Jeder und jede hat so etwas wie den Soundtrack des Lebens. Musik, die an besondere Erlebnisse erinnert. An den ersten Kuss, an die Hochzeit, an einen besonderen Ort. „Musik dringt tiefer in die Seele ein als alles andere“, schreiben Uwe Birnstein und Volker Eichener in ihrem Vorwort zu „Highway to Heaven“. Wohl auch ein Grund, warum die Musik in unseren Gottesdiensten eine so große Rolle spielt. Und doch verwundert es, dass eine so große Kirche musikalisch gesehen fast ausschließlich das Nischenprodukt Klassik einsetzt. Geht auch anders. In Heidelberg veranstaltet ein Pfarrer einen Taylor Swift-Gottesdienst – und lockt hunderte Swifties in die Kirche. Dabei ist die Rock- und Popmusik von religiösen Überzeugungen durchzogen. Und Popkonzerte haben rituelle Elemente.

Die beiden Autoren sind als profunde Kenner ausgewiesen. Volker Eichener ist Professor für Politikwissenschaften in Düsseldorf und hat zahlreiche Bücher zur Wirkung von Rockmusik auf die Gesellschaft verfasst. Der Theologe und Musiker Uwe Birnstein hat in den letzten Jahren zahlreiche „spirituelle Porträts“ veröffentlicht. Unter anderem über Leonhard Cohen, Bob Dylan, Udo Lindenberg und Johnny Cash.

Die beiden Autoren nehmen den Leser mit auf eine spannende Reise der himmlischen Songs von AC/DC, Black Sabbath, Johnny Cash, Tracy Chapman, Eric Clapton, Leonard Cohen, Depeche Mode, Bob Dylan, Genesis, Herbert Grönemeyer, Sarah Lesch, Udo Lindenberg, Madonna, Sinéad O’Connor, Joan Osborne, The Rolling Stones, Patti Smith, Bruce Springsteen, Taylor Swift, U2 und Led Zeppelin. Im Mittelpunkt der einzelnen Kapitel steht in der Regel ein Song. Vor dessen Text und Musik werden religiöse Überzeugungen kompetent entfaltet. Schade, dass die Texte aus rechtlichen Gründen nicht abgedruckt werden können. Doch die Autoren haben zum Buch eine Website mit Links zu Musik und Text erstellt. So kann man das Buch auf zwei Arten genießen. Mit der Lektüre zu seinen Lieblingsmusiker*innen oder mit dem Tablet auf dem Schoß um Liedtext und Musik nachzuschauen und zu hören. Zur Vervollständigung wäre sicher noch eine Bibel hilfreich, denn die Autoren belegen ihre Aussagen oft mit biblischen Bezügen.

Drei Beispiele: Patti Smith. Sie beendet ihre Auftritte mit dem Song Gloria. Die einstige Punk-Band charakterisiert Eichener so: „Die drei Möchtegernmusiker spielten die drei Akkorde durch, manchmal 40 Minuten lang. Patti Smith improvisierte dazu, bis ihre Cover-Version mehr als doppelt so viele Verse aufwies wie Van Morrisons Original.“ Der erste und letzte Vers lautet: „Jesus starb für irgendjemandes Sünden, aber nicht für meine“. Mit diesen Zeilen befreite sich Patti Smith von der strengen Erziehung der Zeugen Jehovas. Durch ein traumatisches Erlebnis, sie stürzte beim Singen der Zeile „Gottes Hand, ich fühle den Finger“ von der Bühne und brach sich mehrere Wirbel, änderte sich ihre Einstellung. Hinzu eröffnete ihr Pier Paolo Pasolinis Jesus-Film eine neue Perspektive. „Jesus starb für irgendjemandes Sünden. Warum nicht für meine?“, fragt jetzt die Sängerin. Die Analyse der Glaubensbiographie von Patti Smith des Soziologen Eichener in Anlehnung an den Theologen Ernst Troeltsch: Drei Haupttypen der christlichen Idee hätten sich herausgebildet: die Kirche, die Sekte und die Mystik. „Bei Patti Smith ist deutlich: Sie verließ die Sekte – Jehovas Zeugen – und vollzog den Übergang zur Mystik; das heißt, sie erlebte unmittelbare Gotteserfahrungen, die bis zur ‚sexuellen‘ Kommunikation mit Gott reichten.“

Martin Gore, Sänger von Depeche Mode ärgerte sich Ende der 1980er Jahre über Anzeigen, die schnelle Vergebung oder Erlösung am Telefon versprachen. Der eigentliche Zweck war das altbekannte Scheffeln von Geld via Telefongebühren. Die moderne Form des Ablasshandels. Depeche Mode kopierte diese Methode. Nur wer hier anrief, hörte Musik von Depeche Mode mit dem Text „Your own personal Jesus“. Birnstein merkt an, dass Gore nicht nur die frömmelnden Geschäftemacher inspiriert haben, sondern auch die Liebesgeschichte von Priscilla und Elvis Presley. Die damals 14jährige vergötterte den zehn Jahre älteren Elvis. Es wurde eine toxische Beziehung. Fürsorge und Hoffnung kann leicht umschlagen in Abhängigkeit und psychische Gewalt. Später coverte den Song – ohne Genehmigung – Johnny Cash. Er hat ihn als Gospelsong interpretiert. War er doch geprägt von einem Glauben, der ihn aus dem Suchtsumpf gehievt hat. Cash sang also keine Persiflage, sondern aus tiefer Überzeugung, dass Jesus die Erlösung bringt.

Taylor Swifts Vater und auch einige Berater raten bei einem Meeting der jungen Künstlerin, sich aus Politik und Religion herauszuhalten. Die ultrakonservative Senatorin Marsha Blackburn aus Swifts Heimatstadt Tennessee stimmt gegen Gesetze für faire Löhne von Frauen oder gegen die Gleichstellung von Homosexuellen. Swift sagte in diesem Meeting mit tränenreicher Stimme: „Das sind keine christlichen Werte von Tennessee. Ich bin Christin. Das ist nicht das, wofür wir stehen.“ Die presbyterianische Familie und die katholische Vorschule prägten die Künstlerin. Doch genau wie Madonna befreite sie sich vom katholischen Schuldkomplex. Schon mit zwölf Jahren textet sie ein Lied, dass das Theodizee-Problem genau beschreibt. „Ein unglaublich reifes Lied für eine Zwölfjährige, vorgetragen mit fester Stimme. Der Song ist nie veröffentlicht worden. Er war ihrem Vater wahrscheinlich zu religiös. Und zu politisch.“ Und gerade bei Menschen, die in streng gläubigen Familien aufwuchsen führen sexuelle Abenteuer auch zu Schuldgefühlen. „Die Lust siegt, das schlechte Gewissen bleibt“, stellt Eichener fest. Doch es geht nicht nur um Sexualmoral. Im Song „Christmas Must Be Something More“ kritisiert Swift die Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes. Und schließlich: „Ihr Glaube an Jesus, der sich für die Schwachen eingesetzt hatte, lässt auch sie Partei nehmen für die Verletzlichen.“

Ein Buch voller Querverweise, theologischer, soziologischer und musikalischer Kompetenz. Und doch kann man es als interessante und kurzweilige Lektüre nutzen, um dem einen oder der anderen Musiker*in nachzuspüren. Es eröffnet mit Website einen ganzen Kosmos zum Hören, Nachlesen und Sehen. Und schließlich bietet das Buch Anregungen für mindestens 22 wunderbare Gottesdienste, in dem mal andere Musik, wenn man so will, unser aller Alltagsmusik, im Mittelpunkt steht. Was will man mehr?

Kurt Helmut Eimuth