Die Herausgeber Hans-Georg Link und Josef Wohlmuth werten das Nizänum als einen „der wenigen Fäden, mit denen die zerrissenen Fetzen des geteilten Rockes der Christenheit noch zusammengehalten werden“ (nach Kelly, 275). Sie stellen zwar in Rechnung, wie abständig dies Bekenntnis mit seinen trinitarischen und christologischen Vorgaben heute erscheint. Doch der Abstand schwindet, lässt man sich auf die Texte des Sammelbandes ein, die die Kernaussagen des Nizänums auf Fragen der Gegenwart hin hinauslegen.

Josef Wohlmuth erinnert daran, dass im Nizänum von einem – die hebräische Bibel mitumfassenden – „Wir“ gesprochen wird. Dessen „performative“ Kraft ist weniger ein „glauben an“ als ein „glauben, dass“ (mit Hinweis auf Buber, 32). Glauben und Bekennen weiten sich so zu einer „Hoffnung auf eine neue Welt“ aus (38).

Rainer Stuhlmann gelingt es, mit einer Fülle von exegetischen Hinweisen dem Gottesverständnis der hebräischen Bibel trinitarisch nahekommende Denkbewegungen als „dreifältig“ nachzuzeichnen: „Gott dreifältig denken ist Gegenstand menschlicher Hoffnung“ (61).

Christian Link erinnert mit Blick auf das Bilderverbot der Thora an die „Allmacht“ des Schöpfers. Sie ist keine „Macht an sich“ (Barth). Gott tut, was ihm in seiner Selbstbestimmung möglich ist (71). In der Schrift ist darum Schöpfung ein „utopischer Entwurf“, der Menschen die „Anerkennung fundmentaler Grenzen“ abverlangt (73f). Mit Blick auf den zweiten Artikel des Nizänums ist somit das Dogma der Trinität „die eschatologische Frage nach der Vollendung der trinitarischen Geschichte Gottes“ (81).

Manfred Richter spitzt die Christologie des Nizänums mariologisch zu: Maria repräsentiert nicht nur die Menschheit im Allgemeinen, sondern in konkreter Besonderheit die Geschichtlichkeit Israels (103).

Wilhelm Wigger interpretiert die Passion Jesu mit Joseph Ratzinger „als Ausdruck jener törichten Liebe Gottes, die sich weggibt, in die Erniedrigung, um so den Menschen zu retten“ (121). Von daher ist die Auferstehung Jesu „eine ganz neue Art des Lebens“, die zugleich eine „ganz neue Zukunft eröffnet“ (126, ebenfalls mit Rückgriff auf Joseph Ratzinger). Die Ausarbeitungen von Wigger eignen sich als Materialsammlung zu Gemeindeseminaren über Tod und Auferstehung Jesu (109-135).

Christian Link versteht Jesu Auferstehung „als Protest“ (143), weil Jesus „aufstand gegen die Herren“ (Kurt Marti, 144). Das ist zugleich ein Hinweis auf die Fassung des Nizänums von 381, in der es heißt: Christus werde „wiederkommen in Herrlichkeit, um Lebende und Tote zu richten“ (144). Gott wird zu unserem „Jenseits“ (Ernst Troeltsch). Er stiftet individuelle Hoffnung als „Einbürgerung“ in sein Reich (148).

Hans-Georg Link zitiert mit Blick auf den 3. Artikel des Bekenntnisses eine Veröffentlichung, von „Glaube und Kirchenverfassung“ aus dem Jahr 1991, in der es heißt: „Heiliger Geist ist Gott in Bewegung.“ Ohne ihn werden die Dinge „fleischlich und leblos“ (153). Im Namen des Altenberger Ökumenischen Gesprächskreises wirbt Link darum dafür, dass 1014 dem ursprünglichen Bekenntnis von den Westkirchen hinzugefügte „filioque“ zurückzunehmen. Wer das Wehen von Gottes Geist Jesus Christus unterwirft, domestiziert ihn unzulässig (vgl. 1. Thess. 5,14). Diese Anmaßung der Westkirchen gegenüber den Kirchen des Ostens sollte zurückgenommen werden (157 u.ö.). Nach der endgültigen Fassung des Nizänums aus dem Jahr 381 ist der Heilige Geist „wahrer Gott“. Diese Anerkennung schafft den Spielraum im Miteinander der Ökumene dem heutigen, weltweiten Aufblühen der Pfingstkirchen mit mehr Offenheit zu begegnen (166).

Rainer Stuhlmann vertieft in einem weiteren Beitrag das Verständnis kirchlicher Einheit. Einheit hebt „nicht die Vielfalt auf, sondern die Herrschaft der einen über die anderen“ (173). Der Westen der christlichen Kirchen wird darum von ihren östlichen Geschwistern „mit aufregenden Abenteuern christliche Theologie neu denken“ lernen. So lange Gott „‚nicht alles in allem‘ ist, kann und darf es keine Kirche als Einheit geben“. Der „Kanon des NT begründet die Einheit der Kirche, ohne ihre unterscheidbare Vielfalt (in der Lehre! – H.S.) aufzuheben (Paulus-Jakobus, Matthäus – Lukas, Markus-Johannes).“ (174)

Die folgenden Beiträge – auch von katholischer Seite – nehmen das nicht zurück, sondern führen es weiter.

Josef Wohlmuth erinnert an Lev. 19,1-37 und Jes. 6,1-13, um zu unterstreichen, dass „Heiligkeit“ nicht nur ein Zeichen der Kirche ist, sondern „von der jüdischen Synagoge“ übernommen wurde (182). Ein Blick in das NT zeigt, wie die Kirche diese ihre Bestimmung verfehlt. Heiligkeit ist darum „die immer wieder neu geschenkte Fähigkeit der Umkehr“. Das bedeutet, dass „die Kirche als solche die Schuld der Schoa“ zunächst auch „auf sich nehmen“ müsste (185).

Wilhelm Wigger sieht in der Ekklesiologie Calvins, wonach Getaufte „zu einem Leibe zusammenwachsen“ (Inst, IV.1), ein „vorsichtiges Bild“. Das zweite Vaticanum zeichnet es nach, weil auch die katholische Kirche nicht ausschließt, dass „außerhalb ihres Gefüges“ Elemente auf die katholische Einheit „hindrängen“ (193). Demnach gilt: „Eine Kirche, die ausgrenzt, ist keine Kirche, sondern eine Sekte“ (Papst Franziskus, 194).

Christian Link stellt mit der Weltkirchenkonferenz 1961 in Neu-Delhi heraus, dass die Einheit der Kirche als „verpflichtete Gemeinschaft“ von Gott „sichtbar“ gemacht wird. Zwar ist diese Einheit der Kirche „sanctitas passiva“ (Luther, 202). Gerade damit wächst jedoch ihre Zuversicht, „von sich selbst als dem Zeichen der zukünftigen Einheit der Menschheit zu sprechen“ (Uppsala 1968, 198).

Manfred Richters umfangreiche Untersuchung (207-232) referiert das gegenwärtige „Verhältnis von Ordination und Episkope“. Sie ist das entscheidende Thema der Kontroversfragen zwischen den Großkirchen geblieben. Nach Entfaltung eines Befundes im NT wird die neuere Diskussion der „successio apostolica“ mit Blick auf das zweite Vaticanum unter Einschluss der ökumenischen Gesprächsergebnisse von Leuenberg, Meißen und Porvoo dargestellt. Richter hebt heraus, dass Rom beginnt, das Bischofsamt presbyterial zurückzubinden, während die Geltung des Bischofsamtes in protestantischen Kirchen einer „Scheu“ (224) unterliegt. Darum wertet Hans-Georg Link in seiner Einführung „Gegenseitiges Anerkennen des Bischofsamtes“ als ein „wesentliches Essential“, um die im Nizänum gesehene Einheit der Kirchen neu in den Blick zu bekommen (49 u.ö.).

Rainer Will erinnert an die Taufe und verbindet ihre ökumenische Bedeutung mit dem Vaterunser. Um die Nachfolge bei der in den Großkirchen weithin üblichen Kindertaufe zurückzugewinnen, empfiehlt er mit Martin Luther Erwachsenen das „… täglich in die Taufe kriechen.“ (239) Hierzu gehört die Praxis des Vaterunsers, bei dem die Getauften in Jesu Beten mit hineingenommen werden. Es integriert „in die Gemeinschaft der auf das Vertrauen Jesu Vertrauenden, die Gemeinschaft der Getauften, die Kirche“ (240). Erlöst betet die Gemeinde das Gebet Jesu mit Jesusund spricht sein Beten als „Unser“ Vater in täglicher Gemeinschaft mit ihm zusammen. Das Vaterunser wird weniger gebetet, weil Jesus es „gelehrt“ hat, sondern weil sie eingeladen ist, es mit ihm gemeinsam zu beten. Sie ist und bleibt zusammen, weil Jesus sie sich in seinem Gottesverhältnis „anVerwandelt“ hat (241). Diese Form der „Gebets-Gemeinschaft“ mit Jesus begründet Ökumene als Lern-Gemeinschaft und Solidar-Gemeinschaft (250).

In einem historischen Abriss zeichnet Herbert Schneider das Verhältnis von „Kaiser (Konstantin – H.S.) und Konzil“ nach. Die Verabschiedung des Bekenntnisses von Nizäa und Konstantinopel 325-381 steht am Anfang der „Konstantinschen Wende“. Das wirft die Frage auf, wie weit machtpolitische Erwägungen seine Beschlüsse beeinflusst haben und wie weit der (noch nicht getaufte) Kaiser Konstantin als „Mitbischof“ sich als Christ verstand. Man möchte nach den Ausführungen von Schneider das bejahen und die Verabschiedung dieses Bekenntnisses „für ein Erfolgsmodell“ (266) halten, weil Konstantin aus christlicher Überzeugung mitwirkte. So verbot er die Kreuzigung als Barbarei, setzte die Privilegierung des Sonntags durch und förderte mit eigenen Mitteln einen markanten Kirchenbau (z.B. in Rom und Bethlehem, 258f).

Im Anschluss an diese Texte folgen Vorschläge des Altenberger Ökumenischen Gesprächskreises zur Gestaltung des Jubiläums auf verschiedenen Ebenen und für „eine neue liturgische Beheimatung“ (277) in Messfeiern bzw. Abendmahlsgottediensten. Den Herausgebern, Autoren und dem Gesprächskreis gebührt Dank für diese Veröffentlichung. Ein scheinbar nur fachtheologisch relevantes Thema wird in dieser Textsammlung gemeindenah und pointiert unter den gebotenen Aspekten neu diskutiert. Im Erwachsenenkatechumenat, aber auch zum ersten Studium verdient es seinen festen Platz.

Das Ausziehen sozialethischer Linien der verhandelten Christologie für eine Zeit der anbrechenden Völkerwanderung hätte den Band noch wichtiger gemacht. In seiner Aufnahme der patristischen Christologie erinnerte etwa Dietrich Bonhoeffer daran: Jesus „ist nicht ein Mensch, sondern der Mensch. Was an ihm geschieht, geschieht am Menschen, geschieht an allen“ (DBW 6, 71f, Ethik). Was kann das christologische Bekenntnis der Kirchen zu den Phänomenen heutiger Migration anderes sagen als: „ihr seid angenommen. Gott hat euch nicht verachtet, sondern er trägt leibhaftig euer aller(Hervorhebung – H.S.) Fleisch und Blut.“ (DBW 15, 540)

 

Heiner Süselbeck