Überzeugung, die sprachfähig sind im Blick auf ihren Glauben und auf die (evangelisch-lutherische, dann aber auch andere) Kirchen.
Der Preis des Buches macht es freilich schwierig, eine Gruppe mit dem Buch auszustatten. Man mag auch fragen, ob ein solches, an ein Buch gebundenes Gespräch nicht bestimmte soziale Milieus ausschließe. Ja, das wird so sein, ist aber bei vielen Glaubenskursen nicht anders. Dieser wendet sich zudem an Gemeindemitglieder, die mehr wissen wollen – für Neu-Gierige und Menschen, die tastende Versuche mit Glauben und Kirche machen, gibt es geeignetes anderes Material. Freilich sind mir auch Menschen begegnet, die solche „harte“ Kost schätzen, weil sie darin Orientierung finden. Auch als Anregung zum Gespräch von Theologinnen und Theologen mit Fragenden wird das Buch geeignet sein.
Manchmal fragte ich mich freilich, ob Hebart nicht vergangene Verhältnisse in Gemeinden voraussetzt: So kenne ich keine Gemeinde mehr, die der Abendmahlsfeier die Beichte voranstellt (192). Damit waren meine ersten Gemeinden 1980 schon Ausnahmen. Allsonntägliche Gottesdienste mit Abendmahl scheitern oft am Zeitplan, der zwei Gottesdienste (und dann noch Taufe) in mehreren Kirchen einander folgen lässt. Selbst darüber aber kann man reden – nicht nur das Abendmahl leidet unter Termindruck und wird einseitig – sowohl wenn die Beichte grundsätzlich entfällt, als auch wenn sie immer verlangt ist. Manches angeblich „Lutherische“ stammt aus dem 19. Jh. Es abzuschaffen war leichter, als neue Tradition zu begründen. Gelebter Glaube braucht am Ende auch Riten. Prüfet alles und behaltet, was gut ist!
Martin Ost