Der Bonner Wirtschafts- und Sozialhistoriker Herrmann Schäfer legt eine umfassende Geschichte der Rotarier in der Nazi-Zeit vor. Anhand von über 300 teils sehr umfassenden biografischen Notizen deutscher Rotarier (wie z.B. M.M. Warburg) wird die dunkle Geschichte der rotarischen Clubs in Deutschland nachgezeichnet. Diese wurden aus den damals (1933) 35 Clubs in Deutschland gedrängt und/oder verließen diese freiwillig (11 Clubs in Österreich).
Längst überfällig stellt Schäfer dar, dass lange die rotarische Bewegung versuchte, mit den damaligen Machthabern zu kooperieren, wenn nicht sogar mit ihnen zusammenzuarbeiten. Schäfer schreibt: „Sechs Jahrzehnte gesetzlicher Judenemanzipation wurden in vorauseilenden Gehorsam von Rotary Deutschland aufgegeben, noch bevor das Gesetz mit dem ‚Arierparagraphen‘ verabschiedet und erlassen war“ (36). Nur zwei rotarische Clubs, Heidelberg und Mainz, lösten sich schon 1933 auf.
Die meisten deutschen Clubs „reagierten in einer Mischung aus Opportunismus, Furcht und Faszination“ (69) auf das Nazi-Regime. Während die neuen Machthaber die Olympischen Spiele 1936 für ihre Propaganda nutzten, wurde die Organisation Rotary, auch wegen internationaler Gäste, geschont. 1937 schlug die Stimmung schon um. Im Juni wurde Beamten die Mitgliedschaft verboten. Im September 1937 fand dann eine Tagung zur Selbstauflösung aller deutschen und österreichischen Clubs statt. Dem folgten auch die österreichischen Clubs nach dem sog. „Anschluss“ im März 1938. Viele Clubs kamen mit ihrer Selbstauflösung dem Verbot vom 4.9.1937 zuvor. Sie ließen damit die Machthaber ins Leere laufen.
Paul Tillich beispielsweise war 1929 in den Rotary Club Frankfurt eingetreten. Nach seiner wissenschaftlichen Karriere über Marburg, Dresden und Leipzig nahm er „1929 den Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt an.“ (706) Als einer der ersten nichtjüdischen Professoren wurde ihm schon im April 1933 der Lehrstuhl aberkannt. Nach seiner Emigration in die USA nahm er 1940 die dortige Staatsbürgerschaft an und lehrte am Union Theological Seminary in New York (706f). In den USA entstanden seine Hauptwerke wie „Mut zum Sein“ und seine Systematische Theologie.
Das große Werk von Hermann Schäfer hat eine längere Vorgeschichte. Schon im Oktober 2015 begann man innerhalb der deutschen Clubs, die Geschichte der deutschen Clubs während der Nazi-Zeit aufzuarbeiten. In einer Arbeitsgruppe wurde auf die Weltversammlung (Convention) 2019 in Hamburg hingearbeitet. Auf dieser Versammlung war Hermann Schäfer Hauptredner der thematischen „Break Out Session“. Seine historische Einleitung nennt Schäfer treffend: Ein Denkmal den Freunden, die wir verraten haben. Neben der Kurzbiographie über Paul Tillich finden sich u.a. biographische Portraits über Konrad Adenauer, Ludwig Ballin, Kurt Broschek, Carl Cohn, Julius Flechtheim, Carl Friedrich Goerdeler, Moritz Israel, Franz Kempner, Victor von Klemperer, Berthold Manasse, Thomas Mann, Waldemar von Oppenheim, Carl Wentzel, Erich und Max M. Warburg, immer mit Schwerpunkt auf die Mitgliedschaft in einem rotarischen Club.
Neben diesen Kurzbiographien (1-4 Seiten) wird dieses Werk ergänzt durch ein umfangreiches Namensregister und eine Namensliste alphabetisch nach den Clubnamen zusammengestellt. Ebenso die österreichischen Clubs. So entsteht neben dem umfassenden inhaltlichen Gesamtwerk ein gutes Nachschlagewerk, mit dem man neben den Einzelbiographien auch die Ortsgeschichte nachschlagen kann. Viele der ausgeschlossenen Rotarier wurden deportiert, andere begingen in dieser verzweifelten Lage Suizid, wieder andere emigrierten wie Paul Tillich erfolgreich.
Bescheiden dankt Hermann Schäfer seiner Forschergruppe von 70 Rotariern (Historiker, Juristen, Ärzte und Ingenieure), die sich in Vorbereitung der Convention von Hamburg 2019 gebildet hatte. Er nennt diese Zeit: „Zwischen angepasst und aussortiert – Rotary unter dem Nationalsozialismus war alles andere als widerständig.“ „Unerwünschte“ Mitglieder wurden von Clubs ausgeschlossen“ (s. Rotary Magazin 9/24, S. 24f).
Ergänzend zu diesem bedeutenden Werk sind viele Informationen auf der Internetseite memorial-rotary.de zu finden.
Ralf Diez