Wer (wie Theologinnen und Theologen das tun) die Sprache schätzt, wer damit verantwortlich umgehen muss und will, wer seine/ihre Worte mit Bedacht zu setzen sucht – die und der tut gut daran, Verbündete zu haben. Und die haben sie: in den Lyrikerinnen und Lyrikern unserer Tage, in den literarischen Zeitgenoss*innen, die sich eben darum bemühen: Zeit und Welt und all das Unsägliche und Unsagbare darin in Worte zu fassen. Weil Worte heilsam sind, weil das, worüber ich reden kann und wovon ich erzählen kann, schon auf dem Weg der Besserung ist, schon zu heilen und zu leuchten beginnt.
Björn Hayer ist mit seinem Buch über „Die neuen Schöpfer“ (und viele Schöpferinnen darin) ein ganz hervorragender Bundesgenosse. In 27 Essays gibt er einen belesenen und lesenswerten Einblick in die zeitgenössische Lyrik und ihre Themen – und (vielleicht nur) nebenbei die Hoffnung, dass das treffliche Wort, die verantwortete Sprache doch noch etwas richten kann. Was ja selbst die, die dem Wort vertrauen, dem göttlichen, bisweilen nur noch wagemutig glauben.
Gleich im Vorwort „Du musst dein Leben ändern“ (R.M. Rilke, Archaischer Torso Apolls) deutet Hayer an, wie „Ästhetik in Ethik umzuschlagen vermag“ (14), wie Lyrik als „Lebens- und Wahrnehmungsweise“ (15) aufmerksame Zeitgenossenschaft gebiert und mitten drin ist in den Umbrüchen und Verwerfungen der Gegenwart. Dabei erkennt er „eine zentrale Wesensfunktion der Gegenwartslyrik, nämlich Trost zu spenden und das Leben mit all seinen Rissen leichter erträglich werden zu lassen“ (25). Mit kommt das sehr bekannt vor!
Immer geht es (Nicht auch in unseren Sprechakten in Liturgie, Predigt und Seelsorge? Doch!) darum, die „beklemmende Sprachlosigkeit“ (65) zu überwinden. Darum ist Gegenwartslyrik besonders orientiert an den großen Fragen: Klimawandel, Spaltung unserer Gesellschaft, Krieg und Kriegsrhetorik. Dabei ist die „Sprachfähigkeit“ der Lyrik in Krisen und Gefahren ein „Schlüssel zur Selbstermächtigung“ (69) derer, die schreiben und lesen. Lyrik hat eine „existentielle, beinahe therapeutische“ Wirkung (ebd.).
Neben den Themen werden auch Dichter und Dichterinnen der Moderne und der Gegenwart kurz und prägnant vorgestellt und ihre besonderen Verdienste und ihre bleibende Aktualität gewürdigt: Charles Baudelaires, Stefan George, Paul Celan, Marion Poschmann, Barbara Köhler, Elke Erb u.a. Bei der Lektüre dieses sehr gut unterrichteten Buches wird sichtbar, wie vielfältig und reich die Lyrik-Szene ist, oft „vor Ort“ und in der eigenen Region. Es lohnt sich: Die Lektüre der „neuen Schöpfer“ genauso wie sich umzusehen und Partner und Partnerinnen in Sachen Wort und Sprache zu finden. Unsere Zeit braucht’s gerade sehr!
Thomas Weiß