Wer kennt es nicht? Ein schmackhaftes Essen, liebevoll zubereitet, erwärmt das Herz und macht es schön, Gastfreundschaft zu genießen. Wenn uns jemand an seinen Tisch einlädt, ist das ein Zeichen großer Wertschätzung. Lebensfreude entsteht, wo Menschen miteinander am Tisch sitzen und ausgelassen tafeln. Je länger das Mahl, umso mehr werden tiefgehende Tischgespräche geführt, die nur in entspannter Atmosphäre denkbar sind.
Wir brauchen Nahrung, um leben zu können. Und Essen ist noch viel mehr… Was wir essen, mit wem wir essen, wie wir essen, sagt viel über uns aus. Kein Wunder, dass die Bibel voll ist von Geschichten über das Essen.
Die Bibel als Buch des Essens
„Mit dem Essen eines Apfels fängt die Seelsorgebedürftigkeit des Menschen an. Mit dem Essen vom Hochzeitsmahl des Lammes hört die Seelsorgebedürftigkeit des Menschen auf. Am Anfang und am Ende der Bibel ist vom Essen die Rede. Und in der Mitte der Bibel steht der Tisch, an dem der sitzt, den seine Feinde einen ‚Fresser und Weinsäufer‘ nennen. Er bricht das Brot: ‚Nehmet, esset!‘
Am Anfang, am Ende und in der Mitte wird betont vom Essen gesprochen. Die Bibel ist in dem Sinne ein Buch vom Essen. Die Seelsorge ist des Essens wegen notwendig geworden. Sie wird sich in einem Mahl vollenden. Alle Seelsorge ist darum letztlich Einladung zum Tisch, ist essende Seelsorge. Seelsorge geht durch den Magen.“1
Rudolf Bohren verdanken wir die Einsicht, die Bibel als Buch des Essens und das Wirken Jesu als „essende Seelsorge“ zusammenzufassen. Diese Sichtweise passt auch zur Zukunftsvision des Propheten Jesaja. Am Ende wird es so sein: Gott lädt ein an seinen Tisch. Genauer: Der Gott Israels, der Herr Zebaoth, lädt alle Völker zu einem üppigen Festmahl auf dem Zion ein.
Ähnliches lesen wir im Evangelium der Emmaus-Geschichte: Die entscheidende Wende für die traurigen Jünger geschieht beim Essen! Als sie das Brot miteinander teilen und ihr Gast plötzlich in die Rolle des Gastgebers schlüpft, werden ihnen die Augen geöffnet. Die überraschende Einladung am Tisch, die Liebe des Gastgebers, lässt sie den Auferstandenen erkennen!
Zurück zu Jesaja: Es gehört zum Markenzeichen des Herrn Zebaoth, alle zum Essen einzuladen, die Juden und die Heiden. Alle sollen kommen und satt werden. Alle Völker sollen mit ihm und bei ihm feiern.
Häufiger findet sich bei den Propheten der Gedanke, dass am Ende der Zeit alle Völker zum Zion kommen werden, um auf Gottes Weisung zu hören. In Jes. 25 kommen die Völker zum Gottesberg, weil sie zu einem festlichen Essen eingeladen sind. Mit Bohren lässt sich dazu sagen: In einem Mahl vollendet sich die göttliche Seelsorge am Menschen.
Machtvoller Verschlinger
Die „essende Seelsorge“ des göttlichen Gastgebers zeigt sich darin, was beim Festmahl angesprochen wird. Hier geht es nicht um Weisungen und Aufträge. Der eigentliche Grund des gemeinsamen Essens ist, dass Gott die Tränen der Menschen abwischen wird, weil er selbst den Tod überwunden hat!
Bezeichnenderweise wird für den Sieg über den Tod auch auf die Metaphorik des Essens zurückgegriffen – Gott erscheint als „Verschlinger“ des Todes. Nun „widerfährt dem Tod selbst genau das, was er sonst den Menschen antut: Jahwe verschlingt ihn“ (Wildberger).2 Nach allen Katastrophen, durch die Israel gehen musste, steht die Neuordnung der Welt, in der Tränen, Trauer, Tod keinen Raum mehr haben.
Diese Verheißung aus Jes. 25 greift das NT mehrfach auf: „Der Tod ist verschlungen vom Sieg. […] Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus!“ (1. Kor. 15,54.57). Für Paulus wird Christus, der durch den Tod gegangen ist, zum Verschlinger des Todes. Was Jesaja für die Endzeit ansagt, ist durch den Auferstandenen bereits Wirklichkeit geworden.
Für den Ostersieg können wir nur dankbar und froh sein! Hier schließt sich der Kreis zur letzten Strophe in Jesajas Lied – es mündet in ausgelassenen Jubel über Gottes Rettungstat.
Anmerkungen
1 Rudolf Bohren, in: Predigt und Gemeinde, Zürich/Stuttgart 1965, 137f.
2 Zit. nach: Wuppertaler Studienbibel, Der Prophet Jesaja, Holzgerlingen 1988, 359.
Albrecht Schödl