Impulse zu einer Haltung der Freiheit
Zum Text und zum Sonntag
1. Mose 13 zählt zu den von der EKD neu eingeführten Predigttexten. Was mag die Verantwortlichen veranlasst haben, diesen Bibeltext zum Predigttext zu machen? Er ist zum einen dominiert von sehr menschlichen, sehr weltlichen Themen, die erstaunlich aktuell sind: großer materieller Reichtum von zwei Personen, begrenzter Lebensraum, begrenzte Ressourcen, wirtschaftliche Interessenskonflikte, Konkurrenz und Machtkämpfe und ein vernunftbasierter Lösungsversuch.
Zum andern ist die Geschichte eingerahmt von der Erinnerung an die Errichtung eines Altars (V. 4) und dem Bau eines neuen (V. 18): Symbole für die Verheißung, die Gott Abraham gegeben hat, an die er sich auf seinem Weg dankbar erinnert.
Es scheint banal und muss doch immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden: Gottes Wege, Gottes Verheißungen finden in den Niederungen des irdischen Lebens statt. Die Menschen, durch die Gott wirkt, sind Menschen wie Du und Ich, mit Licht und Schatten.
Der Bibeltext ist am 21. Sonntag nach Trinitatis unter der Überschrift „Die geistliche Waffenrüstung“ zu finden, die aus dem Text der 1. Perikopenreihe stammt (Eph. 6,13). Dieser Ausdruck klingt in unseren Tagen unangenehm militaristisch. Der Sinn allerdings ist überzeugend. Es geht um die Frage: Was hilft uns, gegen die „Mächtigen und Gewaltigen, die Herren der Welt, die über diese Finsternis herrschen“ zu kämpfen? (Eph. 6,12) Es ist interessant zu schauen, welchen Beitrag 1. Mos. 13 zu dieser Frage leistet.
Sie konnten nicht beieinander wohnen
Abraham und Lot – zwei beliebte Figuren aus der Kinderkirche und dem Religionsunterricht. In der Erinnerung sind sie vermutlich für viele Gottesdienstteilnehmende mit eindeutigen Etiketten versehen: Abraham, der von Gott Gesegnete, der Großzügige, der auf Gott Vertrauende, und Lot, der Egoistische, der sich die wasserreichste Gegend nimmt, der gerade noch aus dem sündigen Sodom gerettet wird, dessen ungehorsame Frau zur Salzsäule erstarrt.
Eine Predigt über 1. Mos. 13 sollte Klischees vermeiden und vielmehr die beiden Charaktere Abraham und Lot differenziert wahrnehmen, die unterschiedliche Seiten des Menschseins verkörpern. Gegen ein Schwarz-Weiß-Ausmalen der Geschichte spricht auch das vorhergehende Kapitel: Abraham wird berufen und erhält eine große Verheißung (die Lot nicht bekommt). Dennoch vertraut er in Ägypten nicht auf Gott, sondern auf seine eigene dubiose Taktik.
Wir sind Brüder – Trennung ist eine Lösung
Diese lebensnahe Geschichte zeigt eine vernünftige Lösung in einem geladenen wirtschaftlichen Konflikt. „Das Land konnte es nicht ertragen.“ (V. 6) Der Streit der beidseitigen Hirten ist nicht der einzige Grund. Auch der Neid und die Furcht der Einheimischen, der Kanaaniter und Perisiter, kommen dazu (vgl. Benno Jacob, Das Buch Genesis, zu 13,6-9). Abraham betont das Zusammengehörigkeitsgefühl, indem er sich und seinen Neffen als Brüder bezeichnet. Aber der Schluss, den er daraus zieht, ist nicht, wie man erwarten könnte: Nun lass uns zusammenhalten und einig sein. Die Trennung ist seine Lösung. Auch das kann eine Gemeinschaft ausmachen, dass man sich trennt, damit beide Seiten in Frieden leben können. Die weitere Geschichte zeigt, dies muss nicht bedeuten, dass man sich nicht mehr umeinander kümmert. Im Kap. 14 hilft Abraham Lot, als er von dessen Gefangenschaft erfährt.
Wir sind Brüder und Schwestern – Impulse zu einer Haltung der Freiheit
In kirchlichen Gruppen und Gremien nehme ich oft die Angst vor Trennendem, vor Unterschieden wahr. Einheit und Einigkeit sind oberste Prämisse, der manch sinnvolle Entscheidung zum Opfer fällt. Das Brüder-und-Schwestern-Sein wird zum Ideal der Einigkeit stilisiert. 1. Mos. 13 entlastet von diesem Ideal. Freiheit kommt mir durch Abraham entgegen: Freiheit, eine unkonventionelle Lösung vorzuschlagen, Freiheit, Zugeständnisse zu machen und nicht aufzurechnen (Lot darf wählen und wählt das wasserreichere Land), Freiheit, in Distanz den eigenen Weg zu gehen, Freiheit, die sich von Gottes Segen und der Zusage, ein Segen zu sein, nährt.
Im Blick auf das Sonntagsthema würde ich weniger von (Waffen-)Rüstung als vielmehr von Haltung sprechen: Abraham zeigt in 1. Mos. 13 eine geistliche Haltung, die von Freiheit und Gottvertrauen geprägt ist.
Lieder
EG 295 „Wohl denen, die da wandeln“
EG 360 „Die ganze Welt hast du uns überlassen“
EG 643 (Württ.) „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“
Gertraude Kühnle-Hah
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 9/2023