Die Bibel – hat sie uns heute eigentlich noch etwas zu sagen? Hat ihre jahrhundertelange Auslegung durch die Kirchen dazu beigetragen, dass Christen sich in der Nachfolge Jesu in der Welt mit aller Kraft und bahnbrechend für Gewaltlosigkeit, Frieden und für die Schöpfung eingesetzt hätten?! Redet das sog. „Alte Testament“, die Hebräische Bibel, nicht viel zu viel von einem gewalttätigen Gott? Ist es nicht aus der Zeit gefallen und absurd, an einen Gott zu glauben, der seinen Sohn für mich und meine Sünden geopfert haben soll? Und kann man heute noch an Wunder glauben, von denen die Bibel erzählt? An eine Auferstehung nach dem Tod?

Immer mehr Kirchenmitgliedern ist der Glaube und Bezug zur Kirche angesichts fraglich gewordener Glaubensaussagen, schockierender Nachrichten über Missbrauch durch Kirchenmänner und veralteter kirchlich-patriarchalischer Machtstrukturen verloren gegangen. Und das geht nicht nur Menschen so, die nur noch in einem losen Gewohnheitsverhältnis zu ihrer Kirche stehen, sondern auch Menschen, die an ihrer Gemeinde und Kirche hängen.

Gerade deshalb lohnt es sich, zurück zu den Wurzeln zu gehen und biblischen Texten in verständiger Weise auf die Spur zu kommen. Über Bibeltexte in Abgrenzung zu fundamentalistischer Auslegung nachzudenken und sie literarkritisch, sozialhistorisch, kirchenlinienkritisch neu und für die Gegenwart zu verstehen, das ist das Anliegen des Theologen, Pädagogen und Pazifisten Leo Petersmann. Langjährig war er in der kirchlich-evangelischen, gemeindebezogenen Fortbildung für verschiedene Generationen tätig und schöpft aus einem großen praktischen Erfahrungshintergrund.

Als Autor nimmt er seine Leser und Leserinnen auf gut verständliche und geradezu lustmachende Weise mit auf seinen eigenen fragenden und reflektierenden Weg, biblischen Texten zu begegnen. Dabei führt der Weg des Buches durch verschiedene Stationen des hebräischen Testamentes (das sog. „Alte Testament“) und des griechischen Testamentes (das sog. „Neue Testament“). Für beide Sprachen ist Petersmann, anders als viele Pfarrerinnen und Pfarrer, ein versierter Kenner und Übersetzer, der Worten und Zusammenhängen auf den Grund geht, ohne bei den Lesern oder Leserinnen Sprachkenntnisse vorauszusetzen.

In 19 meist kurzen und prägnanten Kapiteln, die die Herzstücke der biblischen Tradition betrachten, lädt er dazu ein, heilsame Anstöße zu finden, um den brennenden Fragen und Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Einige davon seien hier genannt:

Was für ein Bild von Gott und von uns Menschen im Verhältnis zur lebendigen Natur vermittelt uns die Schöpfungsgeschichte angesichts der schonungslosen Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen unserer Zeit und Wirtschaftsweise?

Gewalt üben oder der Gewaltlosigkeit folgen – in beiden Testamenten stehen sich gewalttätige Erzählungen und Gegenbotschaften von Gewaltlosigkeit gegenüber. Welche Konsequenzen hat die Kirche im Geiste Jesu daraus gezogen, seit sie sich unter Kaiser Konstantin mit dem Imperium verbündet hat?

Herausgeführt aus dem Sklavenhaus in Ägypten – ein Gott, der sich auf die Seite der Erniedrigten stellt und befreit. Wie halten wir die Sehnsucht danach wach, dass die Welt gerechter wird?

In diesem Sinne wird auch die vertraute Weihnachtsgeschichte kritisch neu vorgestellt und dabei von verbreiteten antijüdischen Lesarten befreit.

Und was ist das Einfallstor der Gewalt in die Tradition der Christenheit? Besonders beeindruckend zeigt Petersmann anhand textkritischer Arbeit an den zu unterschiedlichen Zeiten geschriebenen Evangelien, wie das Schwert in den Jüngerkreis kam und das kritische Verhältnis Jesu zur Gewalt in der Geschichte der Christenheit weitgehend verlorenging.

In einem weiteren Kapitel prüft der Autor das Verständnis des Kreuzestodes Jesu als Sühneopfertod. Welche Deutung haben die frühen Christen und die Kirche dafür gefunden? Und wie unterscheidet sich davon der Weg, den Jesus selbst gegangen ist? Auch die Frage nach der leiblichen Auferstehung Jesu nimmt breiten Raum ein. Der Autor untersucht den Textbestand und die Übersetzungstradition nach Luther und kommt zu überraschenden Ergebnissen.

Das Buch schließt mit einer Fokussierung auf Jesus und mit kritischen Anmerkungen zum Glaubensbekenntnis, das den Menschen Jesus und sein Orientierung bietendes Leben und Wirken völlig außer Acht lässt. Abschließend sind wir gefragt: Haben die Kirchen Jesus verlassen und aus dem lebendigen Vorbild eine mythische Gestalt gemacht!?

Ein spannendes, kritisches, zumeist auch für nichttheologische Neugierige gut verständliches und heilsam aufrüttelndes Buch von einem Autor, der biblische Texte liebt und Lust macht, sich mit ihnen zu beschäftigen. Um es zu lesen, sollte man eine Bibel dabeihaben.