Was kann einem Buch über Psalmen Besseres passieren, als dass ihm der Tübinger Alttestamentler Bernd Janowski Geleit gibt? Der Autor Karl-Heinz Lerch, Pfarrer und gewesener religionspädagogischer Agent zweier Landeskirchen, legt nach einer Einführung auf 250 Seiten Meditationen zu 29 Psalmen vor. Wertvoll sind vor allem die eigenen Übersetzungen, mit denen jede Meditation beginnt. Sie führen mit viel Umsicht in die Denk- und Gefühlswelt des jeweiligen Psalms ein. Allein diese Übersetzungen sind mit ihren vielen Anmerkungen für die praktische pfarramtliche Arbeit eine große Hilfe; mögen sie manche dazu anstiften, wieder einmal die Biblia Hebraica zur Hand zu nehmen. Dann folgt jeweils eine längere, seelsorgerliche „Meditation“, kein Kommentar. Dazu passen die oft langen Sätze, mit denen er das Beten des Psalmisten nachzeichnet und den Leser mit ins Gebet nimmt. Nur selten, wo es notwendig erscheint, sind nicht-ablenkende Sachklärungen eingestreut. Die sehr zahlreichen Fußnoten zu anderen Kommentaren oder der Literatur passen eigentlich nicht zur Gattung Meditation, sollen aber wohl präzise anzeigen, aus welchen Quellen der Verfasser schöpft. Dazu gehören allemal seine eigenen Erfahrungen als Religionspädagoge und Seelsorger.
Die Ausführungen des Verfassers laufen stets auf ein Ziel hin: Sie sind eine wiederholte Einladung, zusammen mit dem Psalmisten zu beten und Gott zu loben. Dann nämlich werde man der Gegenwart Gottes gewiss und teilhaftig; und so wird die Klage über das Unrecht und das Leid verwandelt in die Hoffnung und Proklamation oder Vision einer gerechten Welt Gottes, die zum Handeln („Tun des Gerechten“) anstachelt. Ich habe mich gefragt, ob das nicht ein bisschen schnell geht; es ist wohl Absicht Lerchs, den Perspektivwechsel von Leid und Elend auf die Größe und (oft nicht erfahrene) Hilfe Gottes radikal zu vollziehen. Die Probe will ich am dunkelsten, trostlosesten Psalm, dem 88., machen, dem sich der Verfasser immerhin nicht entzieht. Da (S. 131ff) habe ich den Eindruck, dass Lerch das zwar klar benannte, aber in seinem Gewicht nicht angemessen berücksichtige Elend schnell überspielt. Dazu passt auch, dass er (teilweise auch sonst) im Allgemeinen bleibt, das Konkrete dem Leser überlässt. Was hier, aber auch durchgängig gut ist: Gott wird als Verursacher des Unglücks herausgestellt, an den man sich eben auch zu wenden habe; aber der Trost ist im Ps. 88 doch ferne: Gott, der Feind, aber wenigstens hört er mich.
Nebenbei lernt der Leser, was es heißt, an einen Schöpfer zu glauben. Die Geborgenheit und Heilszusage, die der Verfasser gegen alles Böse herausstellt, kann nicht im Lesen oder Denken, nur im Vollzug eines Mitbetens erfahren werden – bei aller Gegensätzlichkeit der erfahrenen Realität. So ist sein Lieblingswort auch „kontrafaktisch“. Wenn das Buch dazu dient, sich den Psalmen als einem „Spiegel“ Gottes, der Welt und mir selber (Luther) zuzuwenden, hat Lerch sein Ziel erreicht.
Martin Weyer-Menkhoff