Wie begegnet der Auferstandene? Er begegnet als ein zu Verwechselnder. Es könnte auch der Gärtner sein. Gewöhnlich, alltäglich. Wie wird er erkannt als der, der er ist? In der persönlichen Anrede, im „An-gesprochen-sein,“ wo ich spüre, ich bin gemeint. ICH. Niemand neben mir. Es gibt diese Momente im allergewöhnlichsten Tag. Wo eine Resonanz in mir da ist, die mich als die, die ich bin, „trifft“. Das ist wie ein „Erwachen“, ein klarer Sehen.
Maria – Rabbuni?!
Jesus rüttelt Maria nicht mit Selbstdarstellung wach: „Hey du, Kleine, erkennst du mich nicht? Ich bin’s, dein großer Meister“. ER spricht nicht von sich! Er spricht Maria an. Mit ihrem Namen. Im Namen liegt die Würde eines Menschen. Darum haben die NS-Schergen den Menschen in den KZs ihre Namen genommen und ihnen Nummern eingebrannt. Sie sollten persönlich ausgelöscht werden. Vergessen. Unser Name ist aber im Gedächtnis Gottes eingegraben. Und ER ruft uns beim Namen.
Hier gäbe es in der Predigt die Möglichkeit, sich einmal gegenseitig den Vornamen bewusst zuzusprechen (Namen eventuell vorher von den Sitznachbar*innen erfragen). Wie ist das, wenn ich meinen Namen höre? So angesprochen und dabei angesehen zu sein?
Bei Maria haben sich Welten aufgetan. Mit dem Namen erwacht die Erinnerung ans Leben: DU bist es, Rabbuni, „mein Lebenslehrer.“ ER, der sie das Leben lehrte, als sie sehr krank war. ER, der sie das Leben lehrte in der Nachfolge und der sie jetzt das Leben neu lehren wird. „Sei Du! Trau Dir! Künde von mir.“
Neu das Leben lernen nach dem Tod eines geliebten Menschen. Das ist oft sehr hart. Neue Wege finden, mir selbst trauen, dass ich weitergehen kann. Jesus traut es Maria zu. Er schickt sie los. Ich finde, das geht sehr schnell. Hätte er ihr nicht ein wenig länger traute Zweisamkeit und Berührung schenken können? „Geh und verkünde. Halte mich nicht fest.“ ER schickt sie in ihre Kraft, in ihre Stimme. ER gibt sie frei an die Welt. Der kleine Austausch, der eine Moment der Zwiesprache, „Maria – Rabbuni“, genügt für eine neue Hingabe ans Leben. Wo immer wir in unsere Lebendigkeit, in unser Element, hineingezogen werden, geschieht Auferstehung im HEUTE.
Die nackte Erfahrung der Begegnung
Maria geht und ruft, „Ich habe den Herrn gesehen.“ Sie spricht von ihrem Erleben. Sie spricht nicht über Jesus. Ich verstehe das als Einladung, gerade an Ostern persönlich zu sprechen, von mir. Ich glaube, manchmal wird zu viel über Jesus gesprochen. Auch gerade, was seine Auferstehung betrifft. Als wäre es nötig, Ostern zu beweisen.
Christus aber gibt Maria keine Argumente mit auf ihren Weg: „Erklär es halt so und so…“ Er schickt sie los mit der nackten Erfahrung der Begegnung. Und sie spricht, obwohl die Vernunft ihr hätte sagen müssen: „Sei bloß still, du machst dich lächerlich, wer wird dir schon glauben“. Sie spricht: „Ich habe den HERRN gesehen.“
Christus ruft den Menschen, der ihn sucht, der trauert, in die Welt: „Sprich und tauche auf, wo der Tod lähmt. Deine Präsenz in der Welt ist mehr als Du ahnst.“ ER mutet uns zu, mehr Leben ins Leben zu bringen, wie Dorothee Sölle dichtet: „Es muss doch mehr als alles geben./ Jede von uns wird gesegnet. Lass uns daran glauben/ Auch wenn wir aufgeben wollen/ Gib uns die Dreistigkeit, mehr zu verlangen/ Mach uns hungrig nach dir, lehr uns beten, ich lass dich nicht, das kann doch nicht alles sein./ Auf uns wartet ein Segen.“
Jeder und jede von uns kann ein Segen sein wie Maria. Ihr haben wir es zu verdanken, dass wir heute hier sind und Ostern feiern. Ihr Mut zum Sprechen des Unaussprechlichen bewirkte das Weitergehen der ersten Christ*innen. Mit ihrem Mut weitersprechen: Von inneren Erfahrungen, die uns ins Leben gezogen haben, von Christus als einem Gegenwärtigen! Und die Auferstehungsbotschaft lässt sich einem anderen auch schon damit ins Herz pflanzen, dass wir klar und liebevoll seinen Namen aussprechen. Und uns selbst immer wieder von unserem Rabbuni ansprechen lassen: „Lehre mich leben mitten im Leben und angesichts seiner Bedrohung. Lehre mich, je neu zum Leben zu erwachen.“
Thea Vogt