Schon das Herausgeberduo weckt Interesse. Denn wenn sich mit Christian Möller akademische Theologie und mit Christian Schad praktische Kirchenleitung zusammentun, um ein Buch mit Beiträgen zur Eschatologie der beiden systematischen Theologen Eberhard Jüngel (1934-2021) und Walter Mostert (1936-1995) herauszugeben, dann ist begründete Neugierde angesagt. Und wenn diese Beiträge dann noch eine Überschrift tragen, die mit einem Ausrufungszeichen endet, das mit Gewissheit auf das Kommende oder richtiger auf den Kommenden verweist, dann erst recht!
Eschatologie, dieser theologisch reflektierte Blick auf das ewige Leben und die kirchlich betriebene Verkündigung eben dieses Lebens, steht ja heute nicht gerade hoch im Kurs. Jüngel stellt präzise fest: „Esoterik und Reinkarnationsspekulationen sind quicklebendig. Nur die kirchliche Verkündigung scheint des Nachdenkens über ein Leben nach dem Tode müde zu sein.“ (165) Und weiter ins Grundsätzliche hinein sagt Jüngel: „Wir neuzeitlichen Christen müssen die Bereitschaft dazu allerdings erst zurückgewinnen. Als Kinder der Aufklärung haben wir das Diesseits so sehr lieben gelernt, dass wir im Gefolge Ludwig Feuerbachs aus diesseitsblinden ‚Kandidaten des Jenseits‘ zu jenseitsvergessenen ‚Studenten des Diesseits‘ geworden sind. Die christliche Hoffnung auf ein Leben in Gottes kommendem Reich hat sich zum bloßen Interesse an einem Leben vor dem Tod ermäßigt.“ (165)
Kein Wunder, dass daher die kirchliche Verkündigung in Sachen Hoffnung und Erwartung auf das ewige Leben geradezu von einer Sprachlähmung befallen ist und damit kaum im Stande, das notwendige Wort der Hoffnung und des Trostes zu sagen. Gleichzeitig erleben wir aber die andauernde öffentliche Beschwörung von Zerstörungs- und Weltuntergangsphantasien, in denen die Menschen hemmungslos auf ihre Zukunftsängste geworfen und geradezu in Panikattacken getrieben werden.
In dieser Lage wollen die Beiträge zur Eschatologie von Jüngel und Mostert der theologischen Jenseitsverdrossenheit ein ermutigendes Studien- und Lesebuch der leidenschaftlichen Hoffnung und der tröstlichen Erwartung entgegenstellen. Denn es ist die Überzeugung der beiden Autoren, und natürlich auch der beiden Herausgeber, denen herzlich für dieses Buch zu danken ist, dass durch die in Jesu Tod und Auferstehung begründete Hoffnung auf sein zurechtbringendes Wiederkommen ein großer Freiraum geschaffen wird für realitätsgerechte und darum mutige und nicht angstgetriebene Weltgestaltung.
Der erste Teil des Buches enthält eine unveröffentlichte Eschatologie-Vorlesung, die Walter Mostert im Wintersemester 1989/1990 in Zürich gehalten hat und einen weiteren Vortrag. Sie entfaltet einen theologisch eindrucksvollen Durchgang durch die Themen der individuellen und der universalen bzw. kosmologischen Eschatologie, der schon in seiner Einführung besondere Akzente markiert. Denn Eschatologie setzt ja ein besonderes Weltverhältnis und damit auch Welt- und Geschichtsverständnis frei. Diese Bedeutung des Denkens über die Welt, eben die Notwendigkeit ihrer richtigen Interpretation bringt Mostert durch seine originelle Umformulierung der 11. These von Marx über Feuerbach zur Sprache: „Die Menschen habe die Welt falsch verändert, wenn sie sich der Aufgabe entzogen, sie richtig zu interpretieren.“ (17) Eschatologie, biblisch begründet und reformatorisch bedacht, ermöglicht der Theologie eine richtige Interpretation der Welt. Mostert beschreibt es so: „Ich glaube nun, dass in dieser Situation der Rückgriff auf die klassische Eschatologie der Kirche, des Glaubens, der Theologie eine interpretatorische Potenz freisetzt und uns einen Blick auf die Geschichte, die Welt, den Menschen gibt, die zwar nicht aktuell dafür aber wahr sind, die nach dem Kanon des Zeitgemäßen nicht zeitgemäß und gerade deshalb an der Zeit sind.“ (17)
Diese interpretatorische Potenz beweist Mostert nun, indem er die Themen der klassischen Eschatologie durchschreitet. Dabei bewährt sich jeweils sein plausibel entfalteter Dreischritt von biblischem Befund, Aussagen der klassischen Dogmatik und theologisch-geistliche Überlegung. Wer dem Autor auf diesem Weg folgt, wird immer wieder von seiner souveränen Zentrierung in der Gottesbeziehung beeindruckt sein. Hier wird alles zusammengefasst und zusammengehalten: „Wie Schöpfungsglaube Schöpferglaube ist, so ist Glaube an das Ende der Welt Glaube an Gott als Weltvollender.“ (84) Mostert gewinnt auf diese Weise eine hoffnungs- und erwartungsvolle Sicht auf die zukünftige Welt des kommenden HERRN, der eben auch der Bewahrer der Schöpfung ist, und diese setzt eine demütige und vertrauensvolle Sicht auf den Menschen frei, die ihn vor der fatalen Alternative von ängstlicher Resignation und arroganter Selbstüberschätzung bewahrt.
Der zweite Teil des Buches enthält die Beiträge von Eberhard Jüngel. Sie beginn ebenfalls mit einer bisher unveröffentlichten, konzentrierten „Thesenreihe Eschatologie“ zu einer Vorlesung, die Jüngel 1982 in Tübingen gehalten hat. Er stellt am Beginn seine beiden Definitionen vor, die als guter Verstehensrahmen für seine verschiedenen Beiträge dienen:
1. Eschatologie ist die Denkbewegung, die der christlichen Hoffnung folgt, um so „dem erhofften Advent des gekreuzigten und vom Tode auferweckten Jesus Christus denkend entgegenzugehen.“ (99)
2. Eschatologie ist „die Lehre von der durch den Geist der Hoffnung und des Trostes gewährten und bewirkten leidenschaftlichen Hoffnung und tröstlichen Erwartung, dass der dreieinige Gott sein schöpferisches Werk der Liebe vollenden und sein Geschöpf erlösen wird.“ (100)
Jüngels Stärke ist diese Konzentration auf die Christologie und hier besonders auf die Auferstehung: „Ein dogmatisch zu verantwortender Begriff christlicher Eschatologie hat sein Kriterium in der Auferstehung Jesu Christi“ (110) Denn hier findet die leidenschaftliche Hoffnung ihre Begründung, dass Gott das Werk seiner schöpferischen Liebe vollendet und im sichtbaren Kommen seines Sohnes Jesus Christus sein Geschöpf erlöst.
Diese leidenschaftliche an den Glauben gebundene Hoffnung, die gerade nicht vor der Macht des Todes verstummt, zieht sich kraftvoll durch die weiteren sechs Beiträge und drei Predigten Jüngels. Dabei wird die Struktur des „schon jetzt – und dann erst recht!“ zur not-wendigen und befreienden Existenzweise des Christseins. Denn Christsein lebt ja schon jetzt in der Liebe Gottes. Und diese Liebe ist es, die sich in der Wiederkunft Jesu Christi ultimativ steigert und überbietet. Anschaulich wird dies in Jüngels Beitrag zu Luthers Sterben. Denn Luther hat gerne den alten Hymnus „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ in kühner Umkehrung formuliert: „Mitten im Tode sind wir vom Leben umfangen.“ (139) Weil das so ist, darum gehört zur leidenschaftlichen Hoffnung der Christen wesentlich die Freude. „Freude – das ist der Fokus, in dem alle Aspekte ewigen Lebens beieinander sind.“ (186)
Die Freude als Wesensmerkmal der christlichen Hoffnung ist unter den zahlreichen Parallelen in den eschatologischen Beiträgen von Mostert und Jüngel wohl die schönste. So ist dieses Lesebuch der leidenschaftlichen Hoffnung auch eine Einladung zur Freude: „Die Freude macht das ewige Leben zu einem außerordentlich bewegten und bewegenden Leben“ (186). Wer könnte und wollte da noch unter eschatologischer Sprachlähmung leiden?
Burkard Hotz