Gastfreundschaft ohne Kalkül
Gastgeber und Gäste
Ein Gleichnis, das in den meisten Bibeln unter der Zwischenüberschrift „Gastmahl“ zu finden ist – dabei kommt das eigentliche Mahl1 gar nicht vor im Gleichnis. Wie so oft bei Lk. ist dieses Gleichnis nicht ohne seinen Kontext Kap. 14 zu verstehen: vier Szenen folgen aufeinander, die sich allesamt bei einem Gastmahl abspielen. Die Heilung des Wassersüchtigen löst eine Debatte über den Sabbat aus; danach geht es um Platzierung am Tisch. Mit V. 12 beginnt das Thema unseres Gleichnisses: wer wird überhaupt eingeladen? Und ab V. 16: welche Geladenen kommen?
Selbst Gast weist Jesus seinen Gastgeber darauf hin, dass er bei Einladungen diejenigen einladen sollte, die ihm nichts zurückgeben können (V. 12-14) – nicht Freunde, Geschwister, Verwandte oder reiche Nachbarn, sondern Arme, Krüppel, Lahme und Blinde. Und dieser Gegensatz kennzeichnet auch das Gleichnis.
Der Gastgeber ist als reicher Mensch vorgestellt, er hat ein großes Haus, lädt viele Leute ein, beschäftigt Diener. Auch die Gäste gehören zu dieser sozialen Schicht: wer gerade einen Acker oder fünf Joch Ochsen gekauft hat, ist nicht arm. Sowohl der Gastgeber als auch seine Wunschgäste gehören der Oberschicht an.
Gastfreundschaft der Lobbyisten
Warum ist es wichtig, wer eingeladen wird? Gastfreundschaft ist im Orient bis heute ein Grundrecht und es gilt, dass gemeinsames Essen Gemeinschaft herstellt. Wenn aber schon im Vorfeld sortiert wird, wer mit am Tisch ist, entsteht keine Gemeinschaft. Da sitzen die zusammen, die ohnehin zusammengehören, mit denen eine Beziehung auf Gegenseitigkeit beruhen kann. Dann wird aus einer großen Tafel ein Networking-Space. Die Habenichtse bleiben außen vor, denn sie haben nichts zu bieten: keine Connections, keinen Anschlussauftrag, keine Lobbyunterstützung. Deshalb braucht sie hier keiner. Wer nicht hat, dem wird hier auch nicht gegeben.
Solche „Gastfreundschaft“ zementiert die sozialen Verhältnisse. Das soll nicht sein, sagt Jesus. Lade gerade die ein, die nichts haben, das wird bei Gott nicht ungesehen bleiben. Du wirst selig sein, sagt Jesus (V. 14). Und dieses selig greift der Gast auf, der das Stichwort liefert für das Gleichnis: „Selig, wer im Reich Gottes am Mahl teilnehmen darf“ (V. 15).
Geplatzte Einladung
Nun folgt das Gleichnis von der geplatzten Einladung. ALLE sagen ab, eigentlich wäre die Geschichte hier zu Ende – außer, der Gastgeber geht es anders an. Das tut er mit der Einladung an die Armen. Das Haus soll voll werden – ob das noch klappt, lässt die Geschichte offen, sie ist mit dem dritten Losschicken des Dieners zu Ende.
Andererseits ist im Gleichnis von Zorn die Rede (V. 21) und ein fröhliches Fest wird mit keinem Wort beschrieben, das ist nicht das Thema der Geschichte. Es geht um die Einladung, wer sie bekommt und wer sie annimmt.
Dieser Gastgeber hat seine armen Gäste nicht aus Überzeugung und nicht in liebevoller Zuwendung eingeladen, sondern nur, weil die anderen abgelehnt haben. Er ist schlicht sauer2. Insofern steht der Gastgeber im Gleichnis nicht für Gott. Das Gleichnis ist kein Bild für das Reich Gottes, sondern es bewegt die Frage, wer hineinkommt ins Reich Gottes.
Der letzte Satz (V. 24) ist schroff; er setzt fort, was in V. 11, aber auch in 13,30 und öfter bei Lk. zu finden ist: das (un-)soziale Handeln wird Konsequenzen haben. Passt auf, ihr könntet auch alles verzocken. Wenn ihr bei euren Mustern bleibt, habt ihr vielleicht eure Connections – aber ihr seid ohne Bezug zu Gott. Und warum sollte er euch dann kennen? Darum geht es auch in den Gesprächen vor unserer Geschichte. Die Frage ist nicht neu.
Teilt, sagt Jesus mit dieser Geschichte – es ist genug da! Lasst euch anstecken von der Großzügigkeit Gottes für die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden! Rutscht zusammen an die Tische. Nehmt und gebt – ohne Kalkül.
Anmerkungen
1 Griech. δειπνον: Essen, Mahlzeit, Gastmahl; dass die Lutherbibel 2016 hier „Abendmahl“ setzt, ist m. E. irreführend, denn es geht nicht um ein Herrenmahl.
2 L. Schottroff hat einmal getitelt: Der beleidigte Gastgeber, in: dies., Die Gleichnisse Jesu, 2005, 69.
Dörte Kraft
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 5/2023