Gott die eigene Angst hinhalten
Wachen und warten
„Bleibet hier und wachet mit mir“ – der Gesang aus Taizé gehört für viele fest in den Gottesdienst am Gründonnerstagabend. Aushalten und beten, ringen und fragen, wachen und warten: Die Stimmung dieses Abends wird kaum irgendwo besser eingefangen als in diesem ruhigen, meditativen, sich ständig wiederholendem Gesang. Die Erzählung von Jesus in Gethsemane steht dann vielen vor Augen. Bekannt ist sie aus Mk. 14 und Mt. 26. Hier wird erzählt, wie Jesus seine Jünger mehrfach anspricht: „Wachet und betet!“ Dreimal zieht er sich dort zum Gebet zurück und sucht die Jünger dann wieder auf. Anders in Lk. 22: Hier wird alles viel knapper und konzentrierter erzählt. „Betet, damit ihr nicht in Anfechtung verfallt!“, diese Aufforderung steht am Anfang und am Ende der Erzählung (V. 40.46). Gerade noch haben Jesus und seine engsten Freunde das Passahmahl gefeiert. Er kündigt an, dass er bald verraten wird. Petrus und die anderen schwören ihm die Treue. Dass die Jünger geprüft werden, dass sie ihn tatsächlich verleugnen und sich von ihm lossagen könnten, diese Versuchung steht unmittelbar bevor. Sie sollen jetzt inständig beten, um standhaft zu bleiben. Darauf liegt der Ton bei Lk.
Predigen heißt erzählen
Predigen heißt an Gründonnerstag erzählen: Jesus entfernt sich nur einen Steinwurf weit von seinen Jüngern, auch wir bleiben als Zuschauer gleichsam in Hörweite und sollen mitbekommen, was er betet. Verzweifelt ringt er mit Gott, seinem Vater. Ist es nicht möglich, dass dieser Kelch an ihm vorüberzieht? Am Ende willigt er ein: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe“. Als er zurückkommt, schlafen die Jünger „vor Traurigkeit“, wie Lk. erläutert. Sie sind nicht wirklich bei ihm. Sie halten nicht aus, was hier geschieht. So bleibt Jesus allein.
Bei Mk. und Mt. zeigen die Bewegung, das mehrfache Hin und Her, das wiederholte „wachet und betet“ das Ringen Jesu um das, was ihm bevorsteht. Vielleicht auch seine Suche nach Beistand und Unterstützung bei denen, die jetzt um ihn sind. Bei Lk. erfüllt ein kleiner Einschub V. 43f diese Funktion. Es ist zwar strittig, ob die Passage zum ursprünglichen Textbestand gehört, auch Mk. und Mt. führen sie nicht. Motiv, Stil und Wortwahl weisen aber durchaus auf Lk. als Verfasser (vgl. Lk. 1,3; Apg. 12,5.7-11). Es erscheint ein Engel, der Jesus stärkt. Gott befreit ihn nicht von dem Leiden, das jetzt bevorsteht, aber er lässt ihn nicht allein. Wir erleben Jesus hier in einer absoluten Grenzsituation: ängstlich, schwitzend, betend.
So kennen wir Jesus nicht
Mit diesen Akzenten lässt sich die Erzählung am Gründonnerstag erzählen. Der Mensch Jesus erscheint hier sehr nah. Wer seine Geschichte verfolgt hat, kennt ihn als wortgewandten Prediger, als mutigen Rabbi, als souveränen Akteur in Krisenlagen, wenn auf der Hochzeit der Wein ausgeht oder am Abend Brot und Fische nicht ausreichen für alle. Oft kümmert er sich um andere, wenn etwa ein Gelähmter zu ihm gebracht wird oder ein blinder Bettler am Straßenrand sitzt. Jesus predigt, lehrt, heilt. Ja, manchmal hat er sich schon zurückgezogen auf einen Berg oder aufs Boot, um allein zu sein. Aber so wie hier kennen wir ihn nicht: traurig, verzweifelt und voller Angst. Selbst seine engsten Freunde lassen ihn allein, sie schlafen vor Traurigkeit.
Vielleicht zeigt uns diese Szene in Gethsemane, was wir tun können, wenn wir einsam sind. Weil wir jemanden verloren haben. Oder weil eine schwere Krankheit plagt. Wenn dann keiner da ist, der bei uns bleibt, der mit uns wacht, wird es schwer. Jesus betet, als er allein ist. Er hält Gott seine Angst, seine Trauer, seine Verzweiflung hin. Und vertraut am Ende ganz auf Gott. Er wird ihn nicht fallenlassen, sondern auffangen. Und ganz nebenbei wird erzählt, dass auch wir menschliche Nähe, vielleicht Gottes Nähe zeigen können. Wenn die Verzweiflung groß ist, braucht es vielleicht nur einen Engel, der stärkt.
Titus Reinmuth
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 3/2023