Seit 1951 gibt es dieses Jahrbuch: Schon sehr früh luden seine theologischen Beiträge und Berichte aus der weltweiten Ökumene zu einem nachdenklich-selbstkritischen Blick auf Geschichte und Praxis von Mission ein. In diesen mehr als sieben Jahrzehnten waren sie wichtige Wegbegleiter und Anstoßgeber für Veränderungen im Selbstverständnis vor allem der evangelischen Kirchen und Missionswerke im deutschsprachigen Raum. Die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit der Kirchen aus dem Norden, mit europäischer Überheblichkeit und Rassismus fand dabei von Anfang an ganz bewusst immer gemeinsam mit den Partnern aus dem Globalen Süden statt.

Wie aktuell und wichtig die Beschäftigung mit dem Thema ist und wie sehr sich der Begriff Mission weltweit im Wandel befindet, beleuchten in dieser neuen Jahrbuchausgabe 20 deutsche und internationale Autorinnen und Autoren aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln. Dabei beeindruckt immer wieder, wie unbefangen und stolz Menschen in den Kirchen des Südens von ihrem Glauben berichten – und wie es ihnen gelingt, andere für ihn zu begeistern. Viel Raum bietet das Redaktionsteam mit seiner Textauswahl der Idee von Mission als „interkulturellem Lernort“, mit kreativen neuen Formen und überraschenden Kommunikationswegen.

Einen der schönsten Gedanken dieses Buches formuliert der indische Jesuit und Theologe Felix Wilfred: Für ihn sind andere Religionen nicht länger Gegner oder Konkurrenten. Es geht ihm nicht darum, das Evangelium zu verkünden, um Menschen mit einem anderen Glauben zu überzeugen, theologisch gar zu „besiegen“, sondern sie und alle Religionen dieser Welt, denen es um ein friedliches Miteinander geht, als Partner in Gottes Mission zu begreifen. Ökumene ist für ihn nichts anderes als das Zusammenwirken aller Menschen guten Willens – vor allem angesichts von Menschheitsfragen wie der Sorge um Gottes Schöpfung, dem Sich-Aufbäumen gegen Umweltzerstörung, den verheerenden Folgen des Klimawandels und der Vernichtung der Lebensgrundlagen der Armen.

Das Eintreten für soziale Gerechtigkeit, Versöhnung und Heilung sind auch die Leitmotive in anderen Beiträgen des neuen EMW-Jahrbuches, etwa dem Text des Theologen Harvey Kwiyani aus Malawi, der mit seinem wortgewaltigen Plädoyer für eine globale Missionsbewegung jenseits der weißen Hautfarbe dafür wirbt, Gottes Wirken auch in den kleinen Dingen des Lebens zu sehen, und in den Kirchen des Nordens – inmitten der entgleisten Debatte über Menschen auf der Flucht – den Beitrag von Christinnen und Christen mit Migrationsgeschichte als Unterstützung und Bereicherung zu erleben.

Seit Jahren enthält diese Publikation einen liebevoll gestalteten Kunstteil mit Werken von Künstlern aus Asien, Afrika und Lateinamerika – diesmal passend zum Mosaik-Leitmotiv des Jahrbuches. Für alle, die Freude an einer differenzierten Beschäftigung mit einem herausfordernden Thema haben, bietet der 73. Band dieser traditionsreichen Reihe aus Hamburg ganz viel lohnenden Lese- und Nachdenkstoff.

 

Jürgen Schübelin