Wer lernen will, wie nicht nur eine einzelne Gemeinde, sondern eine ganze Kirche zur „creatura verbi“, zu einer Wort-Kreatur, geformt werden kann, der mag es an den 43 Predigten des emeritierten Kirchenpräsidenten der Evang. Kirche der Pfalz, Dr. h.c. Christian Schad, lernen. Diese Predigten sind von Dr. Traudel Himmighöfer zum Pfingstfest 2024 in Speyer mit dem Titel herausgegeben worden und im Herbst desselben Jahres in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig erschienen.
Wie gewährt der Kirchenpräsident mit seinen Predigten „Einlass in den Raum reiner Bejahung“? Das zeigt schon das Titelbild des lehrenden Christus auf dem Umschlag des Predigtbandes, wie er in der Speyerer Gedächtniskirche der Protestation vor dem Goldmosaik der Altarretabel zu sehen ist: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!“ Dieser Ruf Christi zieht sich durch alle 43 Predigten, am schönsten vielleicht, wenn die Witwe mit ihrem Scherflein, in dem sie alles gibt, was sie hat, als Hinweis auf den Christus gedeutet wird, der mit seinem Opfer am Kreuz alles für uns hingab. Doch auch die atl. Texte beginnen in den Predigten des Gunneweg-Schülers Christian Schad ganz neu zu sprechen, weil sie durch Existenz-Erhellung zur Sprache gebracht werden. Dann findet die Frage von Ps. 8, „Was ist der Mensch?“, im Lob Gottes ihre Antwort, denn lobend findet der in sich zerrissene Mensch seinen Halt in Gott.
Diese und ähnliche Predigtinhalte bleiben aber nicht bloß in begrifflicher Diktion stecken, sondern gewinnen bei Schad einen Klang: den Klang von Kirchenliedern, wie etwa „O Heiland, reiß die Himmel auf“, den Klang von Bachkantaten, die ausgelegt werden, ja sogar den Klang von Schlagern, wie etwa einem Lied der „Toten Hosen“. Christian Schad ist ein Musikus, singt gern in Chören mit und liebt kirchenmusikalische Gottesdienste, in denen viel gesungen und gespielt wird. Das schlägt sich dann auch in seinen Predigten nieder, die voller Musik sind und dazu einladen, mit eigenem Herzen und eigenem Mund selber einzustimmen.
Dass der katholische Bischof von Speyer, Dr. Karl-Heinz Wiesemann, diesem Predigtband ein ausführliches und überaus herzliches Geleitwort widmet, hat ursächlich damit zu tun, dass der Kirchenpräsident der Protestantischen Landeskirche der Pfalz durch und durch ökumenisch gesonnen ist und konfessionelle Brücken in jeder Hinsicht gebaut hat. Ob es die Katholiken im Dom zu Speyer sind oder die taufgesinnten Mennoniten der Pfalz, ob es die Lutheraner in der Kreuzkirche von Dresden oder die Hugenotten bei ihrem Jahresfesttag sind, überall öffnet der Kirchenpräsident mit seinen Predigten Tore und Türen zum „Raum reiner Bejahung“ in Christus. Sogar in Rom darf er die Kanzel der Christuskirche besteigen, um beim Besuch einer Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland das Gleichnis von den verlorenen Söhnen aus Lk. 15 mit seiner Predigt auszulegen. Sie bahnt den Weg zum festlich gedeckten Tisch, an dem sich „die versöhnte Gemeinschaft der Vielen, der Verschiedenen“ versammelt, um von da aus gemeinsam der Welt zu dienen. Das eben macht diese Predigten so einzigartig, dass sie den Raum eines unbedingten Ja eröffnen, den der große Hermeneutiker Ernst Fuchs, dessen „Sprachlehre des Glaubens“ Christian Schad intensiv studiert und verinnerlicht hat, in seiner Übersetzung von Joh. 1,1 so präzisiert: „Im Anfang war das Ja, und das Ja war die Liebe, und die Liebe war das Ja.“
Christian Möller