Schon ein erster Blick ins Inhaltsverzeichnis gibt zu erkennen, welche Fülle von Gesichtspunkten die Leser*innen dieser Studien zu erwarten haben. Zugleich wird dabei deutlich, dass es um Buddhismus und christlichen Glauben in historischer, religionswissenschaftlicher und aktuell interkulturell-theologischer Perspektive gehen wird. Im Sommersemester 2023 wurde die vorliegende Arbeit von der Kirchlichen Hochschule Wuppertal als Habilitationsschrift angenommen.

Am Beispiel eigener Erfahrungen macht der Autor, der mehrere Jahre in Japan gelebt und gearbeitet hat und hervorragend Japanisch spricht, darauf aufmerksam, welche Bedeutung für das interreligiöse Gespräch die Face to face-Begegnung von religiös Praktizierenden, die wissenschaftliche Expertise und auch „das „Zwischenmenschliche“ haben. Sein klar strukturiertes Werk entfaltet sich in vier Kapiteln, wobei im ersten die Begriffsklärung, im zweiten die Erweiterung des Religionsbegriffs durch Rudolf Otto und Nathan Söderblom, im dritten das Verhältnis von Buddhismus und Mystik und im vierten der Erfahrungsbezug der Mystik diskutiert wird. Das fünfte Kapitel bietet religionstheologische „Reflexionen und Implikationen für christlich-buddhistische Begegnung“.

Angesichts der Problematik jeder Religionsdefinition hält Stefan Jäger „einen Religionsbegriff für weiterführend, der im Anschluss an den Gedanken der „Familienähnlichkeiten“ (Wittgenstein) „Religionen als Cluster von religiösen Elementen versteht.“ (37). Statt von dem Buddhismus werde er „möglichst von buddhistischen Formationen sprechen.“ (38)

Der Beginn der Diskurse über die Beziehung zwischen Buddhismus und Christentum liege in der Missions- und Kolonialgeschichte, als deren Rückwirkung Jäger die gegenwärtige buddhistische Präsenz im Westen versteht. So sei Buddhismus „spirituelle Alternative zum Christentum“ (45) oder mindestens spirituelle „Ergänzung“ (58) geworden. Dies wird unter resonanztheoretischer Perspektive anhand zahlreicher Beispiele und Beobachtungen erläutert.

Nunmehr legt es sich dem Autor nahe, die Buddhismusrezeption „im Heiligkeits- und Mystikdiskurs“ darzustellen (62ff). Mit einem Verständnis von Religion, bei dem nicht „Gott“ im Zentrum steht, sondern „Heiligkeit“, verändere sich das Erscheinungsbild des Buddhismus, was sich zunächst bei Otto und Söderblom zeige. Detailliert und kritisch stellt Jäger die Bedeutung Ottos für die Buddhismusrezeption dar, wobei dessen Interpretation des Zen besonders beachtet wird. Schon Ottos Interesse habe bei alledem der Mystik gegolten (100).

Folgerichtig schließt sich nun ein umfangreiches Kapitel über „Buddhismus als Mystik“ an. Beim Blick auf exemplarische „Deutungen von Buddhismus als Mystik“ und den „Konnex von Mystik, Erfahrung und Buddhismus“ kommt nun auch die Theologiegeschichte ins Spiel. Da in jüngster Zeit nicht mehr Meister Eckhart, sondern Johannes vom Kreuz als vorrangiger Repräsentant christlicher Mystik verstanden wird, widmet Jäger dessen Kontemplations- und Gebetsverständnis „im Horizont christlich-buddhistischer Begegnung“ seine Aufmerksamkeit (117ff). Nach dem Aufweis der Abhängigkeit des Gebets vom Gottes- und dem Selbstverständnis des Menschen erläutert Jäger in eindringlicher Analyse der literarischen Zeugnisse des Johannes vom Kreuz dessen „Gebetshilfe“ (124ff). Er lässt sich dabei auf die jüngste Sanjuanistik ein (126ff) und wertet die von ihm eindrucksvoll erläuterte „Dunkle Nacht“ des Johannes aus, die er zu Tauler und Luther in Beziehung setzt, wobei sich trotz offensichtlich bleibender Differenzen „eine gewisse Nähe zur buddhistischen anatman-Lehre“ ergäben (134). Nach Klärung des Verhältnisses von Glaube und Mystik bei Paul Tillich kommt Jäger zu dem Ergebnis, dass sich zwischen Juan, Tillich und Shinran „deutliche Analogien“ erkennen lassen (152).

Unter den Bedingungen der Spätmoderne habe sich im Westen die Achtsamkeitsmeditation als dominant erwiesen, womit der Buddhismus als „Therapie und Lebenshilfe“ zu stehen komme. Nach einer Skizze der angesichts von Hektik und Burnout in unterschiedlichsten Strömungen sich präsentierenden „Achtsamkeitsbewegung“ (165, 221) fragt Jäger zunächst nach Achtsamkeit „im buddhistischen Ursprungskontext“ (165ff), wobei sich zeige, dass alle gegenwärtigen Formen buddhistischer Achtsamkeitsmeditation „moderne Hybride“ sind (165, 170). Nach ausführlicher und teils kritischer Darstellung der Konzepte von Thich Nhat Hanh und Satya Narayan Goenka geht es Jäger um die „Rezeption von Achtsamkeit in Psychologie und Psychotherapie“ (221ff). Dabei stelle sich die Frage, inwieweit buddhistische Elemente die Achtsamkeitsbewegung ausgelöst oder bereichert haben bzw. inwieweit sie selbst zu einer Säkularisierung buddhistischer Traditionen geführt hat. Hier setzt dann auch die Kritik aus buddhistischer Perspektive an: Ist Achtsamkeit „zur neuen kapitalistischen Spiritualität“ geworden (249)? Während „die Nützlichkeit von Meditation ohne Buddhismus“ wahrgenommen und in Gebrauch genommen wird, zeige sich, dass damit „die Motivation und Energie für soziale Veränderungen“ erlahmt (250): So fordert der praktizierende Buddhist Ronald Purser „‚social mindfulness‘, mit der Betonung auf Solidarität, der Entwicklung sozial engagierter Motivation, dem Ziel der Überwindung von Entfremdung (‚alienation‘) und der Befreiung aller empfindenden Wesen.“ (252)

Christliche Rezeption buddhistischer Achtsamkeitsmeditation erläutert Jäger anhand von zwei Modellen, nämlich „Christliche Re-Spiritualisierung der Achtsamkeit“ (259) und „Eklektische Integration von vipassana in christliche Spiritualität“ (262). Als Themen von Austauschprozessen benennt er „Gebet und Kontemplation“, „Betrachtung der Vergänglichkeit“, „Selbst und Selbsttranszendierung“ und den „soteriologischen Stellenwert von Achtsamkeitsmeditation“ (271-284). „Bei aller Ähnlichkeit von buddhistischen und nicht-buddhistischen Achtsamkeiten“ werde „auch „die Verschiedenheit in anthropologischer und soteriologischer Hinsicht deutlich.“ (284) Dies zeige sich ebenso beim Umgang mit Angstbearbeitung und Kontingenzbewältigung im christlich-buddhistischen Dialog.

In Auseinandersetzung mit den religionstheologischen Konzeptionen von Perry Schmidt-Leukel und Martin Repp entwickelt Jäger ein Modell, „das religiöse Loyalitäten gegenüber Letztbegründungen als solche anerkennt und respektiert und eine gemeinsame Kommunikationsebene findet, die über die jeweiligen Letztbegründungen als solcheund unter Voraussetzung dieser sprechen kann.“ (341) Eine „Pluralitätskompetenz“ in diesem Sinne sieht Jäger in einer „Spiritualität der Selbstunterscheidung“, die aus christlicher Perspektive möglich werde durch die extra nos begründete Rechtfertigung und sich auch zeige im „eschatologischen Vorbehalt“. Interreligiöser Dialog finde „auf einer meta-kommunikativen Ebene statt, wo epistemische und ethische Perspektiven aufeinandertreffen und wechselseitig reflektiert werden.“ (341) „Spiritualität der Selbstunterscheidung“ wird damit „als Basis für interreligiöse Beziehungen“ erkennbar (342).

Stefan Jäger fasst in seinem Resumée, in dem er zugleich die innerste Motivation zu seinen Studien zu erkennen gibt, zusammen: „Wenn im Horizont je eigener erhoffter und erglaubter Erlösung zumindest eine partielle Lösung der destruktiven Kräfte unstillbarer Begierde (lobha/concupiscentia) und egozentrischer Hybris gefördert wird, durch die das Leid dieser Welt gemindert, womöglich einiges verhindert und durch barmherziges Engagement gelindert werden kann, dann können Buddhismus und Christentum bei aller bleibenden Verschiedenheit doch in interreligiöser Weggemeinschaft einen unverzichtbaren Beitrag für die Zukunft eines globalen und friedlichen Zusammenlebens leisten.“ (348)

Jäger verfügt über eine umfassende Literaturkenntnis und setzt sich zugleich mit spezieller Sekundärliteratur intensiv auseinander (z.B. 259ff). Er benutzt ungewöhnliche Quellen (88f) und bearbeitet zudem bisher kaum oder gar nicht beachtetes Material (85, 88). Andernorts bereits diskutierte Literatur (z.B. Michael von Brück, Enomiya Lasalle, Paul Knitter) wird, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt.

In der Resonanztheorie Hartmut Rosas findet er das ihm geeignet erscheinende Analyseinstrument (52-56). Mit Erfolg bemüht er sich um komplizierte Klärungen (Erstverwendung des Heiligkeitsbegriffs, 80, 83). Er lässt sich in komplizierten Untersuchungen auf ihm zunächst fremde Spezialgebiete ein (Sanjuanistik, 125ff). Soziologie und Psychologie werden in die Analyse einbezogen, religionsgeschichtliche Fakten klug der gegenwärtigen Diskussionslage zugeordnet. Souverän bewegt er sich auf unterschiedlichsten Gebieten: Religionsgeschichte, Soziologie, Psychologie, Theologiegeschichte, Systematische Theologie (zu Tillich hatte er bereits mit seiner Dissertation eine bemerkenswerte Studie vorgelegt). Gelegentlich bezieht er auch belletristische Literatur in seine Darstellung ein (z.B. Thornton Wilder, 120f). Er scheut sich nicht vor klaren Aussagen und Urteilen (z.B. 117 über das Gebet). Mitunter kommt es zu seelsorglich weiterführenden Hinweisen (z.B. 137, 271f). Seine Arbeit ist übersichtlich aufgebaut und führt in klaren Schritten zu einem überzeugenden Ergebnis.

Niemand, der sich ernsthaft mit der Beziehung von Buddhismus und Christentum beschäftigt, wird das Buch von Stefan Jäger übergehen können. Aber auch wer nur allgemein an Spiritualität, Religiosität oder an der Wahrnehmung der gegenwärtigen religiös-kulturellen Situation in Europa und Amerika interessiert ist, wird es mit Gewinn lesen und an den einschlägigen Stellen durch kenntnisreiche Information und den Hinweis auf weiterführende Aspekte belohnt werden.

 

Hans-Martin Barth