„Über den Trost in dunklen Zeiten“
Johannes der Täufer – nomen est omen – steht vor allem dafür, Jesus getauft zu haben. Zweitens sodann dafür, sich demütig unter Jesus zu stellen (Joh. 3,301). Drittens ist er der Bußprediger in der Wüste (Mk. 1,2-8 par). Der Predigttext zum Johannistag 2023 stellt sich da quer. Zum Auftakt des großen Trostbuches Jes. 40-552 erklingt nämlich als Gotteswort: „Tröstet, tröstet mein Volk!“ Diese Botschaft passte damals, nach dem babylonischen Exil, wie auch heute und – genau betrachtet – zu allen Zeiten. Denn der Mensch, also jeder Mensch, ist – der eine mehr, die andere weniger – homo patiens.
Beispiele dafür gibt es in Hülle und Fülle: ein sehr persönlicher Not- oder Trauerfall3 oder ein Unglück trifft (sehr) viele4. Traf nicht Schopenhauer den Nagel auf den Kopf, als er WELT mit Weh, Elend, Leid und Tod assoziierte? Ja, ja und nochmals ja – wenn der Mensch nicht vielerlei Strategien hätte, nicht nur die Augen vor sehr vielem zu verschließen. Und wenn er wider alle Resignation oder Depression nicht eine Resilienz entwickeln könnte und aktiv gegen die Negativa anarbeiten.
Was aber hilft, wenn nichts mehr zu machen ist? Was in absolut dunklen Stunden5? In trostlosen Situationen? Da gab und gibt es sicherlich viele kleine Trostpflästerchen: „Musik, besonders selbst zu singen, Tiere, besonders Hund und Katze helfen mir, wenn es mir nicht so gut geht“. Das ist nicht zu verachten. Aber Vorsicht vor billiger Vertröstung6. Und – last, but not least: Trost / trösten gehört zur Kernkompetenz von Bibel, Theologie und Kirche7. Was im AT angelegt ist, steigert sich im NT (vgl. Ps. 73,3; 2. Kor. 1,3f; u.v.a.m.).
Man lade also ein zu einem Trostgottesdienst. Einige Ideen dazu:
¬ Beiträge von Ärzten8, Trauergruppen oder persönlich Betroffenen.
¬ Neben philosophischen Stimmen (s. Anm. 5) sollten unbedingt Kinderzeichnungen zu hell und dunkel gezeigt werden.
¬ Im Mittelpunkt stehen könnte auch ein Duett (Sopran und Alt) aus BWV 23, das so endet: „lass durch deine Wunderhand, die so viel Böses abgewandt, mir gleichfalls Hilf und Trost geschehen.“
Anmerkungen
1 S. dazu meinen Beitrag in: Pastoralblätter Juni 2016, 486-490.
2 Vgl. neben den Kommentaren auch die beiden Predigtimpulse zu Jes. 40,1-11 und Jes. 54,7-10 in: DPfBl 11/2022, 703-707 und 2/2023, 118f.
3 Erst seit 2019 gelten laut WHO langanhaltende Trauerstörungen als Krankheit und sind wie Traumata Bestandteil des ICD 11 von 2022.
4 Während des Entstehens dieses Predigtimpulses erschien beispielsweise im SZ-Magazin vom 3.2.2023: „Was gibt’s da zu lachen?“ und am 10.3.2023: „Wunden überall. Der Krankenbericht einer ukrainischen Ärztin“; in den 3sat-Nachrichten am 15.3.2023 wurde außerdem daran erinnert, dass vor 12 Jahren der leidvolle (Bürger-)Krieg in Syrien begann; und in der Stuttgarter Zeitung wurde vermeldet, dass „drei Kaufhof- und Karstadt-Häuser in der Region aufgegeben werden“ – und dass „zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren gestehen, die 12-jährige Luise erstochen zu haben.“
5 Vgl. den Buchtitel von Michael Ignatieff, der auch diesem Impuls den Titel gegeben hat. Bekannter ist Thea Dorns ebenfalls 2021 erschienenes Trostbüchlein.
6 Vgl. Hans-Jürgen Benedict: Nichts als Vertröstung? Trostbilder in der Bibel und Trösten heute, in: DPfBl 11/2022, 703-707.
7 S. beispielsweise die Art. in RGG 8, 637 und TRE 34, 143-153; genauso aber auch die unendlich vielen kleinen Trauerschriften.
8 Jalid Sebouli, Krebsmediziner an der Berliner Charité, sagte: „Sprache ist die wichtigste Arznei“, und der Palliativmediziner Gian D. Borasio: „Ein Arzt kann manchmal heilen, immer aber trösten.“
Gerhard Maier
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 5/2023