Auf der Suche nach richtigen und der Situation angemessenen Wegen

Professor Dr. Dr. h.c. mult. Gerd Theißen zum 80. Geburtstag am 24. April 2023

Zum 1. Petrusbrief

Der 1. Petr. gehört zu den sog. „katholischen“ Briefen. Der Text ist ein dem Apostel Petrus zugeschriebener Rundbrief an (die) Gemeinden in den kleinasiatischen römischen Provinzen (V. 1). Prominent ist der Lobpreis Gottes am Anfang der Eulogie (1,3) für die Wiedergeburt „zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ und die Metapher „Haus der lebendigen Steine“ (2,5). Der Brief ist überwiegend paränetisch bestimmt wie auch unsere Perikope (ich zähle über 60 Imperative).

Kontext und Gliederung

Die Perikope ist Teil des Briefcorpus (1,13-4,11). Die Abgrenzung von 3,18ff ist sinnvoll, da dort die Erlösungstat Christi entfaltet wird, die ihrerseits Stichworte aus unserer Perikope aufnimmt (leiden – Gerechte / Ungerechte – Gewissen).

Die paränetischen Ausführungen zu Verhalten und Tun der Gemeinde(n) in den Herausforderungen ihrer Zeit sind stets mit Begründungen verbunden und bestimmen Aufbau, Gliederung und Struktur der Perikope: V. 8-9a Paränese / V. 9b-10 Begründung – V. 11 Paränese / V. 12-14 Begründung – V. 15-16a Paränese / V. 16b-17 Begründung.

Historische Situation

Der Briefautor spricht die Gemeinden als „Fremde“ an (1,1; 2,11), deren Zuhause nicht in der Welt, in der sie nur für kurze Zeit in der „Diaspora“ lebt, sondern im Himmel ist (1,1.17; 2,11). Der mit „der Fremde“ übersetzte Septuaginta-Terminus bezeichnet neben (2,11) den Menschen ohne Bürgerrecht, den „Beisassen“, der unter dem Schutz der Bürgerschaft stehen soll, was das entsprechende Nomen  in der Hebr. Bibel meint. Demgegenüber erlebten sich die christlichen Gemeinden, die in der Gesellschaft des 1. Jh. n. Chr. eine (religiöse) Minderheit waren, als schutzlos. Sie wurden bedroht und verfolgt (1,6; 3,14, vgl. Joh. 16,33).

Thema des Briefcorpus

Hauptthema des Briefcorpus ist die „Heiligung“ der Lebensführung der Gemeinde (vgl. Lev. 19,2) durch „Gottesfurcht“, die „gute Lebensart in Christus“ (1. Petr. 3,16) im Bewusstsein seiner Erlösungstat und des „Tages der Heimsuchung“ (1,13-3,17). Diese im Glauben gründende Ethik soll nicht nur nach dem gemeindlichen Innen, sondern auch nach dem gesellschaftlichen Außen und vor den Verfolgern gelebt werden, „damit sie eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tag der Heimsuchung“ (2,12.15; vgl. 3,16).

Unterwegs zum Ziel

Für die Gemeinde Jesu Christi ist die Welt nur ein vorübergehender „Aufenthaltsort“ (, 1,17). Sie ist als „Fremde“ (2,11) – M. Luther: „Pilgerschaft“ – unterwegs zum himmlischen „Ziel“, der „Rettung der Seelen“ (1,9). Dies ist der tragende Grund, warum er sie zur Furchtlosigkeit aufrufen und ermutigen kann, die „Anfechtungen“ (1,6; vgl. Mt. 6,13) auszuhalten und im Leiden nicht zu verzagen (3,14; 4,16). Mit dem Aufruf zur Furchtlosigkeit nimmt der Vf. den prophetischen Zuspruch aus der Bibel Israels auf (vgl. z.B. Jes. 41,10.14; 43,1), wie überhaupt der ganze Brief im Kontext des Ersten Testaments geschrieben ist.

Hier knüpft die Paränese unserer Perikope an. Die leidgeprüfte Gemeinde wird ihre Anfechtung bestehen, indem sie – auf das „Ziel“ bedacht (V. 8! Luther: „Endlich aber“; 1,9) – zusammensteht. Die Art und Weise des Miteinanders wird siebenfach umschrieben (V. 8f): gleichgesinnt – mitleidend (, „sympathisch“) – geschwisterlich liebend – gutherzig – selbst bescheiden gesinnt – nicht Böses mit Bösem vergeltend – gut redend zu / über (; Luther: „segnet“). Dem bösen Tun und Verhalten () sollen alle mit gutem Verhalten und Tun () widerstehen.

Ist es Zufall, dass hier das Böse und das Gute je siebenfach genannt werden (V. 9-18) und dem siebenfachen Guten die siebenfache Umschreibung des geforderten Miteinanders der Gemeinde entspricht? Der Briefautor greift wahrscheinlich auf die biblische Symbolzahl zurück, um der totalitär sich gebärenden Organisation des Bösen das Aufgebot des vor Gott vollkommenen Guten entgegenzustellen. Das paulinische „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ aus der Epistel klingt an (Röm. 12,21).

Der vierfachen (Symbolzahl!) Umschreibung des Bösen als „Beschimpfung“ (V. 9), „Betrug“ (V. 10), „Einschüchterung“ (V. 14), „Übles (nach)reden“ (V. 16) steht eine achtfache Umschreibung des Guten gegenüber (V. 10-18): lieben (V. 10) – den Frieden suchen (V. 11) – sich für Gerechtigkeit einsetzen (V. 12.14) – Christus heiligen (V. 15) – Bereitschaft zur „Apologie“ () des („Wort / Botschaft“; Luther: „Rechenschaft“) der Hoffnung (V. 15) – Sanftmut und (Gottes-)Furcht und (gutes) Gewissen (V. 16). Die Vielfalt der Umschreibungen für Böses und Gutes kann als Signal für die Komplexität der Sachverhalte verstanden werden.

Christus heiligen

Unter den drei (!) Begründungen der paränetischen Ausführungen nimmt das in ihrer Mitte eingeschriebene Psalmzitat (Ps. 34,13-17) in V. 10-12 eine theologisch gewichtige Stelle ein. Der Vf. bezieht sich damit auf das eigentliche Movens ethischer Gesinnung und Praxis: Es gründet in JHWH (, V. 12 = Ps. 34,16), der auf die Gerechten schaut und auf ihr Gebet hört. Wegen eines Gott wohlgefälligen Verhaltens und Tuns zu leiden, sei „besser“ (, V. 17) als um böser Machenschaften willen. Leiden „um der Gerechtigkeit willen“ (V. 14) heißt „Christus heiligen“ (V. 15), dies bedeutet „mit Christus leiden“ (Luther zu 4,13) und in der Gemeinschaft mit ihm das Leid bewusst übernehmen: „Die Spannung zwischen innerer Überlegenheit über die Umwelt und ‚Unterordnung‘ unter ihre Diskriminierungen ist groß und führt zu einer differenzierten Theologie des Leidens. Es ist ein Leiden mit Christus wie bei Paulus“.1

Zur Predigt

Der Predigttext regt zu einem Diskurs über Begründung(en) und Ziel(e) christlicher Ethik („guter Lebenswandel, , in Christus“, V. 16) an. Was „gut“ ist und was „böse“, gilt es zu entfalten, ohne der „Schwarz-Weiß-Malerei“ zu verfallen. Für den Vf. hat das Schriftzitat aus Ps. 34 eine hohe ethische Begründungsautorität. Dabei ist erhellend, dass der Entfaltung des Guten in der Perikope mehr Platz und Gewicht, nämlich doppelt so viel, gegeben wird als der Entfaltung des Schlechten. Dies sollte auch in der Predigt Beachtung finden und gebührend zur Sprache kommen. Dabei bedarf es einer „polyphonen“ (Gerd Theißen)2 Kommunikations- und Interpretationskultur, die von „Milde“ und „Gottesfurcht“ bestimmt ist (3,16). Beide „Gesinnungen“ ermöglichen einen offenen und kreativen Dialog, in dem es um die gemeinsame Suche nach dem richtigen und der Situation angemessenen Weg geht.

„Gesinnungs“- und „Handlungsethik“ sind in der Perikope betont aufeinander bezogen. Bedrängend aktuell ist seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 die friedensethische Debatte, die auch homiletisch herausfordert, indem die Predigt das Ethikkonzept in 1. Petr. 3,8-17 reflektiert und nach Möglichkeiten heutiger Orientierung daran fragt. Vielleicht sollte die Predigt diesem Fragen bewusst Raum geben. Mich spricht besonders an, wie der Briefautor das „Nach-Innen“ (Gemeinde) und „Nach-Außen“ (Gesellschaft) aufeinander bezieht und zur „Apologie“ der Botschaft der Hoffnung ermutigt gegenüber jedem Menschen, der danach fragt (V. 15).

Es geht nicht nur um den „guten“, sondern um den „besseren“ (V. 17) Weg. Dieser Weg steht im Zeichen gerechter Taten, Gebete3 und (guten) Gewissens (V. 12f.16f) in der Leidensgemeinschaft mit Christus (V. 14.15), das Ziel des „Segens“ (, V. 9; vgl. 1,9) vor Augen und so Kirche zu sein als „Haus der lebendigen Steine“ (2,5).

 

Anmerkungen

1 Gerd Theißen, Das Neue Testament, München 42010, 92.

2 Gerd Theißen, Polyphones Verstehen. Entwürfe zur Bibelhermeneutik, BVB 23, Berlin/Münster 2014.

3 Vgl. Dietrich Bonhoeffer, in: DBW Bd. 8, 435f.

 

Heinz Janssen

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 5/2023

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