Henning Wrogemann, seit 2007 Professor für Missionswissenschaft, Religionswissenschaft und Ökumenik an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel, präsentiert hier seinen Versuch, Missiologie, Religionen, Religionswissenschaft(en), Ökumene und Interkulturelle Theologien in ihrer jeweiligen Wissenschaftsgeschichte aufzubereiten und unter den beiden Leitbegriffen Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie neu zu sortieren. Sein „Lehrstuhl wurde schon 2018 in Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie umbenannt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Theologie der Mission und interreligiöser Dialog, interkulturelle Theologie und Hermeneutik, islamische da’wa (Ruf zum Islam) und christlich-islamische Beziehungen in der Gegenwart.“ (wikipedia, s.v. Henning Wrogemann)

Wie disparat, ja gegensätzlich es in der Wissenschaftsgeschichte zu- und abging, wie viel da eher krumm als gerade verlief, zeigen kurze Blicke in die Artikel von Religion (samt den Komposita) in TRE (ab 1977) und RGG⁴. So heißt es selbst bei dem allem zu Grunde liegenden RGG-Artikel Religion (Bd. 7, 263 [grammatikalisch angepasst]): „Die Bestimmung des Rel.begriffes kann schwerlich anders als positionsbedingt erfolgen. Denn sie impliziert die Frage, ob es überhaupt eine/die Rel. gibt …“ Wrogemanns voluminöses Werk folgt dieser Linie insofern, dass es an keiner einzigen Stelle Religion definiert; im Index gibt es auch keinen Eintrag zum Singular Religion.

Im Teil A referiert Wrogemann S. 17-52 verschiedene religionswissenschaftliche Ansätze. Ihm geht es S. 244-393 dann um diese oder jene religiöse Formation, angefangen von den antiken Religionen bis hin zu den Weltreligionen. Strukturell ähnlich verhält es sich im Abschnitt „Vergleich als Methode der Religionswissenschaft“ (218-233). Wrogemann stellt möglichst neutral verschiedene Modelle dar, bezieht aber selber – wie an vielen anderen Punkten – keine eigene Position. Dies entspricht seiner im Vorwort geäußerten grundsätzlichen Definition: „Die Arbeit der Religionswissenschaft besteht darin, Phänomene, die als religiös betrachtet werden, unter weitgehender Ausklammerung der religiös-weltanschaulichen Überzeugungen des Forschers und der Forscherin zu analysieren und darzustellen.“ (IXX) Trotz aller notwendigen Neutralität und Objektivität bin ich als Leser durchaus an der Meinung eines Autors interessiert.

Weiter mit dem zweiten Titelwort Interkulturelle Theologie: Der Beginn liegt in der dreibändigen Interkulturellen Theologie Walter Hollenwegers (1979.1982.1988); „seit 2010 ist sie im Bereich der EKD Pflicht- und Prüfungsfach“ (Udo Schnelle: Einführung in die Evangelische Theologie, 332; grammatikalisch angepasst). In den Worten Wrogemanns: sie „beschäftigt sich mit dem Christentum als einer global präsenten Religionsformation in vielen regionalen Varianten.“ (IXX) Erst viel später in Wrogemanns Werk erfolgen Spezifizierungen: S. 233.238-243 zur Religionswissenschaft, S. 397-400 zu Beginn von Teil B Interkulturelle Theologie; vgl. S. 419f, bes. aber den Schluss, S. 627-643; auf S. 629 differenziert Wrogemann Interkulturelle Theologie gleich fünffach. Wesentlich ist dabei „die Einsicht, dass jegliche Form von Theologie kontextuell ist“, sodann dass verschiedene Theologien gleichberechtigt sind und dass „Mission weniger im Sinne der Ausrichtung einer Botschaft durch Sendungsakteure, sondern als Aneignung (engl. approbriation) des Evangeliums durch lokale Akteure verstanden wird.“

Zu diesen drei der fünf Ausdifferenzierungen drei kleine Bemerkungen: Die Kontextgebundenheit jeglicher Theologie kennt man von der Exegese her. Wecken jedoch verschiedene Theologien nicht zwangsläufig die Frage nach der Wahrheit? Und behalten nicht Kommunikationsmodelle mit den beiden Polen Sender und Empfänger weiterhin ihre Gültigkeit?

Vor meiner summa und bevor abschließend noch auf sieben vergleichsweise eher unbedeutende Dinge hingewiesen werden wird, noch ein Wort zum Islam. Während Wrogemann das Judentum, die Hindu- und buddhistischen Traditionen in je nur einem Abschnitt verhandelt, bekommt der Islam gleich drei; m.E. sehr berechtigt. Darin findet sich der sehr informative Teilabschnitt zum Dschihadismus. Benennt Wrogemann am Beginn noch einige der schrecklichen Ereignisse, die man in der jüngsten Vergangenheit damit verbindet, so ist das Ende eindeutig zu neutral. Man vermisst auch Hans Küngs so wichtiges Anliegen vom Religionsfrieden.

(1) Vom Verlag erhielt ich natürlich ein kartoniertes Exemplar. Die Broschur ist jedoch handwerklich so mangelhaft, dass sie sich früh aufzulösen begann. Man investiere also 58,- €.

(2) Zu Wrogemanns Leitbegriffen lese man als erste Information Schnelle (s.o., 325-339).

(3) Wrogemann erwähnt Walter Hollenweger zwar mehrmals, jedoch unvollständig und eher marginal. Er unterschätzt Hollenwegers Bedeutung für die Genese der Interkulturellen Theologie, des jüngsten theologischen Faches, das angesichts der Durchmischung der Religionen immer wichtiger werden wird.

(4) Die Religionswissenschaftlerin Anna-Katharina Höpflinger publizierte 2022 „Religionen und Tod“; darin: „Die meisten Religionen erklären den Tod auf irgendeine Art und Weise…“. Leider steht dazu bei Wrogemann nichts; Sterben und Tod tauchen deshalb auch nicht im Index auf.

(5) Das Stichwort Globalisierung kommt auf 15 Einträge; als wirklich wichtig blieben jedoch nur zwei übrig. Sollte heutzutage nicht jeder Autor sich die Mühe machen, die computermäßig erfassten Vorkommen zu gewichten, unwichtige also zu streichen?

(6) Mein Dissertationsthema war die church growth-Bewegung (vgl. RGG Bd. 3, 624); S. 446f findet sie bei Wrogemann ihren Platz, leider ohne das Grundlagenwerk McGavrans Understanding Church Growth oderhttps://de.wikipedia.org/wiki/Donald_McGavran zu nennen.

(7) In der 2. Aufl. möge das Sachregister ausgeweitet, auch die Einträge Pfingstbewegung und Charismatische Bewegung durch Querverweise verbunden werden. Und: Muss der Namensindex wirklich jeden Namen aufführen? Die Fülle der Namen, auch im Fließtext, birgt die Gefahr, Leser*innen zu erschlagen.

Das Lehrwerk Evangelische Theologie ist laut S. V und VI auf 10 Bände angelegt und verfolgt ein dreifaches Ziel: Es will in jedes Fach der Theologie a) einführen, b) einen Überblick bieten und c) Grundwissen vermitteln. Wrogemanns Beitrag hat seine Stärken in den konzentrierten Überblicken und Zusammenfassungen; man lese etwa seine nur etwas mehr als einseitige Zusammenfassung der globalen Ausbreitung des Christentums (418f). Den beiden anderen Ziele könnte durch graphische Hervorhebungen und Beschränkung aufs Wesentliche besser nachgekommen werden. Für den praktischen Gebrauch sehr hilfreich sind die Literaturhinweise am Ende eines jeden der insgesamt 37 Teilabschnitte. Zuletzt stehe der Dank für dieses große enzyklopädische Werk.

Gerhard Maier