Das Buch ist eine Umarbeitung der in wenigen Exemplaren gedruckten (aber unter https://augustana.de/fileadmin/user_upload/dokumente/promotionen/Dissertation_Weitnauer.pdf einsehbaren) Dissertation Weitnauers von 1993 „Die lutherische Gemeinde ‚Schlesien‘/Morogoro (Tansania) von 1908 bis 1960. Mission unter ungünstigen Bedingungen und Gemeindeaufbau in großer Verschiedenheit“. Sie soll „in Richtung auf Lesbarkeit für ein … nicht … fachlich interessiertes Publikum. … ein Brückenschlag … zwischen Nord und Süd“, sein, so Weitnauer. Das Buch wurde in Moshi, Tanzania, gedruckt und ist für die Verwendung dort in englischer Sprache geschrieben. Ich konnte es mit meinem (selten genutzten) Schulenglisch gut lesen, von einigen Fachbegriffen abgesehen, die aber leicht zu klären sind.

Dass die Lektüre meinem Schulenglisch aufgeholfen hat, ist aber nicht der eigentliche Nutzen. Wer immer sich mit Gemeindebau, -konzept, -neuausrichtung befasst – und das sind viele –, beschäftigt sich auch mit Fragen, die Mission seit ihren Anfängen zu beantworten sucht, egal, welche Etiketten man auf alles klebt, um den für viele anstößigen Begriff „Mission“ zu vermeiden. Weitnauers Buch zeigt Hindernisse und Förderliches für diese Aufgabe. Indem es Gemeindeaufbau in einer fremden Region reflektiert, macht es Probleme sichtbar, für die wir in unserer – uns zu gewohnten – Umgebung blind geworden sind, zeigt aber auch Chancen und Möglichkeiten.

Weitnauers Interesse wurde von seiner Beobachtung Anfang der 1980er Jahre angestoßen: „Der Eindruck, den die Gemeinde Towero … auf den Verfasser … gemacht hat, war der einer kleinen Schar, etwas überaltert, stolz auf ihre Geschichte, aber insgesamt eher müde.“ Er fragt: „1. Warum entstanden in „Schlesien“ und Morogoro nur relativ kleine lutherische afrikanische Gemeinden, obwohl viele Jahre missionarisch gearbeitet und ein bedeutendes Institut errichtet wurde? 2. Warum unterschieden sich die Gemeinde „Schlesien“, die afrikanische Gemeinde Morogoro und die deutsche Gemeinde Morogoro so stark im Blick auf ihr Gemeindeleben?“

So ist das Buch für den Unterricht in Makumira ebenso wie für Tansania-Kenner interessant, Weitnauer stellt seine Fragen aber auch angesichts „der Diskussion um ‚Mission‘ und ‚Gemeindeaufbau‘ … Beide Begriffe werden … einander zugeordnet. So spricht … Michael Herbst vom ‚missionarischen Gemeindeaufbau‘, beschreibt einen Großteil der evangelischen Christen in Deutschland als ‚getaufte Heiden‘ …“ (Zitate nach Weitnauer, Dissertation).

Anregend könnte das Buch also auch für die sein, die über Gemeindeaufbau in Deutschland nachdenken und Antworten nicht den Ratschlägen der Unternehmensberater überlassen wollen. Einsichten liefert das Buch aber auch über Recht wie Kritik aller Mission. Mission will Menschen zum Glauben an Jesus Christus führen, in diakonischer Zuwendung aber nicht zurückstehen. Wichtig dafür ist ein möglichst stabiles Einvernehmen mit der einheimischen Regierung. Wie schon in der Reformation ist die Unterweisung im Evangelium eingebettet in umfassende Bildungsanstrengungen, sollen Schulen Grundfertigkeiten beibringen, die Menschen auch zu nützlichen Bürgerinnen und Bürgern machen. Im Fall Tansanias geht es den Missionsschulen immer auch darum, dass Absolventinnen und Absolventen eventuell in den Dienst der Regierung treten können.

Missionare brachten nicht das „reine“ Evangelium, sondern dieses eingekleidet in ihre Kultur. Nicht nur sprachlich musste es in die neue Umgebung inkulturiert werden. Wer Lehre und deren kulturelle Form voneinander unterscheiden und neue Formulierungen finden will, gerät in Auseinandersetzungen mit der einheimischen wie der die Missionare aussendenden Gesellschaft. Die „Heimat“ konnte so aber auch deutlicher den Kern der Botschaft entdecken. In der neuen Umgebung gerät man in Konflikte mit den Hütern des Bestehenden: „Wer das Christentum in dieser Situation ausbreiten wollte, musste zeigen, dass er nicht Agent des Europäertums war, sondern Agent Christi, … Er musste das Christentum afrikanisieren“ (Weitnauer, 138). Freilich: „Das Christentum verlangte … Abkehr von der traditionellen Religion. Damit erschütterte es … die traditionellen, politisch-religiösen Autoritäten … Protagonisten des Christentums waren in Usaramo … die Jungen, Ungebildeten, Armen und Schwachen. Das Christentum dürfte daher als Instrument der Kolonialherrscher zur Neutralisierung der traditionellen Autoritäten missverstanden worden sein.“ (a.a.O.)

Interkonfessionelle (von den Missionaren mitgebrachte) Probleme hemmen die Zusammenarbeit der Missionsgesellschaften, ebenso konfessionelle Streitigkeiten mit katholischen, aber auch anderen evangelischen Missionsgesellschaften (Freikirchen nennt Dibelius noch 1926 „Sekten“). Die Trennung von Christen beim Abendmahl machte die Botschaft für die Einheimischen unglaubwürdig, so dass man sich – lange vor entsprechenden Regelungen in der Heimat – auf ein Miteinander einigen musste. Die Verwendung einheimischer Musik, ja, auch der Gebrauch der „heiligen Geräte“ „aus afrikanischem Material“ gehörte zu den Bemühungen um Afrikanisierung des Christentums. Vor solchen praktischen Herausforderungen konnte auch ein Anhänger der NSDAP wie Hermann Krelle pragmatische Lösungen finden, die er als „völkisch“ rechtfertigen mochte, die aber zu einem Miteinander führten, das kaum mit den Rassegedanken des Dritten Reiches vereinbar war. Insofern bleibt unklar, wie weit man ihn als Anhänger der Deutschen Christen verstehen muss (eine Frage, die in diesem Buch eher angedeutet, in der Dissertation aber ausführlich verhandelt wird). Man darf hier nie den ökonomischen Zwang übersehen – der Missionar bleibt abhängig von Zuwendungen der und von Kontakten in die Heimat.

Auch die Auseinandersetzung mit dem Islam bestimmt in Tansania mehr, als ich jedenfalls es gedacht hätte. Die Überlegungen Weitnauers zum Erfolg des Islam in diesem Gebiet Afrikas leiten zum Nachdenken über unseren Umgang mit dieser Religion an, meine ich, gehen jedenfalls tiefer als all die pro- und antiislamischen Tendenzen in unserem Land heute.

Wer das Buch liest, wird zu eigenem Nachdenken über Evangelium und Kultur, Politik, Landsmannschaft angeleitet. So wird man über das, was wir „orthodox“ nennen, sehr viel tiefer nachdenken und neue Formulierungen suchen. Ich meine, das Büchlein kann Pfarrerinnen und Pfarrern auch heute helfen, Ziele ihres Handelns zu formulieren und fähig zu werden, neue Formulierungen der alten Botschaft zu suchen.

 

Martin Ost