In ein weites Feld kirchlicher Wirklichkeit läßt Helmut Barié Leser und Leserin seines weiträumigen Buches blicken! Aus dem Erfahrungsschatz geistlich-theologischer Lebensämter, überdenkt, redet und schreibt er dies Buch: als Vikar und Pfarrer der Badischen Landeskirche erlebte er die sog. „Basis“ (das meint: die Gemeinde Jesu Christi vor Ort!), als Direktor des Predigerseminars seiner Kirche und als Dozent für Homiletik erforschte er gleichsam an vielen Jahrgängen von Vikarinnen und Vikaren den immer neuesten Stand gemeindlicher Wirklichkeit. Und als Prälat durchlebte und durchdrang er in Seelsorge und Auferbauung Last und Freuden der Gemeinden und als Mitglied der Kirchenleitung die inneren Strukturen wie Verfallsgefahren der Landeskirche über mehr als ein Jahrzehnt. Daraus und aus der Sorge um den Zustand seiner Kirche und die Auswirkungen kirchleitender Planungen zur Zukunft der Institution erwuchs dies hochbrisante praktisch-theologische Buch. Dessen Rahmen ist ein alles bestimmender und entscheidender: kirchliches Leben, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Kirche wird gefaßt in biblische Verheißungsworte (Mt. 11,28 und 28,20) und in ein das Buch nicht abschließendes sondern Zukunft eröffnendes Gebet (224). Wie überhaupt Gebete die einzelnen Beiträge, also Predigten und Vorträge und Zeitschriftenartikel durchwirken!

Da wird zentral deutlich: Barié schöpft seine Ermutigungen für Pfarrerinnen und Pfarrer – aber doch sehr deutlich auch für Gemeinden und sog. Ehrenamtliche – aus der Gewissheit, die Kirche Jesu Christi steht und fällt mit dem unbedingten, gnädig berufenden und begabenden, handelnden und bewahrenden gegenwärtigen Jesus Christus (in der Lehre der Kirche heißt das – längst vergessen – weithin: der perseverantia sanctorum!); sie ist nun einmal ausschließlich Kirche dieses Auferstandenen Gekreuzigten, in dem sie lebt und wirkt in mannigfaltigen Gnadengaben des Heiligen Geistes – denen spürt Barié nach und stellt sie als gültige Zeichen wahrer Kirche dar.

Das steht gegen den Trend gegenwärtiger, die Gemeinden und Pfarrer schwer belastender kirchenleitender (Fehl-)Planungen, Projekte und sogenannter „Visionen“! Die beachten nämlich weder den stetigen Verlust der elementaren Wahrheit, aus denen Kirche lebt, die auf Christus bezogen ist (solus Christus), noch die wirkliche Lebenswelt der Pfarrerinnen und Pfarrer, die von den wenig theologisch durchwirkten Leitlinien und Planungen geradezu erdrückt werden – bis hin zur Resignation.

Es ist nicht nur eine Stimme, sondern dies gibt die „Stimmung“ in der Pfarrerschaft wieder, wenn er eine Pfarrerin zitiert, welches Kirchenleitung und Synoden ernst nehmen sollten: „Überall starke Müdigkeit und sehr viel Frust. Viele, auch Jüngere, möchten am liebsten aufgeben“ (13) (was das auch im Blick auf den mehrjährigen Unterricht am heutigen Predigerseminar bedeutet, mag man füglich fragen dürfen!).

Da hinein, biblisch gesprochen, in diese elementare Anfechtung, ja tiefe Resignation spricht Bariés Buch klare, klärende, aufmunternde Worte, ist also zutiefst ein seelsorgliches und auferbauendes, eben: Mut machendes Zeugnis wahren, immer lebendigen christlichen Lebens im Hören auf die Bibel und im Gehorsam auf den Auftrag des Kyrios der Kirche, Jesus Christus.

Texte aus jahrzehntelanger Erfahrung mit dem Geheimnis christlicher Gemeinde/Kirche sind zusammengestellt und verwoben. Textus = Gewebe, hier: in dem man sich bergen, wärmen, ermuntern, ja: feiern, lachen, hoffen kann. Das Buch: der bunte Rock der Vaterliebe Gottes; ein heller, starker., leuchtender Mantel, bunt gewebt aus vielen Menschen- und Gotteserfahrungen!

Der rote Faden? Das ist für Männer und Frauen – wahrlich nicht nur für Vikare und Vikarinnen, Pfarrerinnen und Pfarrer! – geschrieben, die noch in Gemeinden leben und dienen, die diese durch und im Wort und Sakrament zu erbauen und zu erhalten in der Kraft des Heiligen Geistes als ihre erste, höchste und vordringliche geistliche Aufgabe erkennen.

Impliziert ist damit ein engagiertes Plädoyer für den Erhalt möglichst vieler Einzelgemeinden, Verzicht auf großräumige, pfarrerleere Kirchenungetüme. Angemahnt, nein gefordert ist also der Beibehalt der für den Pfarrer, die Pfarrerin zugeordnete, überschaubare und intensiv zu belebende Parochie, in der die elementaren geistlichen Beziehungen und Bezüge zwischen Gemeindegliedern und der vertrauten Pfarrperson nicht nur gewährleistet, sondern ein für jede Gemeinde essentielles Austausch-Geschehen sind.

Dass die Kirchenleitungsorgane und die Synoden die Gemeinden aufzuheben durch Zusammenschlüsse und so zu zerstören anfangen, das Leben aus ihnen heraustreiben, Pläne ohne theologisch-christologische Zentrierung zur Erhaltung der Institution (Landes-)Kirche entwerfen und proklamieren und durchsetzen, wird dann in einem anderen Buch stehen, dessen Titelblatt wohl einmal heißen wird: Die sterbende Kirche.

Barié Ermutigungen sind also kein Lehrbuch, sondern ein Erfahrungsbuch. Ermutigung durch Erzählen. Man wird nicht überrannt von Theorien, sondern ganz positiv und elementar in Geschichten mit der Bibel, in gottesdienstliche Ereignisse, in einfaches Gemeindeleben, ins Leben in Kirchenliedern, in schwere und einfache, trostreiche Lebens- und Glaubenserfahrungen der Mitchristen, in Lebens- und Glaubenserfahrungen des Autors, in Zumutungen des Glaubendürfens verwickelt. In Gottes-Geschichten verwickelt. Das machen auch die 16 Predigten: wie selbstverständlich wird vom Leben im Glauben erzählt, wird ermutigt, sich darin wiederzufinden und Wege zu sehen, die jeder und jede in seiner und mit seiner Gemeinde gehen kann!

Aus der Praxis für die Praxis. mutuum colloquium im Vollzug findet hier statt. Und die mutige Freude, den Gabenglanz, die Dankbarkeit, die Barié in seinen Texten ausbreitet, ermuntert doch dazu, Gemeinden zu lieben und zu erhalten und zu erbauen.

Dabei muss sehr deutlich sein: Barié baut keine Potemkinschen Dörfer, sozusagen eine ideale Ekklesiologie, garniert mit „Visionen“, die fast immer bei Bezirksvisitationen durch die Kirchenleitung aufgebaut werden, bei denen man das „Blaue vom Himmel“ vermischt mit nur guten Befindlichkeiten der real existierenden Gemeinden findet. Die „Lage“ der Kirchen hierzulande vertragen keine ekklesiologischen Idyllen-Konstrukte. Gefordert sind klare christologisch fundierte, zur Nachahmung reizende „Erzählungen“ aus real existierenden Gemeinden, wie Barié sie hier in mannigfacher Variation vor Augen malt!

Dazu gehört – das ist ganz wichtig im Buch – allenthalben das ernsthafte „Ver-Danken“ und Erzählen und Erinnern in der ersten Person Singular und Plural: Die im Credo bekannte Gemeinschaft der Heiligen wird eben als geglaubte doch in aller Gebrochenheit irdisch sichtbar in den Lebenswelten der Christen – wo denn sonst? So ist dies ein sanftes Buch, sorgsam einladend, achtsam, kränkt nicht durch laute Polemik, zeigt auf, wie Jesus Christus durch den Heiligen Geist gegenwärtig ist und wirkt in seiner Gemeinde, unter und mit den Seinen, in oft unscheinbaren, doch tragenden Gnadengaben = Charismen. Immer wieder findet man eine schöne wohlmeinende, aber überführende Ironie im Kleinen, Humor, der aus Wohlwollen kommt und eher klug macht, als polemische Abgrenzungen und Aufrechnungen.

Das Lokalkolorit der Badischen Landeskirche, die Barié, wie kann es bei seiner jahrzehntelangen breiten Erfahrung anders sein, liebt, ist kein Hindernis für die Bedeutung des Erörterten für andere Landeskirchen! Es gibt nicht dieKirche! Kirche ist und ereignet sich in, mit und unter den real lebenden Christenmenschen, gesammelt in Gemeinde, in den Lebenswelten der Christen! Hic Rhodos, hic salta! Ein pneumatisch-ekklesiologischer Mahnspruch, der vernommen werden muss, da die Kirche hierzulande an einem Kipppunkt angelangt ist!

Die Ausführungen sind dem Tagesdruck und den Planern entnommen, stehen über und oft gegen die bedrückenden und entmutigenden Forderungen ans „Amt“, Dinge, weil sie ganz ernsthaft zentral mit dem in die Dinge sich verheißungsvoll und tröstend einmischenden Jesus Christus in seinem Evangelium verwoben sind: Deshalb lernt man in den Texten Gelassenheit, Demut, Lob/Dank, Ruhe und gediegenes Urteilen und vor allem Unterscheiden von wichtig und unwichtig, wahr und falsch.

Die vielen die einzelnen Texte durchziehenden Zitate sind hier Zeugnisse von christlichen und nichtchristlichen (!) Zeugen, die das Geschehen von Kirche/Gemeinde unterstützen; ebenso die kurzen Zitationen am Ende zahlreicher Beiträge, gleichsam ekklesiologische Aphorismen, die das Gesagte unterstreichen. Man lese und benütze sie, wie auch die Gebete.

Wem also muss die Lektüre dieses klaren, aufbauenden, wegweisenden Buches empfohlen sein? Ein Buch, das nicht veralten wird! Man mag es verwenden als aufmunternde Geschenke bei Geburtstagen von Pfarrerinnen und Pfarrern. Es sollte in theologisch geprägten Pfarrkonventen gelesen und gemeinsam auf Gemeindeaufbau hin diskutiert werden. Es könnte dienen als nachdenklich und mutmachende Vorausweisungen bei Ordinationen; vor allem aber auch, da dies Buch in eindrücklich klarer, elementarer, verständlicher Sprache daherkommt, ist es ein Rüst- und Werkzeug für Gemeindeglieder und Kirchenälteste und für die in den Kirchengemeinden immer stärker benötigten Prädikanten und Prädikantinnen. Für alle ein Ermutigungsweckruf!

 

Rudolf Landau