Ringen um Leben aus dem Tod

In der Osternacht ringt das Leben um Durchsetzung gegenüber dem Tod. Um dies zu bedenken, ist der Abschnitt aus Jes. überaus geeignet, weil er genau diese Bewegung vollzieht. Der Spitzensatz in V. 19, „deine Toten werden leben“, steht am Ende des Ringens, das zunächst mit Zweifeln an der Lebensmächtigkeit Gottes beginnt (V. 14). Dieser Weg spiegelt sich in der Bewegung der Osternacht von der Dunkelheit der Nacht zum Licht des anbrechenden Tages.

Leben überwindet die Todessphäre

Der Abschnitt aus Jes., der zu der sog. in sich mehrschichtigen Jesaja-Apokalypse (Jes. 24-27) gehört, bildet einen der spätesten Texte der Schrift, wenn nicht gar der Hebräischen Bibel überhaupt. Er steht am Ende einer langen Entwicklung von Vorstellungen zu einem Leben nach dem Tod. Jes. greift dabei auf Gewissheitsaussagen aus den Psalmen zurück, die noch zurückhaltend davon reden, dass Menschen, die im Leben bei Gott geborgen sind, diese Verbindung durch den Tod nicht verlieren. Gott hält an der Beziehung zu seinen Menschen fest, indem er sie aus der Todesgefahr und Todessphäre errettet (vgl. Ps. 16,10f; 18,6f; 30,4; 49,16; 86,13; 139,8). Damit werden frühere Aussagen revidiert, in denen von einer Überstellung der Toten in die Unterwelt (Scheol) die Rede war, wo sie ein Schattendasein führen und aus der Erinnerungskultur herausfallen. Dort befinden sie sich in einem Bereich, wo kein Gotteslob mehr ertönt, weil die Welt unter der Erde so sehr weit von Gottes Sphäre entfernt ist (vgl. Ps. 6,6; 30,10; 88,11; 115,17; Jes. 38,18f). Jes. 26,14 knüpft an diesen Gedanken an.

Dabei bleibt Jes. 26 allerdings nicht stehen, sondern formuliert eine Grenzüberschreitung. Wie auch in Jes. 25,8 ist nunmehr die traditionelle Trennung der Machtverhältnisse über den Lebens- und Todesbereich hinfällig, da der göttliche Machtbereich auch in die Todessphäre hineinreicht. Mit der Herausgabe der Totengeister aus der Erde (26,19b) ist schließlich die Vorstellung eines Wieder-Lebendig-Werdens der Toten ausgebildet. Der Gott des Lebens überschreitet unwiderruflich die Grenze zur Scheol und ruft die Toten in das Leben zurück. Diese Erwartung gilt einzelnen aus den Völkern, die zu Jahwe gehören („deine Toten“) und ein Leben nach den Maßstäben der Gerechtigkeit führen (Jes. 26,2-4.7.9b.10; vgl. 24,16; 25,7). Damit setzt 26,19 einen neuen Akzent gegenüber den vorhergehenden Versen, die über kollektive Angst aufgrund von Fremdherrschaft klagen. Demgegenüber erwartet der Endpunkt in der Entwicklung der Jesaja-Apokalypse neues Leben, das aus der Schöpfermacht Gottes kommt und die Grenze der Todessphäre überschreitet.

Ringen um neues Leben

In der Osternacht wird das Leben neu gefeiert, weil an die Auferstehung Jesu Christi erinnert wird. Die Grenzüberschreitung des Wieder-Lebendig-Werdens der Toten wird zu Ostern auf den Ermöglichungsgrund in Christus bezogen. Die Glaubenden eignen sich die Öffnung des neuen Lebensbereichs an. Dies wird im Gottesdienst zelebriert. Der traditionelle Ruf „Der Herr ist auferstanden; er ist wahrhaftig auferstanden“ führt die Bewegung von der Dunkelheit zum Licht an.

Ostergottesdienste, die im Dunkeln beginnen und über die Dämmerung in das Licht des anbrechenden Tages hinreichen, lassen diese Bewegung spürbar werden. So wie das Licht des heraufziehenden Tages gegen die Dunkelheit ankämpft, so ringt das Leben gegen den Tod. Mit dem sich durchsetzenden Licht wird ein Umbruch erlebbar, in dem die Gottesnähe zunehmend Gestalt gewinnt. In vielfältiger Weise lässt sich dieses Erleben von Finsternis zum Licht kreativ inszenieren.

Hoffnungslosigkeit, Trübsal und Perspektivlosigkeit weichen; demgegenüber gewinnen Zuversicht, Mut und Vertrauen an Raum. Lebensenergie wird geweckt; sie fließt aus der Dunkelheit zum Licht; sie ergreift die Mitfeiernden. Es ist die Lebenskraft Gottes, die durch Jesus Christus den Anwesenden zugesprochen und zugeignet wird. Darin steckt großes Potential, das im Gottesdienst gar nicht groß genug gefeiert werden kann.

Lieder

EG 153 „Der Himmel der ist“
„Die Gott lieben, werden sein wie die Sonne“ (Kommt, atmet auf Nr. 059)
„In unsere Trauer fällt ein Licht“ (Das Liederbuch Nr. 217)

Zum Weiterlesen

Antje Labahn: „Deine Toten werden leben …“ (Jes 26,19). Sinngebung mittels der Vorstellung individueller Revivifikation als Grenzerweiterung im Jesajabuch, in: Michael Labahn und Manfred Lang (Hg.), Lebendige Hoffnung – ewiger Tod?! Jenseitsvorstellungen im Hellenismus, Judentum und Christentum (ABG 24), Leipzig 2007, 53-86

 

Antje Labahn

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 3/2023

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