Die Interviews mit Friedrich-Wilhelm Marquardt aus dem Jahr 1998, kurz nach dem Erscheinen des letzten Bandes seiner Dogmatik, erreichen uns wie eine Flaschenpost. Inmitten einer Welt von Zukunftsangst und multiplen Krisen und Katastrophen haben die Interviews, die Ute Landfried-Marin mit Friedrich-Wilhelm Marquardt geführt hat, nichts von ihrer Frische und Lebendigkeit verloren. Ein schönes Beispiel dafür, dass sich Lehre tatsächlich „im Gehen“, im Gespräch, in Frage und Antwort, entwickelt. Wer diese Interviews liest, wird sich mit großem Gewinn sowohl in die Fragen wie auch in die Antworten verwickeln lassen können.
Man spürt es den Ausführungen von Friedrich-Wilhelm Marquardt ab, dass er, wie er selbst sagt, überhaupt nur den Beruf eines Theologen ergriffen habe, nachdem er lange praktizierender Pfarrer verschiedener Gemeinden gewesen sei und ihn die Frage der Bedeutung von Auschwitz für das Weiterleben-Können als Christ nicht in Ruhe gelassen habe.
„Kann man nach Ausschwitz noch von Gott reden?“ – diese Frage hat Marquardt seit einem Aufenthalt in einer jüdischen Gastfamilie 1949 in Amsterdam umgetrieben und ihn auf das Gespräch mit Juden und Jüdinnen verwiesen. Explizit nennt er in diesem Bändchen des tvt-Medienverlags Jeshajahu Leibowitz und Emmanuel Levinas, die ihm den Gedanken erschlossen haben, Gott und den Nächsten in den ihnen eigenen Freiheiten zu lassen.
Das ist im wahrsten Sinne des Wortes utopisch, denn die bisherige Geschichte der Menschheit mit Gott ist eben auch erzählbar als die Geschichte eines ständigen menschlichen Versuchs, Gott zu unterwerfen, die höchste Macht in den Griff, in die eigene Hand zu bekommen, um auf diese Weise selbst zu einem kleinen Gott zu werden.
In elf Gesprächsgängen spürt Friedrich-Wilhelm Marquardt den immer noch uneingelösten Hoffnungspotentialen der biblischen Botschaft nach. Wesentliche Themen seiner Dogmatik, seiner Prolegomena, Christologie und Gotteslehre kommen zur Sprache und schaffen einen Zugang zur Sprach- und Gedankenwelt Marquardts. Editorische und biographische Notizen erschließen Person und Werk eines Menschen, der wie kein anderer, wie Jakob am Jabbok, mit der eigenen Tradition und mit Gott gerungen hat.
Am Ende steht sein Resümee, sein Vermächtnis: „Wenn ich die Botschaft Jesu auf das Allereinfachste zusammenfassen sollte, würde ich sagen: Er hält ein Leben in Liebe für möglich, für menschenmöglich – für durch Gott möglich, aber auch für menschenmöglich. Das ist ein Leben ohne Hass, das ist ein Leben, in dem Krankheit überwunden werden kann, und es ist vor allen Dingen ein Leben, in dem der Tod nicht mehr als letzter Feind des Menschen wirksam ist von der Stunde der Geburt eines Menschen an.“
Eia, wärn wir da!
Gabriele Wulz