Glaube ist immer ein Weg
Laufen, um den Kopf frei zu kriegen
Emmaus: Eine breit erzählte, vertraute Geschichte, deren inneren Spannungsbogen immer wieder aufzubauen gar nicht so einfach ist – immerhin ist das Ende den meisten wohl bekannt. Aber dies ist die lukanische Ostergeschichte – die Erscheinung des Auferstandenen im Gespräch mit zwei Jüngern aus dem weiteren Umfeld. So ausgefeilt erzählt, dass die Erwähnung der Erscheinung vor Simon Petrus V. 34 dagegen fast untergeht.
Es ist lohnend, die Geschichte in Etappen zu lesen – oder zu erzählen –, sodass die jeweilige Stimmung miterlebt werden kann. Die Ratlosigkeit, Enttäuschung, Wut, Trauer, Resignation der beiden Jünger, die sich auf den Weg machen. Laufen, um den Kopf frei zu kriegen; dem Herzen Luft machen; raus aus dem überfüllten Jerusalem und der Gefahr, als Anhänger eines Hingerichteten entdeckt zu werden.
Dann betritt eine neue Person die Bühne, von der nur das Publikum weiß, wer es ist: dramatic irony, die die Spannung erhöht und ungeduldig macht. Die Klage der Jünger fasst in Worte, was jeder Leser/Hörer auch gesagt hätte – nun sind alle im selben Boot. Und der Fremde erklärt in einem theologischen Monolog, warum das alles so passieren „musst“. Eine Erklärung, an der sich alle Generationen seitdem abarbeiten: den Weg Jesu aus dem AT als dieses „musste“ abzuleiten. Lk. gibt hier keine inhaltliche Hilfe. Der Leser/Hörer hat keinen Erkenntnisgewinn – und die beiden Jünger hatten ihn wohl auch nicht. Immer noch im selben Boot.
Von brennenden Herzen getrieben
Szenenwechsel: Ankunft und die Bitte, doch angesichts der schon hereinbrechenden Dunkelheit zu bleiben (hier steht kein „Herr“, die Jünger haben ihn noch nicht erkannt!). Bei der Mahlzeit endlich verlässt Jesus seine Rolle als Fremder und bricht das Brot. Das wäre eigentlich Sache des Gastgebers. Hier nun „fällt der Groschen“: sie erkennen den Fremden als den auferstandenen Vertrauten und schon ist der intime Moment wieder vorbei. So breit alles andere auserzählt ist – hier muss eine knappe Aussage reichen. Was in diesem Moment geschieht, ist zwar der Höhepunkt der Geschichte, aber nicht zu beschreiben.
Von brennenden Herzen getrieben kehren sie zurück nach Jerusalem und berichten, was sie erlebt haben.
Unauffällig bereitet Lk. mit dieser Ostergeschichte die Zeit nach Jesus vor: was die Herzen in Brand setzt, geschieht in der unerwarteten Begegnung. Es ist nicht Jerusalem, nicht der Kreis der Elf, kein „Obergemach“ … es ist das Zuhause. Wesentlich ist auch nicht die biblisch-theologische Erklärung … es ist die persönliche Geste. Es ist nicht das Verstehen … es ist das Erleben.
In Bewegung bleiben, unterwegs und im Gespräch
Wie kann man diesen Gedanken in die Gemeinde hinein ausziehen? Diese Geschichte ermutigt zum eigenen Gestalten des Lebens mit Glauben und Zweifeln. Da ist einerseits das bei Lk. so beliebte Motiv des Weges: in Bewegung bleiben, unterwegs und im Gespräch sein, Begegnung zulassen, Unfertiges erlauben, Zweifel und Enttäuschung ausreden lassen. Glaube bleibt immer ein Weg, ist nie fertig, nie vollkommen und nie ganz vermittelbar. Manchmal hilft eine Erklärung – aber sie ersetzt kein Erleben.
Wo sind in der Gemeinde, in der Gemeinschaft, aber auch im Alltag, Räume – innere und äußere –, in denen Christuserleben stattfinden kann? Räume im Privaten, Wege unter den Füßen. Wo darf der Zweifel das Wort haben, wird das Nichtverstehen ausgehalten statt wegerklärt? Wo bieten wir Formen und Vollzüge zur Aneignung an, mit denen Menschen selbst Christus „hineinbitten“ können ins Eigene und erfahren, wer er für sie ist? Der Gottesdienst als Mitvollzug des Angebotenen ist ja oft gerade nicht ins Private übertragbar.
Warum nicht diesen – vermutlich in der Hauptsache von Insidern besuchten – Ostermontag mit einer entsprechend anderen Gottesdienstform begehen? Mit einem solchen Gedanken kann der Ostermontag zum Beginn eines Weges werden – ein Montag, den Lk. nicht gebraucht hätte: bei ihm passt alles von der Auffindung des leeren Grabes bis zur Himmelfahrt in einen Tag. Folgerichtig beginnt mit dem Ostermontag der Lebensweg mit dem (un-)bekannten Christus.
Dörte Kraft
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 3/2023