Bei der Lektüre der „20 Lebensbilder alter und neuer Liederdichter“ ging mir immer wieder die bekannte Redensart durch den Kopf: „Man macht was durch“. Und das gilt für beide, für die alten und die neuen.

Der legendäre DDR-Jugendpfarrer Theo Lehmann erlebte als 11jähriger die Dresdner Bombennacht mit, in einem Keller auf einem eisigen Steinfußboden, zitternd vor Kälte und Todesangst, schreiend und betend. Auch Jörg Swoboda gehört zu den bekannten christlichen Liedermachern der DDR. Seine Mutter hatte 1945 ihr drittes Kind verloren. Es war in einem Bombenkeller zur Welt gekommen, aber aufgrund der eigenen Mangelernährung konnte die Mutter das Kind nicht mit ihrer Brust ernähren – es starb. Trotzdem lehnte die Mutter eine Abtreibung ab, als sie 1947 mit ihrem vierten Kind, mit Jörg, schwanger war. In einem Lied dankt Jörg ihr dafür, dass sie ihn zur Welt gebracht hat.

Arno Backhaus hat dagegen keine dankbaren Erinnerungen an die eigene Mutter. Sie hat ihn zwar zur Welt gebracht, aber dann lieblos und geradezu brutal erzogen. Er wurde oft verprügelt, und wenn er mal ein Schimpfwort ausgesprochen hatte, konnte es passieren, dass die Mutter Arnos Mund mit Kernseife ausspülte.

Julie Hausmann („So nimm denn meine Hände“) hat unter chronischen Kopfschmerzen und Schlafstörungen gelitten – und wohl auch unter ihrem wenig attraktiven Äußeren. Wie viele Menschen müssen unter ihrer bloßen äußeren Erscheinung leiden! Und dann gibt es da die anderen, die viel schöner sind!

Eleonore von Reuß („Ich bin durch die Welt gegangen“, „Das Jahr geht still zuende“) erlebte die große Demütigung, vor der wir alle Angst haben, zum Ende ihres Lebens. Körperliche Schwäche und Krankheit brachten sie an den Rand auch ihrer geistigen Kräfte. In einem Brief schreibt sie: „Es fehlt mir jede Freudigkeit, jede bewusste Gemeinschaft mit Ihm, der uns Alles sein will. … dass körperliche Zustände einem so alles verdunkeln können, ist doch sehr demütigend.“

„Man macht was durch“ – und wie sehr erst, wenn ich an die alten Zeiten denke: an Paul Gerhardt, der vier von seinen fünf Kindern im Kindesalter verlor, oder an Philipp F. Hiller („Jesus Christus herrscht als König“). Der verlor mit fünfzig Jahren als Pastor seine Stimme und konnte höchstens noch flüstern. Dann gibt es da diesen bewegenden Brief, in dem er von seinen Gebeten um Heilung berichtet: „Ich stützte mich auf Matth. 21, 22: ‚Alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr glaubet, werdet ihr’s empfangen.‘“ Aber seine Stimme blieb verloren.

Lieber Gott: von dem eisigen Steinboden, auf dem Theo Lehmann lag, bis zur verlorenen Stimme von Philipp Hiller – was mutest Du uns zu? Wir haben unendlich viel Grund zur Dankbarkeit. Aber wir müssen auch Unsägliches durchmachen – und sei es nur die Tatsache, dass wir alle auf unseren Tod zugehen. Was oder wer trägt uns da hinüber? Ich danke Matthias Hilbert, dass er in seinem Buch auch eines meiner Lieblingsworte mir in Erinnerung gerufen hat. Matthias Claudius schreibt es an seinen fiktiven Gesprächspartner Andres: „Wer nicht an Christus glauben will, der muss sehen, wie er ohne ihn raten kann. Ich und Du können das nicht. Wir brauchen jemand, der uns hebe und halte, dieweil wir leben, und uns die Hand unter den Kopf lege, wenn wir sterben sollen, und das kann er überschwänglich.“

Dieses Leben ist nicht nur schön, sondern oft auch über die Maßen schwer. Wie kann man es ertragen ohne die große Hoffnung, die wir uns durch die Choräle ins Herz singen: „Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ, / das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist.“

Ich schließe mit drei lied- und kirchengeschichtlichen Quizfragen, die ich dank Hilberts Hilfe nun zu beantworten wüsste:

1. Was ist der „Fahraus“?
Antwort: Eine volkstümliche Bezeichnung für die Exorzismushandlung, die die Lutheraner bei der Taufhandlung praktizierten. Sie spielte bei dem Streit zwischen dem calvinistischen Landesherrn und dem Lutheraner Paul Gerhardt eine Rolle.

2. Neben wem saß Zinzendorf an der Tafel, als er (ab seinem 10. Lebensjahr) in Halle das Pädagogium (Internat) besuchte?
Antwort: Direkt neben dem berühmten Anstaltsgründer August Hermann Francke, denn Zinzendorf war als Reichsgraf der ranghöchste Adelige.

3. An welchem 13. August wurden keine Mauern gebaut, sondern Mauern abgerissen?
Antwort: Am 13. August 1727. Nach etlichen Streitereien wurden sich die verschiedenen Konfessionen in Herrnhut einig und feierten gemeinsam Abendmahl.

Außer den genannten Liederdichtern werden in dem Buch vorgestellt: G. Tersteegen, C. Wesley, J.C. Blumhardt, die blinde Fanny Crosby, E.H. Gebhardt, H. von Redern, P. Strauch, S. Fietz, J. Werth, C. Zehendner.

 

Thomas Schleiff