Anzuzeigen, herauszuheben ist hier ein Buch, das seinesgleichen in der gegenwärtigen theologisch-geistlichen Bücherflut nicht hat! Eröffnet wird ein neues vielfältiges Entdecken der Gotteswirklichkeit als der in Jesus Christus endgültig erschienenen Wahrheit. Nur Hinweise kann diese Besprechung geben, Anreize, zu lesen, zu meditieren, im Buch herumzugehen, zu staunen über die Fülle der aus der unbändigen Fülle der Christusgegenwart zu erzählenden Geschichten. Die Botschaft vom maßlosen Augenblick, dem Seinsmoment – die apokalyptische Auferstehungsbotschaft des Neuen Testaments – geht an die Grundzustände und Grundstimmungen der Welt (13).

Es ist die Bibel mit ihrer Botschaft das absolute Gegenbuch zu dem, das die Unheils- und Kriegsgeschichte(n) der Völker von Urzeiten her besingt: Homer, Ilias I, erster Gesang: Singe vom Ingrimm, Göttin, des Peleus-Sohnes Achilleus, vom verfluchten, der zahllose Schmerzen schuf den Achaiern und viele kraftvolle Helden vorwarf dem Hades, aber sie selbst zu Beutestücken machte den Hunden und den Vögeln zum Schmaus – Zeus’ Wille ging so in Erfüllung –(übersetzt von Kurt Steinmann, München 2017, 7)

Die Gegengeschichte wird „gesungen“ in der Bibel, der unausschöpfbaren Quelle rettender Wahrheit Gottes. Die tut Trowitzsch nun auf, konzentriert auf die Erzählung, den vielstimmigen Gesang von der Treue Christi zur Welt: Das Buch geht aufs große Ganze, weil es vom Neuschöpfer, von der in der Auferweckung des Jesus Christus anhebenden neuen Schöpfung her denkt. Deshalb auch die schonungslose aufklärende Härte der Entlarvungen, des Bösen und Grauens und der Finsternis menschengemachter Zukunft! Von der – in der Bibel gegründete und in der Verkündigung weitergesagte – Gegengeschichte = Heilsgeschichte her wird die Sündengeschichte als Menschenvergötzungsgeschichte aufgedeckt und aufgeklärt (32-37), die solange aber in immer ansteigenderen Spiralen angeblicher Fortschrittsgeschichten sich hochschraubt: „Solange nämlich das noch als unzeitgemäß gilt, was immer an der Zeit war und jetzt mehr als je an der Zeit ist und nottut – wie Wahrheit sagen.“ (Friedrich Nietzsche)

So ist dies Buch zu lesen als Aufruf zur Antwort auf die eschatologische Geschichte: Von der Treue Christi zur Welt:Zuletzt läuft alles auf Treue oder Verrat hinaus. Es gilt Christus-Treue, totalen Respekt, bedingungslose Loyalität zu diesem Menschen und Gott (14). Die performative Gegenwartsrede findet vor sich vor und holt so Welt und Mensch hinein in die endzeitliche richtende Liebesbewegung der Geschichte Gottes in Christus! Es geschieht „Performative Theologie“: Trowitzsch löst die zentralen theologischen Begriffe und Topoi der Dogmatik nicht auf, sondern füllt sie mit Sprache. Er nimmt sie hinein in die jetzt geschehende Geschichte Jesu Christi, ins Heute der ergehenden und dann zu bedenkenden Botschaft des Heiligen Geistes. „Anschauungsmaterial“ verflüssigt sie und macht sie gegenwartsnah in oft überraschenden Sentenzen. Es geschieht hier Lehre und Verkündigung in untrennbarem Vollzug: Modus loquendi Theologicus (Luther). Ich bin der Meinung, dass Trowitzsch mit seiner die Höhe, Breite, Tiefe und Länge göttlichen Handelns ausmessenden Erzählung Von der Treue Christi zur Welt genau das gelungen ist.

Das Buch enthält insgesamt einen ungemein reichen Sprachschatz, jederzeit zu heben und zu „benutzen“ von denen, die ihrer Berufung und ihres Amtes walten, von der Treue Christi zur Welt erzählen, predigen, in der Treue leben wollen in der Gemeinde/Kirche des Christus! Das Buch bietet reich gefüllte Wortschatzkammern, gefüllt mit biblischen und im Heiligen Geist geschriebenen Sätzen der Literatur, Philosophie und Dichtung, die bei der langsamen, bedachtsamen, sich überraschen lassenden Lektüre sich öffnen. Sie sind auch vom Tod nicht auszuradieren, sondern öffnen den Raum zur Lebenswelt in Gott: Gemeinde des Auferweckten ist eine im Leben des Christus aufgehobene und verbundene (s. Kap. 11.2!).

Ein von Staunen erfülltes Buch, leuchtend in staubiger, wörterharter, glaubensmüde kleingläubiger, verdrossener Zeit von Kirche und Theologie! Bilder, Worte, Sätze, Zusammenhänge aus der vom Heiligen Geist jetzt erfüllten Gegenwart des Auferstandenen her, die die Welt in neuem, im Neuschöpfungslicht des herrschenden Christus wahrnehmen lassen! Daraus folgt meine Lektüreanweisung: langsam, bedachtsam, aufmerksam lesen! Und daraus resultiert dann das geistlich-geistige Vergnügen der Lektüre, wachsen starker Erkenntnisgewinn und Stärkung des Glaubens in Rede und Widerrede. Dieser Christusgesang nimmt den Leser hinein in ein unaufhaltsames, erkenntnisförderndes Gespräch! Die ganze Geschichte Jesu von seiner Inkarnation/Erniedrigung bis zu seiner eschatologisch andauernden Erhöhung (Phil. 2) wird als definitive Erhellungs- und Aufklärungsgeschichte erzählt: wird in immer neuen Anläufen wiederholt von der Auferweckung als absolutem Datum her: das leere Grab ist der Topos pou stoo, der irdisch-himmlische Ort, von dem aus die dämonisch-sündige Macht- und Unheilsgeschichte von Mensch und Welt aus den Angeln gehoben ist!

Das ungemein weiträumige und zeitumfassende Buch holt Leser und Leserin hinein an den Ort, da sie sich immer schon befinden: In die Christus-Zeit, die eine Zeit ist, die nicht vorüber ist, das pochende Präsens. In eins geblendet sind unsere jeweilige Gegenwart und die Vergangenheitstiefe seines versöhnenden, befriedenden Weges – hinein in die ungeheuerliche Lichtung „Jetzt“. (14)

Der Weg des auferstandenen Gekreuzigten ist das das Heute für alle Zukunft bestimmende Geschehen seines priesterlichen, prophetischen, königlichen Wirkens. Da hinein wird die Leserin gezogen, verwoben wird der Leser ins Gespräch mit dem gegenwärtigen Jesus, den Trowitzsch „zu Wort kommen lässt“ in assertorischem Dialog, aufhalten lässt, der sich durch zweifelnde Fragen und Klagen, um umso deutlicher und trutziger (Basta – das endzeitlich gültige Urteil – begründet und ausgesprochen in der Rettungs- und Liebesgeschichte des Christus!) seine Wahrheit als rettende, tröstende, helfende auszudrücken. Die „alte“ „Ämterlehre“ wird zum frischen Gliederungsprinzip des im Heute gültigen Segens- und Rettungshandelns Gottes in Christus! Das Buch ist dadurch auch ein praktisch-theologisches Lehrbuch ersten Ranges. Gottesdienst, Predigt, Seelsorge werden in dem im Heiligen Geist gegenwärtigen Christus für die angefochtene Gemeinde ausgelegt. Es ist so eine die theologischen Fächer umgreifende Summa christlicher Wahrheit; was immer wieder gefordert wird, die Einheit der theologischen Fächer darzustellen, geschieht in diesem Buch.

Geschichte Jesu Christi – das ist die Wiederholung der Geschichten des auferstandenen, im Heiligen Geist gegenwärtigen Christus! Inkarnation und „Leben Jesu“: Kap. 4-6; Passionsgeschichten: Kap. 7ff. Christologie geschieht als Jesus-Rede, in den Kapiteln 5ff!, nicht in Beschreibungen und Deutungen historisch reduzierter Begebenheiten, sondern in direkter (An-)Rede, die in die Gegenwart spricht!

1. Kor. 2 gilt und wird angewandt als unhintergehbarer hermeneutischer Schlüssel: immer der auferweckte auferstandene Jesus Christus und seine Gegenwart: Glaube, Kirche, Verkündigung, Seelsorge, Ethik, Gebet!

Trowitzsch vollzieht nach: der Geist entdeckt die Tiefen des Christus; der Geist lässt die Sprache der Dichter Zeuge sein; der Geist deckt die gegen Gott gerichteten (zentrale Stellung in Trowitzschs Theologie: das Erste Gebot!) und den Menschen vergötzenden Machenschaften des „bösen Herzens“ der Welt und ihrer Finsternis auf. Was er entwirft und ausführt, ist nur zu verstehen im umgreifenden Horizont der Pneumatologie; der Geist bindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der im Geist erzählten Geschichte des Christus von der Treue zur Welt zusammen; Trowitzsch löst das Versprechen des „alten“ Karl Barth ein, noch einmal zu beginnen und dann aber mit der Pneumatologie, welche ja keine dogmatische Lehre ist, sondern: die Wirklichkeit der Gegenwart des Auferstandenen ist Gegenwart des Heiligen Geistes, ist die „Christus-Zeit“ als das ausgedehnte, göttliche, schiere Jetzt, seine kompromisslose, versöhnende Lebens- und Todes- und Auferstehungsbahn, sichtbar, wirklich in den Sakramenten, im Gottesdienst, in der Verkündigung und Seelsorge. Heiliger Geist deckt, wie der johanneische Jesus es angekündigt hat, seine unüberholbare Geschichten der „großen Begebenheit“ auf, in die jede Zeit hineingenommen ist, bis er kommt in Herrlichkeit (Kap. 18-20).

Die heilvolle Gegengeschichte zur Unheilsgeschichte (s.o. Homer!) wird erzählt in der Bibel. Trowitzschs Erörterung zur Schrift/Bibel am Anfang des Buches entspricht genau lukanischer Theologie in Lk. 24: Die Schrift öffnet das wahre, glaubende Verstehen, den verstehenden, anbetenden Glauben! Verstehen der Schrift heißt hineingezogen werden in ihre Worte, um geführt zu werden zu anbetendem Glauben! So werden die Bibelzitate am Eingang jeden Kapitels zu Weckrufen, Aufrufen, Zumutungen, gültigen Verheißungen, sind direkte Rede des im Heiligen Geist gegenwärtigen Christus; unhintergehbar ist mit ihnen „alles wahrhaft nützlich zum Heil gesagt“. Sie sind zu Beginn jeden Kapitels unhintergehbare „Erfüllungszitate“, deren Erfüllungsgeschichten in vergegenwärtigender Vergangenheit und zukunftsoffen auszulegen ist, denn sie sind „zeitlos“, weil in der „Christus-Zeit“ gültig, die eine Zeit (ist), die nicht vorüber ist. (14)

Diese Christuszeit ist – Inkarnation, Passion, Auferweckung, Erhöhung des Jesus – der definitive Einbruch in die Menschen- und Machtvergötzung und ist schärfste Kritik der Religionen vom ersten Gebot und johanneischer Christologie her (39ff) und wiederholt die Götterverspottungen und Religionsvermischungspolemik der Propheten.

Die „Ethik“ (das Buch ist auch eine Ethik) beschreibt und erzählt dann wahres Leben in der Christusgegenwart des Glaubens – Vorwegnahme der Auferstehung der Toten! (Kap. 29) So ist das neue Leben – mit dem Bergprediger in großartiger „Vergegenwärtigung“ – gültig bis ans Ende (Kap. 30!). Ein Meisterstück: Die Bergpredigt wird als Rede des gegenwärtigen Christus ausgelegt: er redet, als der zur Rechten Gottes Erhöhte, nicht vom Berge, sondern „vom Himmel“ her und deshalb endgültig. Ethik ist Anleitung zum Tun aus/in gnädig heilsgroßzügig gewährter Freiheit, neue Kreatur sein zu dürfen! (Kap. 30)

Leser und Leserin befinden sich mit dem Auferstandenen auf dem Wege von Jerusalem nach Emmaus (ein immer neu zu gehender glücklicher Entdeckungsweg), damit sie sich zu Zeugen durch dessen Erscheinen (in Gottesdienst, Sakramenten, Verkündigung) berufen lassen: In dem Ruf „Er ist auferstanden!“ fängt sich das Licht der Bibel. Die Folgen sind ungeheuer, wenn er unabgeschwächt gelassen und ernstgenommen wird. Dringlich und unbedingt ernst bleibt Theologie nur, wenn in den Zusammenhängen der Auferstehungsbotschaft gedacht wird. (17)

In der tiefen Angefochtenheit des Glaubens vertreibt das Evangelium die Finsternis und weckt das Verlangen zum Beten! Daher die durchgehenden Bezugnahmen aufs Gebet (81.107.117.121.129.214ff.283ff.372ff) – eine weiträumige „Gebetsermutigung“ (391f.399ff.421) erhellt die zentrale Stellung des Betens: Das Gebet als Gefecht, das Gebet als Beweis der Wahrheit des auferstandenen Gekreuzigten! Gebet als „Antwort“ auf die Theodizeefrage (damit den Psalmen ganz nahe!); die im Gebet keine Frage mehr ist, sondern die aufgehoben ist in die Wirklichkeit des siegenden Christus, die sich darstellt in jedem wahren Gottesdienst.

Nah ist so der Leser, ist die Leserin am gesprochenen Wort; es zwingt die Lektüre gleichsam zum Aussprechen, das Gelesene drängt ins Nachsprechen. Nah ist die Leserin am Laut der Sprache, der bunten Sätze, der Erzählungen, dem Bilderreigen: Das Buch zwingt mit seiner überbordenden atemraubenden Bildsprache und seinen wunderbaren Wortkaskaden zum langsamen, bedachtsamen Lesen, weil es aus dem Drang hin zur Verwirklichung der in der Bibel gehörten Verheißungen kommt. Aufgezeigt wird die Schönheit und die Leuchtkraft gelingenden Lebens, aufgerufen, ja gereizt wird zum Schöpferlob heute/jetzt (z.B. 207-216); von dem Heute des Auferstandenen her wird die Welt klar, aufgeklärt hell zum Dank/Lob: Röm. 1+2 wird auf-gehoben, die Gesamtwürdigkeit des Lebens neu entdeckt in vielfältig sich ausbreitender und erlebter Lebensfreude! So nachsinnend, sich überraschen lassend, sich hineinziehen lassend ins sakramentale Erzählen der sich jederzeit ereignenden Geschichte Von der Treue Christi zur Welt,die mündet im alles aufklärenden und umfassend erleuchtenden Licht der Verherrlichung des dreieinigen Gottes, denn: Wahrhaft würdig ist es und recht, dass wir dich, Herr, heiliger Vater, allmächtiger Gott, zu allen Zeiten und an allen Orten loben und dir danken durch unseren Herr Jesus Christus (vgl. 442-447).

Dem allein dient wahre Theologie.

 


 

Michael Trowitzsch:

Einleitende Thesen zu „Die Treue Christi zur Welt“

Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 2023, hier S. 13-17, leicht verändert

 

1. Von „Theologie“ wird das Rückgrat von Prediger und Predigerin geformt, aber deren Augen heißen „Erstaunen“. Ein in namenloses Staunen setzendes Endbuch, die Bibel, hat sich mit ihnen befreundet. Dann belagern und bestürmen sie es ihrerseits – und fragen auf es ein. Weil es so unbedingt von Gott begeistert ist.

2. Lesen wir die Bibel mit Aufregung, mit stärkstem Affekt, in Demut vor ihrem Wortlaut, in „erweiterter Buchstäblichkeit“ (eine Wendung von Botho Strauß), geistlich arm!

3. Lesen wir das Alte Testament konsequent im Licht des Neuen Testaments!

4. Im Leben Christi wird Gott zutage gelebt, wacht auf diese Weise der neue Äon auf, Tiefenzeit, Gnade des jungen Seins, eschatologische Lichtzeit, neue Bedeutungsganzheit.

5. Die christliche Nachricht vom maßlosen Augenblick, dem Seinsmoment – die apokalyptische Auferstehungsbotschaft des Neuen Testaments – geht an Grundzustände und Grundgestimmtheiten der Zeit. Sie zeigt und exponiert die Schnittfläche der Welten, eine neue Geburt des Seins. Gott wendet sich ganz her. Christus, der Gottesknecht, lebt zu uns her. Der König der Augenblicke lebt sich unserem jeweiligen Jetzt zu – in bedingungsloser Treue (2. Thess. 3,3).

6. Darf man Jesus Christus, allen Mut zusammennehmend, den Gottessichtigen nennen, den einen Menschen- und Gottes-Flüsterer? Flüsterton aus nächster Nähe.

7. Vollkommen bringt sich in ihm die Liebe zur Erscheinung. Die Menschenliebe Gottes. Auch die von Menschen geübte Gottes-, Nächsten- und Feindesliebe. Bis zum höllischen Tod am Kreuz, dem Grundsturz, steht der große Liebende für die Liebe ein.

8. Sein gesamtes Sein ist Stellvertretung. Er steht in seinem Gegenüber zu Gott an der Stelle aller Menschen. Er steht im Gegenüber zu allen Menschen an der Stelle Gottes.

9. Vor Gott kann ich ein Kind sein, das nichts tun muss, um an Liebe satt zu werden.

10. Verteidigen wir gelegentlich unseren Kindergott. Wie sieht denn Euer Erwachsenengott aus? Unvorstellbar? Das ist unmöglich. Jedesmal steigen Vorstellungen auf. Ich glaube nach Maßgabe von sinnlichen Sätzen, Anschauungen, Bildräumen, Schauspielen, fortlaufenden Szenen. Zum Beispiel sehe ich Christus „bei uns im Schlamm“ (Luther).

11. Wer den Glauben an Christus begründen will, meint Wichtigeres zu kennen. Nein.

12. „Wollt ihr auch weggehen?“ (Joh. 6,67)

13. Zuletzt läuft alles auf Treue oder Verrat hinaus. Es gilt Christus-Treue, totalen Respekt und Loyalität zu diesem Menschen und Gott. „Ich will Christ sein und nichts als Christ. Reduziert mich!“

14. Darum aber und daraufhin: Ende der unbedingten Sanktionierung des „Ich“; Entheiligung, durchdringender Unglaube und Abrüstung „des Menschen“. Daraufhin: eine zutiefst erschrockene Theologie, Theologie aus der Fremde des dritten Tages, aus der hohen Fremdheit ungeheurer Bejahung – welche zugleich ein unmissverständliches Nein in sich trägt, eine neue Verwerfungslinie. Leidenschaftliche, leidende Abstoßung. Feinderklärung. Sogar Verfluchung. Anathema. Sätze mit messerscharfer Schneide. Eine Sündenlehre, die an die Wurzel geht (klingt harmlos oder wie eine hässliche Bezichtigung des Menschen; gemeint ist: Die Sünde ist das gierige Biest im Kopf; die Sünde schlitzt die Seele auf; Menschen, nie ohne Falsch, kommen auf Ideen, werden zu Unfassbarem fähig).

15. Ganz Gallien will gegen die Gewissheit vorgehen. Ganz Gallien? Ein kleines gallisches Dorf…

16. Keineswegs ist die Christus-Offenbarung nichts als eine von vielen religiösen Wahrheiten.

17. Retten wir entschlossen, was diskriminierend „dogmatische Richtigkeit“ genannt wird!

18. Wann reden wir wieder von Gott und nicht immer nur von „Religion“? Auch nicht nur von „Gottesbildern“. Gott selber. Wie soll man seine Göttlichkeit beschreiben? Als die Christus-Göttlichkeit. Gottesentbergung in ihm. Gott selber – ist der Christus-Gott. Theologie ist dann konsequent durchgeführte Christus-Theologie.

19. „Religion ist Unglaube“ (Karl Barth).

20. „Christus-Zeit“? Niemals mehr vorbei. Das pochende Präsens. In eins geblendet sind unsere jeweilige Gegenwart und die Vergangenheitstiefe seines versöhnenden, befriedenden Weges – hinein in die ungeheuerliche Lichtung „Jetzt“, den Lidschlag.

21. Das Sein wird richtiggestellt: Das Weltunheil, der Fluch, wird abgeworfen und kassiert. Der „Nachtwald“ (Dylan Thomas), aus der Mitte der Nacht, geht in Rauch auf.

22. „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“

23. Zu verstehen ist die Geschichte Christi mit dem Menschen als eine Unmittelbar- und Nahgeschichte – nicht etwa als eine Botschaft aus dahingegangener Zeit an die Nachwelt. Christus ist ein wunderbar Anwesender – jetzt und hier.

24. Zeitgenauigkeit mit möglichst scharfer Abmessung auf die Gegenwart verwenden? Hinauf auf die Höhe faktischer Gegenwart? Auf die Zeit zugreifen, die Temperatur des Tages abschätzen? Hat zur Voraussetzung, dass ein Letztes identifiziert wird: die ernsteste fundamentale Religion, die neuzeitliche Menschen-Religion, die unverschämte, nunmehr ausdrückliche Vergottung des Menschen (2. Thess. 2,4), eine Art Selbst-Menschlichkeit, bis zum Grund in die Moderne hineingebrannt. Dass nicht Christus, Gott und Mensch, sondern – weil der Hochmut in die Zeit gefahren ist – „der Mensch als solcher“ als König, Priester und Prophet behauptet, allem vorgegeben und allem zum Maß gesetzt wird. Nichts als sich selbst will er umfassend zur Erscheinung bringen. Genau insofern liegt gegenwärtig die Welt „im Argen“, auf dem Untergrund dieses besonderen Bösen.

25. Gerade indem man ihr widersteht, wird der Zeit genügt – weil sie gegenwärtig ein Schrecken ist.

26. „Als ich auf die Welt kam, war die Luft voller Schreie“ (Shakespeare).

27. Die Neuzeit folgt einem totalitären Zwang: dem fauchenden, scharfgestellten, unbedingten Willen zur Macht, deshalb einer anscheinend unwiderstehlichen Zunahme seiner Verkörperungen: dem Massiv herbeigeführter und bereitgehaltener Tödlichkeiten.

28. Der Vergottete lebt und denkt und verwirklicht sich in Form von „Rüstung“ (Heidegger). Er will sich in Sicherheit rüsten. Bedingungslos rekrutiert er sich selbst. Erwartet dabei lebensentscheidenden Beistand von Vernichtungswaffen und ihrer Ausrottungswut. Weiß sich keineswegs in ihren Fängen, bringt vielmehr, immer am Rande eines Atomkriegs, einvernehmlich mit ihnen sein Leben hin. Meint, sie kontrollieren zu können. Flutet die Welt mit ihnen. In denen aber der rasende Tod wohnt. In denen schon, nur ist die Erledigung gerade noch aufgehalten, endlose Verfluchung und das nukleare Inferno umgeht, eingesperrt ist, ungeduldig wartet, kaum zurückzuhalten ist – sich also auf seine Weise bereits vollzieht.

29. Gräuel vor Gott. Die Waffen: das Schlangenei. Durch die dünnen Häute kann man das fast völlig entwickelte Reptil deutlich erkennen, den Sieg des Bösen.

30. Was gegenwärtig „Rüstung“ heißt, ist potentiell umfassendes Verderben. Militanz, „Rüstungs-Wille“, immer schöngeredet, stellt sich als das Betriebsgeheimnis der heißgelaufenen modernen Welt heraus. In ihren infernalischen Tötungsinstrumenten, in Geistern des Bösen, stellt sie sich aus, präsentiert schamlos ihre Blöße, gibt sie ihre Kräfte aus, überfordert sich dabei zu Tode, häuft ein unermessliches Schuldkonto auf. Ihre Grauenhaftigkeit, ihre böse Ausstrahlung, lässt den Atem stocken. „Unaufhaltsamkeit“ und „also definitiv kein Rückweg“ lautet die Vorentschiedenheit und scheinbar unwiderlegliche, freche Großlüge.

31. Die Zeit hat mich bewaffnet gemacht. Ich Heutiger, Kind der Rüstungs-Zeit, mitgeboren mit entsetzlichen Waffen, ich Kind entfesselter, überschießender, fluchwürdiger Gewalt, „Kriegsknecht“, Scherge, Bellizist, ob ich will oder nicht – bemerke ich, dass ich faktisch von einer nichts verschonenden Lava ringsum umschlossen bin, vom Diabolischen, von den verdammten Waffen-Götzen, dem Auswurf und der ekelhaften Ausgeburt der allerletzten Neuzeit? Wieviel eng benachbartes Nirgendwo vorgeht. In angstverwundeter Zeit. Wenn die Vorzeichen immerfort niederregnen und die Flut steigt.

32. Von der gigantischen Rüstung wird Seinsangst, Ahnung und Anschauung absoluten Unheils in die Welt gepresst – die ich allerdings, weil beide herzzerreißend zustoßen und weil ich zerstörbar bin, auch nicht entfernt an mich herankommen lassen kann.

33. Während wir beansprucht, umstellt und gefangengenommen werden, uns verwickeln lassen, Vordergründe erschließen, vorrücken – wachsen hinter unserem Rücken die Riesen der Machenschaft auf, die Ungeheuer der selbstläufigen, systematisch weiter perfektionierten Vernichtungstechnologie (sie drängen heran, sehnen von sich aus den Krieg herbei, ein absoluter Schreckensraum um sie herum), der Auftritte des Bösen, der Welttodeswünsche (und reißen zusehends den Abgrund weiter auf). Sehenden Auges, hochmütig, irrsinnig wird das Weiterbestehen der Menschheit aufs Spiel gesetzt („überzeugende atomare Abschreckung“, auf den Menschen sei Verlass, verrückter Glaube an die Verlässlichkeit der Angst, hysterische Tabuisierung ihres Versagens). Vor der Macht des abgrundtief Bösen schließt die Doktrin die Augen. Vom Menschen, wie er in Wahrheit ist, wie er nämlich leichthin immer sein könnte, will sie unter keinen Umständen wissen.

34. Darf man das Verzweifeltste sagen? Sätze, die man kaum schreiben kann. Ein Verblendungszusammenhang. Heidegger: „Not der Notlosigkeit“.

35. Mit ihren Waffen, einem unsagbaren Grauen, hat sich die modernste Menschheit verschmolzen. Absolut zum Fürchten sind Mitläufertum und Folgsamkeit, ihre kollektive Euphorie, ihr Exzessdenken, ihr von Kriegsförmigkeit wie von Metastasen durchseuchtes Bewusstsein… Ihr seit Jahrhunderten eingeübtes, selbstverständlich gewordenes Sein-zur-Waffe. Den zwanghaft immer mörderischer zu entwickelnden Kriegsgeräten zu. Der Dämon hat Zeit. Eine moderne, realistische Anthropologie? Wird verfehlt, wenn sie mit dem Rücken zur Gegenwart entworfen wird (nämlich die heute zutage tretenden Teufeleien des Menschen nicht wahrhaben will).

36. „Ich will den Fiebertraum, den schrecklichsten Ernst, eben nicht heraufbeschwören und herbeireden – und lieber die zugegeben sehr nahe, ungeheure Gefahr vergessen machen. Ich will keinen Aufschrei. Ich spreche es nicht aus.“ – „Es verschwindet aber nicht, wenn man es unausgesprochen lässt. Am wenigsten christliche Theologie, Christus-Theologie, darf dazu helfen, vor dem Aufschrei zurückschrecken. Der gefällt allerdings Vielen ganz und gar nicht. Womöglich gibt es, in grenzenloser Verstörtheit, kurze, wirre Anfälle von Freimut oder, mit gefalteten Händen, ein sehr besonderes Anschreien dagegen, ein Anrufen des allmächtigen Gottes.“

37. „Gesellschaft“ und „Menschheit“ sind erweiterte, unwesentlich variierte Wiederholungen der Subjektivität. Durch die Sünde in Gewahrsam genommen sind auch sie, spielen sich ihrerseits allemal nur hoch, bestätigen sich selbst, feige, treulos, vereint im Töten.

38. Subjektiv bin „ich“ allerdings immer nur die Harmlosigkeit selbst.

39. Wort der Wandlung? Zerrissene Stunde der Buße, der polemischen Reue? Der informierten, der einfalls- und ideenreichen. Die die Hände vor das Gesicht schlägt. Die unbedingt und sofort die Waffen aus den Händen legt. Die erneut wenigstens anzeigt, was niemand im Grunde hören will, was aber seit langem zum Himmel schreit: dass die Menschheit, merkwürdiges Nomadenvolk, sich auf seinem Weg mit Tod überhäuft.

40. Zweierlei Traurigkeit (2. Kor. 7,10). Hier: die tödlichen, nichtswürdigen Traurigkeiten der Welt, die Weltbitternisse. Dort: die von Gott gewollte, gottgefällige Traurigkeit, das Herz schwer, sie „wirkt zur Seligkeit eine Umkehr, die niemanden reut“. Gegen die es dann keinen Einspruch gibt.

41. „Wer weiß, ob Er nicht doch noch einmal verzeiht?“ (Joel 2,14; Jona 3,9) „Vielleicht wird er gnädig sein“ (Am. 5,15) – der sich doch des Hoffnungslosen annimmt. Unfassbarer Gedanke: dass der allmächtige Gott die modernen Ungeheuer aus der Welt jagt.

42. Hoffnung gegen alle erdenkliche Hoffnung, Hoffnung, da nichts zu hoffen ist (Röm. 4,18) – ist die Axt für das gefrorene Meer (Kafka) in uns.

43. Zurück zum jedesmaligen Anfang von Zerwürfnis und Verwahrlosung: Ich, ich überhäufe mich mit Tod. Ich bin der unberechenbare Meister des Bösen (dem ich jederzeit Raum geben kann und das mich in der Sünde hält). Mit verschrammter und versehrter Seele? Ja, aber erwartungsvoll auf der Reede zur Überfahrt zum ewigen Leben und schon versöhnt mit Gott. Weil das Feuer, an meinen Namen gelegt, nicht mehr nach mir greift Es will mich nicht mehr. Amen.

44. „Ja, immer schon habe ich nur darauf gewartet, geliebt zu werden. Schenk mir dein Herz, Nazarener!“ „Längst geschehen.“

45. Sehe ich also – im Guten – meine Mutter wieder, mein verstorbenes Kind? Unversehrt? Unversehrt?

46. Die Liebe wird mich finden. Ja, erst recht. Das Jüngste Gericht wird das Gericht vor dem Forum des Ja Christi sein.

47. Wir werden zu Menschen mit „schwarz-goldenen Augen“ (Ingeborg Bachmann).

48. Der Ruf „Er ist auferstanden!“ macht die Innenspannung der Bibel aus. In ihm fängt sich ihr Licht. Folgen und Vermittlungen sind ungeheuer, wenn man ihn unabgeschwächt gelten lässt: wenn er ernst- und beim Wort genommen wird. Unbedingt dringlich bleibt Theologie nur, wenn in den Zusammenhängen der Auferstehungsbotschaft gedacht wird. Für sie einzustehen bringt indessen niemand von sich aus das Gewicht.