Nach zehn Jahren Klinikseelsorge reflektiert Matthias Struth seine seelsorgerliche Tätigkeit während eines Pilgerweges nach Santiago de Compostela und schreibt seine Gedanken in acht Kapiteln nieder. Er beginnt mit der Frage: Was ist überhaupt Seelsorge? Seelsorge, so der Autor, befasst sich mit dem ganzen Menschen, eben Leib, Seele und Geist. Als Christ begründet er sie mit Verweis auf Mt. 25,36b: „Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht.“ Es geht darum, den einzelnen Menschen mit seinen Fragen und Nöten in seiner Verschiedenheit ins Zentrum zu stellen. Seelsorge ist kein Angebot, das abliefern muss, das einen bestimmten Zweck verfolgt, sondern einfach in dem Angebot „da zu sein“ (19) besteht. Weil am Anfang der Seelsorge der Auftrag Jesu zu den Menschen zu gehen, steht, ordnet sie der Verfasser für den Bereich des Krankenhauses der „Geh-Struktur“ zu (22). Bei der patientenzentrierten Aufgabe geht es nicht darum, abschließende Antworten oder Ratschläge zu geben, sondern dem Menschen durch persönliche Anwesenheit menschliche Nähe spüren zu lassen.
Struth nimmt in einem zweiten Abschnitt „Erfahrungen aus dem Krankenhaus“ mit Beispielen diesen Gedanken auf, zumal es für Menschen in Zusammenhang mit Krankheit, Verstehen von Diagnose und Therapie und auch Sterben und Tod hilfreich erscheint, wenn eine außenstehende Person ihnen zur Seite stehen kann. Mit dem Kapitel „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ nimmt der Verfasser eine wichtige existentielle Fragestellung auf. Die Warum-Fragen haben „immer auch einen religiösen Charakter“ (37f). Dabei ist es wichtig, keine festen theologischen, vielleicht sogar missionarischen Tendenzen zu verfolgen, sondern „durch unser Da-Sein, Zeit-Haben und Zuhören“ (39) das Gefühl des Alleingelassenseins zu teilen, ein wenig zu nehmen und den Patienten damit zu stärken. Ein diesbezügliches Gesprächsprotokoll schließt sich an.
Es folgt im weiteren Abschnitt die Beschäftigung mit der Transzendenz: „Glaube und Zweifel im Angesicht des Todes“. Struth beschreibt die Spannweite auch eines vom persönlichen Glauben getragenen Menschen, der angesichts von Krankheit und Tod ins Zweifeln kommt oder auch vom Glauben getragen wird, und andererseits von Menschen, die „ansprechbar für Religiöses“ werden. Besonders bei diesen Fragestellungen ist das „stumme Da-Sein“ wichtiger als konkrete Antworten. In seinen Selbstreflexionen wird dem Autor klar, „wie kostbar es ist, dass wir als Seelsorger den ganzen Tag Zeit haben, um für die Menschen da zu sein, ihnen zuzuhören, unsere Zeit mit ihnen zu teilen und auf diese Weise ein Stück ihres Weges mit ihnen zu gehen.“ (57)
Dazu gehört auch der Blick auf das Umfeld eines Patienten, vor allem der Angehörigen. „Die Sicht der Angehörigen“ überschreibt Struth seinen nächsten Abschnitt, in dessen Mittelpunkt er Eltern kranker und verstorbener Kinder stellt. Überlegungen um sich einstellende Schuldgefühle nimmt der Autor nach Gedanken über einen verstorbenen Bruder (63ff) auf, um sie anhand eines Gesprächsprotokolls (68ff) konkret erfahrbar zu machen.
Wer in der Notfallseelsorge aktiv ist oder immer wieder mit den Grenzsituationen mit schwerer Krankheit und Tod als Seelsorger zu tun hat, sollte sich der Frage des weiteren Kapitels, auf die Struth hilfreiche Antworten gibt, „Wie gehe ich als Seelsorger mit all dem um?“, stellen. Und nicht zuletzt: „Was kommt nach dem Tod?“ Aus dem Klinikalltag heraus versucht Struth hier Antworten zu finden, was für Sterbende wichtig ist. Dem widmet sich auch das letzte Gesprächsprotokoll mit einem sterbenden Krankenpfleger, der selbst Schwerstkranke auf ihrem letzten Weg betreut hatte und sich nun auf seinen Tod intensiv (bis hin zur Durchführung der Trauerfeier) vorbereitet hatte.
„Worum es am Ende wirklich geht“ fragt Matthias Struth in seinen abschließenden Gedanken. Seine Erkenntnis ist, dass es nicht nur „die großen transzendentalen Fragen“ sind, die „sterbende Menschen beschäftigen“ (123), auch wenn sie die Tür zum Glauben öffnen. „Am Ende geht es um das Leben“, schließt er seine Überlegungen.
Ein nachdenkenswertes Buch, das Mut macht, sich ans Krankenbett und in die Situation Sterbender (und Lebender) zu begeben, hilfreich für alle, die in der Seelsorge tätig sind oder werden wollen. – Nicht zuletzt: Der Erlös des Buches kommt dem Verein Trauernde Eltern&Kinder, Rhein Main e.V. zugute.
Hans-Joachim Ramm