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Da nur V. 23-26 die bekannten Abendmahlsworte darstellt, ist als erstes darüber zu entscheiden, wieviel von den in Klammern stehenden Versen gelesen und ausgelegt werden soll. Grob gesagt handelt es sich bei V. 17-22 um die Darstellung der in Korinth vorliegenden Missstände, bei V. 23-26 um die Paradosis, von der her die Missstände kritisiert werden, und bei V. 27-29.33-34a um Konsequenzen aus der vorgetragenen Kritik. Der Abschnitt V. 27ff hat eine durchaus problematische Wirkungsgeschichte entfaltet, die aufzuarbeiten nötig wäre! Aber ich halte den Gründonnerstag nicht für eine geeignete Gelegenheit dafür. V. 17-26 allerdings würde ich in diesem Fall zusammen betrachten, denn die Argumentation des Paulus gegen die ihm bekannt gewordenen Missstände enthält auch implizite Aussagen über das Abendmahl, das ja Thema des Gründonnerstagsgottesdienstes ist.

 

Thema

Nicht das Herrenmahl als solches ist hier das Thema, sondern dessen ekklesiologische und gemeindeethische Konsequenzen.1 Wie der gesamte erste Korintherbrief, so ist auch dieser Abschnitt veranlasst und geprägt von der aktuellen Situation vor Ort.

Die Kritik des Paulus ist fundamental: wenn die Gemeinde zusammenkommt, gereicht es ihr zum Schaden (V. 17) und: was sie da feiert, ist nicht das Herrenmahl (V. 20). Wenn der Apostel also das Sozialverhalten innerhalb der Gemeinde kritisiert, dann nicht nur wegen der sozialethischen Verfehlungen2, sondern weil damit das Herrenmahl dessen beraubt wird, was seine Verheißung wäre.

 

In Korinth

Für die korinthische Gemeinde ist ein tatsächliches Mahlgeschehen vorauszusetzen, dessen einer Hauptteil eine Sättigungsmahlzeit war und der andere – zeitlich vermutlich der zweite – die Feier des κυριακος δειπνος. Hier kam es nun offenbar zu dem Missstand, dass vom Sättigungsmahl nichts mehr übrig war, wenn die letzten (vermutlich arbeitenden) Gemeindeglieder kamen.

F. Wilk3 weist darauf hin, dass es für das antike Freundschaftsmahl üblich war, dass jeder mitbrachte, was er selbst verzehren wollte. Das ist so lange kein Problem, wie sozial Gleichgestellte zusammenkommen. Das scheint aber in Korinth nicht der Fall gewesen zu sein (vgl. dazu auch 1,26). Diejenigen, die begütert genug waren, Essen mitzubringen, betrachteten diese Lebensmittel offensichtlich weiterhin als ihr Eigentum (ιδιον) und aßen sich satt. Wer später kam und vor leeren Schüsseln saß, blieb hungrig und war obendrein beschämt: jeder konnte sehen, dass er ein „Nichthabender“ (V. 22) war. Hier liegt der entscheidende Gegensatz: reiche Gemeindeglieder machen aus dem κυριακος ein ιδιος δειπνος.

Vielleicht war es ein echter Fortschritt, dass in der Gemeinde so verschiedene Menschen zusammenkamen – aber im konkreten Vollzug blieben die Reicheren unter sich. Dieses Auseinanderfallen von Reichen und Nichthabenden ist es, was Paulus in V. 18 als Spaltungen, σχισματα, und in V. 19 als Parteiungen, αιρεσις, bezeichnet. Es geht nicht um Lehrunterschiede oder Richtungsentscheidungen – es geht um das verletzte Miteinander von sozial verschieden gestellten Menschen in der Gemeinde.4 Und es sollen die „Bewährten“ offenbar werden. Wie soll das gehen?

 

Das Herrenmahl

Nachdem Paulus V. 17-22 seinen Tadel vorgetragen hat („Hierin lobe ich euch nicht!“), zitiert er die Abendmahlsüberlieferung, die auch er empfangen hat. Damit bindet er die nun folgenden Aussagen zurück an die Autorität des Herrn selbst. Wir finden keine Erwähnung des Passahmahles, aber die Einordnung in die Passionsgeschichte durch die Zeitangabe in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, V. 23.

Spannend ist ein Blick auf die Verheißungen, die Brot und Kelch beigelegt sind: V. 24 „dies“, τουτο (neutr.), ist nicht rückbezüglich auf das Brot, αρτος (mask.); es muss also gelesen werden als Bezeichnung des Mahlgeschehens. Dieses Mahlgeschehen ist mein Leib für euch. Das ist ein ungewohnter Gedanke und so stellt sich die Frage nach Leib, σωμα.

Das altgriech. Wörterbuch von Menge (Langenscheidt) belegt für σωμα: 1. Körper, Leib, Leichnam; 2. Person, Individuum; 3. Leben. Schrage geht hier so weit, als Übersetzung für dies ist mein Leib vorzuschlagen: Das bin ich selbst.5 Hier verspricht der für sie in den Tod gehende Christus seiner Gemeinde …, bei ihrem gemeinsamen Essen … in seiner Proexistenz gegenwärtig zu bleiben und Anteil an sich zu gewähren.

Der Becher/Kelch in V. 25 trägt die Verheißung der Eingliederung in den neuen Bund. Ob Paulus hier an Ex. 24,8 oder Jer. 31 denkt – oder noch anders, kann diskutiert werden.

Im Vollzug der Mahlgemeinschaft geschieht die Gemeinschaft mit Christus und denen, die als Gemeinde seinen Leib bilden. Und es geschieht die Eingliederung in den von Gott gesetzten Bund – Paulus nennt ihn, anders als die Synoptiker, den neuen Bund.

Hier ist nicht die Frage nach der Substanz von Brot und (dem hier nicht genannten) Wein zu stellen, sondern nach dem Vollzug des Mahles. Beide Teile der Abendmahlsparadosis sind mit dem Wiederholungsbefehl verbunden – es wird die Brücke geschlagen zur wiederholten Praxis in der Gemeinde, die den Auftrag der αναμνησις hat. Damit ist eine Vergegenwärtigung gemeint, in der das heilsgeschichtliche Geschehen, auf das sich der Glaube der Feiernden bezieht, als gegenwärtige Wirklichkeit proklamiert wird.6

V. 26 dürfte wieder die Stimme des Paulus sein, der aus der Paradosis die Folgerung formuliert: wenn ihr also das tut, dann verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. Die Mahlfeier ist ein Akt der geistlichen Präsenz in dieser Welt. Die Feier des Herrenmahles ist in sich eine Verkündigung des menschenfreundlichen Herrn.

 

Folgerung

Aus diesen Gedanken wird deutlich, warum Paulus schreiben kann, dass hier kein Herrenmahl stattfindet. Wo die Gaben nicht geteilt werden und die Kluft zwischen arm und reich einfach weiterbesteht, entspricht das Mahl nicht dem, dessen Leib es ist: Jesus Christus, ja, ein solches Mahl kann gar nicht sein Leib sein und darum gereicht es den Teilnehmern zum Schaden. Ein solches Mahl kann weder miteinander noch mit Christus in Gemeinschaft bringen und die Selbsthingabe Jesu im Tod für euch mündet in keinen Bund für die, die den Armen die Teilhabe verweigern. Ein Sakramentalismus, dem die Sättigung der Armen egal ist, geht am Kern des Geschehens vorbei. Es geht nicht nur um „Brot und Wein“ – es geht um das Ganze des Lebens und um das ganze Essen.

Luise Schottroff nennt darum die „Bewährten“ in V. 19: wer verstanden hat, worum es geht.7 Von hier aus ist auch zu erschließen, was ab V. 27 gemeint ist … – ein anderes Mal.

 

Heute

In unseren mehr oder weniger homogenen Stadtteilgemeinden ist vielleicht ein vergleichbar krasser Unterschied im Lebensstandard selten anzutreffen – zumal für uns das Abendmahl seit Jahrhunderten keinen Mahlcharakter mehr hat. Die Sakramentalisierung hat sich lange durchgesetzt – was also sagt der Text?

Paulus rechnet mit göttlichem Geschehen im Mahlvollzug. Die darin liegende Zusage, dass die Feiernden seine Gegenwart erfahren, sein Leib sein und in seine Heilsgemeinschaft eingegliedert werden, ist eine große Verheißung! Hier geschieht Gottesgegenwart. An dieses Geschehen hat Christus sich in besonderer Weise gebunden, hier lässt er sich finden und erfahren. Es wird nicht nur an Jesus gedacht, nicht nur ein Symbol herumgereicht, das uns erinnern soll. Man muss nicht über die konfessionellen Unterschiede in der Erklärung der Elemente reden, aber die Zusage einer Gegenwart, die nicht am Glauben des Einzelnen hängt, beinhaltet eine große, tröstende Kraft.8

Das gefeierte Abendmahl stiftet und erneuert Gemeinschaft, Zugehörigkeit, neues Leben. Große Geschenke für unsere Gesellschaft aus Alleinstehenden.

Und schließlich dies: Glaube und Leben, geistliche Praxis und zwischenmenschliches Handeln gehören zusammen – immer!

 

Anmerkungen

1 Vgl. W. Schrage, Kommentar zum 1. Korintherbrief, EKK VII/3, 1999, 9.

2 Fundgrube für die Einordnung der praktischen Kritikpunkte in V. 17-22 ist immer noch der genannte ausführliche Kommentar von W. Schrage (dort S. 9-59) und der mit vielen antiken Texten arbeitende Kommentar von L. Schottroff, ThKNT 7, 2013, 211ff. Diesen beiden schließe ich mich hier an, zumal ich auch bei Chr. Wolff und F. Wilk keine abweichenden Thesen gefunden habe.

3 Vgl. F. Wilk, Der erste Brief an die Korinther, NTD, 2023, 156.

4 Dass es sich hier nicht um ein verzichtbares Thema für Exegeten mit sozialgeschichtlichem Interesse handelt, lässt sich auch bei U. Schnelle finden, der in seiner Monographie Die ersten 100 Jahre des Christentums, 2015, das Thema Arm und Reich als zweitwichtigste Gefährdung (nach der Parusieverzögerung) benennt, a.a.O., 406ff.

5 A.a.O., 33.

6 Schrage, 42.

7 Schottroff, 213.

8 Davon, wie tief dies in einem Menschen ankommen kann, legt Chr. Lehnert Zeugnis ab: Der Christus geschieht. Das hat nichts zu tun mit dem, was ich davon sagen oder verstehen kann. viel realer ist das, was mir widerfährt, vor- und nachbewusst und tief im Dunkel unter der zitternden Membran meiner Geistesgegenwart … (vgl. Chr. Lehnert, Korinthische Brocken, 2013, 181f).

 

Dörte Kraft