Es gibt Menschen, die überall und stets einen unstillbaren Optimismus ausstrahlen und leben. Und es gibt Menschen, die in Familie, Beruf und Politik stets nur unlösbare Probleme erkennen und deswegen unter tiefster Niedergeschlagenheit leiden. Letztere, nach Aussagen mancher Zweifler auch erstere, bedürfen eingehender Seelsorge und oft auch ärztlicher Fürsorge. Für alle anderen Menschen ist dieses neueste Werk von Werner Thiede geschrieben. Der Erlanger Theologieprofessor ist ja nicht nur systematisch-theologischer Denker und beschenkt mit umfassenden Kenntnissen aus Philosophie und Geistesgeschichte. Er ist auch ein trefflicher Psychologe, erfahren in den vielen Höhen und Tiefen menschlichen Lebens. Er ist Pfarrer und Seelsorger der bayerischen Landeskirche (inzwischen im Ruhestand) und hat vieles in Gesprächen und Seelsorge erlebt, was menschliches Leben ausmacht.
Deswegen ist sein Buch auch so durchdrungen von der Frage, wie Leben gelingen und glücken kann. Das letzte Ziel für Menschen ist, so zieht er die Summe aus Theologie und Glaubensgeschichte, eben diese „himmlische Freude“, die er für die Leserinnen und Leser, für die Kirche und alle Glaubenden vor Augen malt. Theologie und Glaube hat für Thiede die Aufgabe, dieses tiefste, allumfassende Glück anzunehmen und zu vermitteln. Dabei geht es ihm nicht um ein Jenseits über das aktuelle Leben und Leiden hinaus, sondern um eine Gewissheit schon im Hier und Heute.
Natürlich ist sich Thiede bewusst, dass manche seiner theologischen Spitzensätze Widerspruch hervorrufen dürften. Aus seiner Zeit als Referent für Weltanschauungsfragen (EZW Stuttgart) und aus vielen Debatten im universitären und kirchlichen Raum ist ihm die Fülle der Argumente präsent, die seiner engagierten Neuinterpretation des Begriffes „Evangelium“ – gute, frohmachende Botschaft für hier und jetzt – entgegentreten könnten. Besonders zu Beginn seines jüngsten Buches kann er eloquent darlegen, wie denkerische Ablehnung und scheinbare Widerlegung in eine relativistische Theodizee münden müssen. Damit ist – so Thiede – auch die Idee der Transzendenz als solche aufgegeben. „Tatsächlich ist dort, wo der Himmel leer geworden, der göttliche Horizont weggewischt ist, die Dimension himmlischer Freude verloren gegangen…“ (21). Umgekehrt gilt: „…denn wenn es keine absolute Wahrheit mehr gibt, wie sollte dann der Relativismus absolut wahr sein?“ (ebd.). Wenn aber Leben gelingen soll, wenn Zuversicht und Wahrheit als solche Raum gewinnen und Leben bestimmen möchten, dann darf als letztes und tiefstes Ziel eben diese himmlische Freude als Ziel und Richtschnur für Gelingen und Glück eintreten.
Solche Spitzenaussagen benötigen auf der einen Seite theologische und philosophische Unterfütterung – die leistet Thiede eingehend. Was die Bibel zum Thema zu sagen hat, ist Gegenstand eines eigenen Abschnitts. Aus der Kirchengeschichte werden anschauliche Beispiele gebracht: Franz von Assisi, Martin Luther, Paul Gerhardt, Sören Kierkegaard, Dietrich Bonhoeffer und die Stimme der Mystik kommen zu Wort. Den Abschluss bildet ein Abschnitt über den Humor als Angeld der Freude im Jetzt und Dann.
Dabei geht es Thiede darum, nicht alleine das Denken der Zweifelnden und Fragenden auf die Dimension der zielführenden himmlischen Freude hin zu orientieren. Er will seelsorgerlich begleiten und neue Wege des Glaubens und Lebens weisen. Natürlich weiß auch er, dass dafür überkommene Texte auch der besten homiletischen und hymnologischen Tradition – abgesehen von Worten der Bibel, die er nach wie vor und stets für geist- und lebenserfüllt erachtet – kaum ausreichen können. Selbst Lieder des verehrten Paul Gerhardt sind ja aktuell oft nicht mehr hilfreich in der Seelsorge. Thiede unternimmt es deswegen, auch eigene Texte zu präsentieren, die in nuce Menschen die Botschaft der „himmlischen Freude“ ins Herz sagen möchten. Wie schon in seinen „Glaubensliedern“ (München 2023) wagt er es, auch in aktueller poetischer Sprache hilfreiche Theologie verständlich zu machen.
Texte, Lieder, Gedankenwege – es lohnt sich, bei Werner Thiede zu verweilen. Wenngleich seine Liedtexte vielleicht nicht jede und jeden erreichen mögen, seine Argumentation ist insgesamt schlüssig, trotz der eminenten Gedankenfülle gerade auch für Laien sehr gut nachzuvollziehen. Das kleine Buch ist auch im Nachtkästchen bestens aufgehoben und als Geschenk durchweg zu empfehlen.
Hermann Probst