Die Gedanken sind frei … Aber nur nicht romantisch werden: Sie sprengen keine Ketten, öffnen keine Kerker, reißen nicht die Gitter von den Fenstern. Sie helfen allenfalls, zu überleben, durchzuhalten, und ab und zu einen eigenen, inneren Weg zu finden und zu gehen. Dafür aber sind sie gut und notwendig. Davon zeugen die „Gedichte und Prosa aus dem Gefängnis“ von Ernst S. Steffen. Es sind bemerkenswerte Texte, die wohl „zu Herzen gehen“. Wenngleich das nicht ihre Intention ist: Steffen (1936-1970) schreibt bis an die Schmerzgrenze lakonisch; ohne Zierrat und Schönrednerei schildert er seine innere und äußere Situation als Gefangener im „Zuchthaus“ und in sich selbst – und in den Umständen, die ihn prägten und denen er ausgesetzt ist: „Man entschied mich für Tankwart“. Steffen schenkt sich nichts und gibt sich keinen Illusionen hin: „Ich werde nicht nach Hause kommen. / So wird es sein, / wenn ich nach Hause komme.“ Beeindruckend sind diese Gedichte, indem einer spüren lässt, wie sehr er sie braucht: „Es passt nicht zu mir, / dass ich Gedichte mache, / deshalb mache ich Gedichte.“

Ernst S. Steffens Lyrik – angeregt durch den Bruchsaler Gefängnisassessor Rolf Zelter – hat Beachtung gefunden: Der Luchterhand Verlag veröffentlichte sie, Hans Magnus Enzensberger und Hilde Domin wurden auf sie aufmerksam. Die Heidelbergerin schrieb dem Autor: „Ich mag Ihre Gedichte sehr. Merkwürdig, wie Gedichte an Substanz gewinnen, wenn sie aus Schmerz geschrieben sind.“ Dem Leiter des Heilbronner Literaturhauses Anton Knittel ist sehr zu danken, dass er diese Gedichte mit „Substanz“ aufgegriffen und – ergänzt durch bisher unveröffentlichte Prosatexte – neu herausgegeben hat. Nicht nur, weil damit eine Art späte, hier literarische Rehabilitation gelingt, sondern weil „Erfahrungen wie Identitätsverlust und Entmenschlichung“ (A. Knittel in der Einleitung) heute genauso gemacht und erlitten werden wie in den 1960er Jahren. Knittel bemerkt, dass Ernst S. Steffen sich gegen den Begriff des „Gefängnisschriftstellers“ verwahrt hat (immerhin verbrachte er fast die Hälfte seines Lebens hinter Gittern). Mit allem Recht: Entweder es gibt keinen – oder wir sind es, in unseren je eigenen Zellen und hinter unseren je eigenen Mauern, allesamt. Im Benennen der Gefangenschaft, im Worte-Finden für das Begrenzende und Bedrängende liegt vielleicht noch nicht gleich Hoffnung, aber eine Ahnung vom eigenen Wert, der eigenen Würde. „Ich bin noch da. / Manchmal ertappe ich mich, / dass ich noch da bin.“

Thomas Weiß