Werner Schüßler
Vom Ich, der Liebe und dem Tod
Was unser Menschsein letztlich ausmacht
Echter Verlag Würzburg 2022 (ISBN 978-3-429-05746-6), 128 S., 12,90 €
Werner Schüßler
Gott unter Anklage
Von Hiob bis COVID 19
Echter Verlag Würzburg 2023 (ISBN 978-3-429-05863-0), 128 S., 12,90 €
Die drei Taschenbücher (2021, 2022, 2023) des katholischen Theologen und Philosophen Werner Schüßler, des emeritierten Philosophieprofessors an der Theologischen Fakultät der Universität Trier, sind eine allgemeinverständliche, übersichtliche, didaktisch ausgezeichnete Anleitung zu eigenem Philosophieren und Theologisieren. Die sehr handlichen Bände können je für sich einzeln gelesen werden, und man kann eigentlich überall einsteigen. Sie bilden aber auch einen gedanklichen Zusammenhang. Sie passen in die heutige geistige Atmosphäre, indem sie zu ruhigem, ehrlichem Nachdenken über die Grundfragen des Daseins helfen und dazu ermutigen, sich nicht von der bei uns grassierenden zunehmenden Säkularisierung (also Verweltlichung, Entchristlichung, Entkirchlichung und Gottvergessenheit) erdrücken zu lassen.
Der Band aus dem Jahr 2023 hebt sich etwas ab als durchgehende Monografie zur Frage der „Theodizee“ (Wieso gibt es so viel unsäglich Schlimmes und Böses in der Welt, wenn Gott doch zugleich allmächtig und gütig ist?). Eine Frage am Schluss zeigt etwas von der christlichen Apologetik Schüßlers: „Woher das Gute, wenn [gemeint ist: falls – A.R.] es Gott nicht gibt? Ich denke dabei besonders an den christlichen Begriff der Liebe im Sinne der agape, die völlig ‚unmotiviert‘, d. h. bedingungslos ist“ (2023, 121).
Für seine Überlegungen greift Schüßler theologisch vor allem auf den herausragenden deutsch-amerikanischen protestantischen Theologen Paul Tillich zurück. Nicht von ungefähr, denn Schüßler ist einer der kundigsten und produktivsten Tillich-Forscher im deutschsprachigen Bereich und hat zahlreiche einschlägige Bücher über Tillich geschrieben. Philosophisch beruft er sich vor allem auf Karl Jaspers (über den er ebenfalls publiziert hat), auf Viktor Frankl, Hans Jonas, Martin Buber, Paul Ricoeur und Max Scheler. Nebenbei werden diese und andere große Denker des 20. Jh. ausführlich zitiert, so dass man einen hilfreichen Einblick in deren Denken gewinnt. Es wird auch aus bisher nicht zugänglichen Tillich-Quellen geschöpft (so 2023, 108-110). Auch die weiter zurückliegende Philosophie- und Theologiegeschichte kommt nicht zu kurz, etwa mit Augustinus, Thomas von Aquin, Friedrich Nietzsche und Sören Kierkegaard. Die vom Autor jeweils vorgestellten Positionen ergänzen sich großenteils, oder sie bilden gelegentlich auch Alternativen. Soweit er es für angebracht hält, kommentiert er sie kritisch. So etwa, wenn Jaspers meint, der „philosophische Glaube“ stehe „notwendig in Opposition zur (christlichen) Religion“ (2021, 16). Fertige Antworten sind nicht Sache des Autors. Schüßler bietet aber Positionen an, die er selbst für plausibel hält, vor allem im Grundkonsens von Tillich, Jaspers und Frankl.
Der Band des Jahres 2021 gliedert sich in die drei Kapitel „Warum Philosophie kein überflüssiger geistiger Luxus ist“, „Warum Freiheit keine bloße Illusion ist“ und „Warum Gott keine reine Projektion ist“. Band 2022 führt die stark anthropologische, die Freiheit unterstreichende Akzentuierung weiter mit den drei Kapiteln „Vom Ich“, „Von der Liebe“ und „Vom Tod“. Zum schon in Band 2021 gestreiften Theodizeeproblem (2021, 110-120) werden in Band 2023 „Antworten aus der griechischen Philosophie“, „Klassische Antworten vor dem Hintergrund des christlichen Denkens“ und „Dualistische Antworten“ vorgeführt. Es folgen „Hiob im Spiegel der modernen Philosophie“, „Theodizee nach Auschwitz“, „COVID 19 und das Problem der natürlichen Übel“ sowie „Antworten aus der modernen Theologie“. Hier greift Schüßler vor allem auf Tillich zurück, wobei er den Begriff des „Dämonischen“ einbringt. Eindrücklich und Neuland ist in dem Schlusskapitel auch eine Besinnung über das Symbol des „behinderten Gottes“ (2023, 114-118). Hier verarbeitet der Verfasser das Schicksal seiner Tochter Riana, die mit dem Down-Syndrom auf die Welt gekommen ist (2023, 11-12).
Alle drei Taschenbücher schließen mit einem „Fazit“, und darin ermutigt Schüßler in aller Bescheidenheit dazu, sich nicht mit dem von ihm Entfalteten zufrieden zu geben, sondern sich aller Grenzen bewusst zu bleiben und selbstständig weiter nachzudenken. Hier erweist er sich methodisch als Philosoph, denn in der Philosophie werden die Antworten auf die letzten Fragen offen gehalten (so 2023, 121). Gott ist wissenschaftlich „weder zu beweisen noch zu widerlegen“ (2021, 14). Das ist ein erkenntnistheoretischer Agnostizismus, der aber keineswegs zur Gleichgültigkeit den entscheidenden Fragen des Daseins gegenüber führen muss, sondern mit höchster existenzieller Betroffenheit verbunden sein kann. So beruft sich Schüßler auf den „ontologischen Schock“ Tillichs angesichts der Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts?“ und auf die „Grenzsituationen“, von denen Jaspers handelt (2021, 32f).
In der Wahrheitsfrage unterscheidet Schüßler mit Jaspers (und der Sache nach mit Tillich) zwischen der wissenschaftlichen Richtigkeit, die zwingend sein kann, sich aber immer auf die empirisch zugänglichen Einzelheiten unserer Welt bezieht, und der „existenziellen Wahrheit“ (2021, 58) über den Sinn des Ganzen und das Wesen des Unbedingten, des Absoluten, und eben das sprengt die Kompetenz der Wissenschaften (so 2021, 42).
Zum Menschsein gehört die Frage nach „der Welt als Ganzer“, und eben darauf bezieht sich die Philosophie (2021, 51). Es geht in der bei Schüßler stark metaphysisch akzentuierten Philosophie „um die Frage, was das eigentlich Wirkliche ist: Ist es die Materie, ist es das Leben, ist es der Geist?“ (2021, 19). Dieser Ansatz steht in der Tradition der „natürlichen Theologie“. Diese zeigt, dass die Menschen unweigerlich auf die Transzendenz, das Absolute, das Göttliche bezogen sind, wenigstens in der Frage danach, auch wenn diese mindestens zeitweilig unterdrückt werden kann. Ferner betont die natürliche Theologie das Recht der Vernunft und des vernünftigen Argumentierens auch in Glaubensangelegenheiten. Vernunft und Glaube sind miteinander kompatibel (so 2023, 103). Schließlich aber hat die Vernunft auch ihre Grenzen, weil die Antwort auf die Frage nach dem wahren Wesen Gottes Sache der „übernatürlichen Offenbarung“ ist, welche die Vernunft überschreitet, ohne ihr, die ja vom Schöpfer gegeben ist, freilich zu widersprechen (dazu 2021, 98).
Dass Schüßler als christlicher Theologe selbst für das Verständnis Gottes als Macht der Liebe plädiert, die mit dem Tod nicht zu Ende ist, zeigt sich etwa daran, dass er den materialistisch-atheistischen Naturalismus für eine „trostlose Metaphysik“ hält (2021, 123; auch 2023, 120). Oder dass er Tillichs Aussagen zur „Annahme des Unannehmbaren aufgrund von Gottes bedingungsloser Liebe“ unterstreicht (2022,114; auch 2023, 121).
In einem vierten Band könnte sich Schüßler aus religiöser Perspektive auf die Begründung der Ethik, auf Sozialethik und politische Fragen konzentrieren. Idolatrie und Aberglaube bieten da genug Anknüpfungspunkte (vgl. 2021, 105; 2023, 113f).
Andreas Rössler