Väter mobil – oder „Wohnt da oben jemand?“
Zu Christi Himmelfahrt, bei anderer Gelegenheit als „Gottes Vatertag“ apostrophiert (vgl. den Impuls zu Apg. 3,1-11 vom letzten Jahr), mögen manche Erinnerungen an frühere Tagestouren zu eben jenem „Vatertag“ aufkommen. Eine meiner Erinnerungen hat mit viel erhebendem Gesang zu tun – passend zum Tage und passend zu einem Wort John Miltons: „Wenn der Frühling ins Land zieht, wäre es eine Beleidigung der Natur, nicht einzustimmen in ihr Jauchzen“.Aber auch mit einem der Mitwandernden, dem plötzlich Joseph von Eichendorffs „Mondnacht“ („Es war, als hätt’ der Himmel die Erde still geküsst…“) einfiel und dieser Einfall zur Verwunderung und Freude der Mitwandernden hinaus in die Welt musste. Und schließlich damit, dass Eichendorffs „Mondnacht“ erstaunliche Gedankenzüge lostrat, die ein tiefblauer Himmel noch beflügelte: „Ist da oben jemand?“ – „Wenn ja, wer? Außerirdische? Der Mann im Mond? Frau Luna? Gott? Jesus – nach seiner Himmelfahrt?“ Dorthin, so bekennt christliche Gemeinde in jedem Gottesdienst, trat Jesus seine „letzte Reise“ an, so dass zwischen den Zeiten die kleine galiläische Wandergemeinde fortan ohne ihren Freund, Lehrer, Prediger weitermachen musste.
Seit dem 4. Jh. gibt es den Feiertag zum Bekenntnis. Und doch: die Fragen bleiben, welche die „Nach-Himmelfahrts-Gemeinde“ gleichsam definieren: Wo ist er aber? Im Himmel (was immer das sein soll)? Oder doch irgendwie auf Erden? Oder sind Himmel und Erde nicht von jeher gott-leer? „Wo ist er aber?“
Die Frage an Christi Himmelfahrt spannt den Horizont auf für Feiertag und Predigt.
Ein Zwischenruf vom 14. Mai 1523
Die erwähnten Fragen manch mobiler, romantisch veranlagter Väter heute spiegeln sich offensichtlich in Gedanken Martin Luthers. Etwa in seiner Predigt zum Himmelfahrtstage 1523, darin er sich wohl auch mit dem (Erst-)Wohnsitz Gottes und entsprechend diffusen Vorstellungen seiner Zeit auseinandersetzte: „Nun müssen wir von der Auffahrt des Herren Christus zum Himmel auch reden … Man soll nicht denken, er sei dahingefahren und sitze nu da oben und lasse uns hier regieren, sondern darum ist er hinaufgefahren, weil er dort oben am meisten schaffen und regieren kann. Denn wenn er auf Erden geblieben wäre sichtbar für die Menschen, hätte er nicht soviel schaffen können … Darum hüt dich ja, zu denken, er sei nu weit von uns gekommen, sondern im Gegenteil, als er auf Erden war, war er uns zu fern, jetzt ist er uns nah … Wo ist er aber? Hier bei uns ist er und hat sich darum in den Himmel gesetzt, damit er nahe bei uns sei. So sind wir bei ihm da oben und er bei uns unten: Durch die Predigt kommt er herab und wir kommen durch den Glauben hinauf“ (WA 12, 562-565 i. A.) Immerhin – die Frage an Christi Himmelfahrt trieb auch ihn um.
Unbekannt verzogen?
Die Fragen: „Wo ist Gott aber?“, „Wie kommt Gott zur Welt?“ oder „Wo im Himmel soll Gott sein?“ wurden auch für die Zeit des Königs Salomo als virulent beschrieben, als in einem ersten Tempel (בֵּ֥ית יְהוָֽה) die Gemeinde zu einem Gott betete. Nach 587 v. Chr. mag die Welt eine andere geworden sein, Babylon mag Juda militärisch besiegt, die בְּנֵ֣י יִשְׂרָאֵ֑ל ins Exil verschleppt und das „Haus Gottes“ zerstört haben. Letztlich bis heute. Doch die Frage bleibt: Ist Gott noch bei uns? Ist er unerreichbar im Himmel? Oder ist er einfach „unbekannt verzogen“?
Über Jahrhunderte wuchs ein Text auch über das Exil hinaus, den Salomo als Weihegebet für den Zionstempel durchaus so gehalten haben könnte: Zum Beten. Zum Danken. Und für einen ganz eigenen „Vatertag“ im Gedenken an David, der einst selbst „im Sinn [hatte,] … [Gottes] Namen ein Haus zu bauen“ (1. Kön. 8,18). Nach Feuerschein, Wolkensäule, „Stiftshütte“ und Bundeslade war es offenbar Zeit für einen „festen Wohnsitz“, gleichsam Gottes feste „Meldeadresse“: בֵּ֥ית יְהוָֽה, Berg Zion, Jerusalem, Königreich Israel. Doch auch im Exil, ohne „festen Wohnsitz“, Tempel und Bundeslade, blieb das Vertrauen in Gottes Gegenwart und Barmherzigkeit bestehen, blieben Salomos Worte zur Tempelweihe gültig: „HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten“. Hier spannt sich der Bogen zu Christi Himmelfahrt, von den בְּנֵ֣י יִשְׂרָאֵ֑ל zu Jesu Jüngern, von uns „bis an das Ende der Welt“ (Apg. 1,8) – davon ist heute zu erzählen, das ist heute zu bekennen und zu feiern.
Geht’s nicht auch ein bisschen kleiner …?
Salomo kommt beim Beten wohl ins Grübeln: Sicher ist das בֵּ֥ית יְהוָֽה als erstes Haus am Platze imposant und für den einzigen „resident God“ angemessen. Aber quasi als Zweitwohnung zwingend nötig? „Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“ Neben der Frage an Christi Himmelfahrt klingt hier das Dilemma des Tages an, der Wunsch nach sichtbarer Gegenwart des unverfügbaren Gottes. Ohne Tempel muss das Dilemma anders gelöst werden, als Gottes Anwesenheit in der Abwesenheit, als „Stätte, von der du gesagt hast: Da soll mein Name sein“ (1. Kön. 8,29)statt „fester Meldeadresse“ – als ob Salomo es geahnt hätte, baut er Gottes Namen ein Haus und formuliert mit dem Tempelweihegebet eine Art Gebetsdidaktik, eine Anleitung zum Gespräch mit dem abwesend anwesenden Gott. In und mit dem Namen ist der abwesend anwesende Gott gegenwärtig und ansprechbar, ohne verfügbar zu sein.
Statt des Tempels finden sich heute Orte und Gelegenheiten, da wie in Eichendorffs „Mondnacht“, der „Himmel die Erde still“ küsst, da sich Himmel und Erde berühren. Orte und Gelegenheiten, nach denen wir uns sehnen (mobile Väter wie die Gemeinde): ein offener Himmel, ein freier Blick über Land, eine offene Tür einer Kirche, Synagoge, Moschee. In alledem ist ein בֵּ֥ית יְהוָֽה zu entdecken, ein „Ort, da deine Ehre wohnt“ (Ps. 26,8),ein Ort für Lobpreis, Gebet und Feier, voll von Gottes Gegenwart und Zuwendung.
Literatur
Michael Rohde, Wo wohnt Gott? Alttestamentliche Konzeptionen der Gegenwart Jahwes am Beispiel des Tempelweihgebets 1 Könige 8, in: BThZ 26 (2009), 165-183
Patrick Fries