Umzug. Die meisten Pfarrer kennen das zur Genüge. Alles muss gepackt werden. Vielleicht sind inzwischen die Kinder aus dem Haus, oder es geht bereits in eine Ruhestandswohnung. Manchmal ist die neue Dienst- oder Privatwohnung kleiner als die bisherige. Damit beginnen die Probleme. Umzug heißt Aussortieren. Was nehme ich mit? Was kann weggegeben werden? Was kann ich vielleicht verkaufen, oder muss es sogar entsorgen? Allein schon die vielen Bücher…

An vielen der Dinge, mit denen wir uns im Laufe unseres Lebens umgeben haben, hängen wertvolle Erinnerungen. Da können auch Tränen der Rührung oder des Schmerzes unwillkürlich hervorbrechen. Was, das willst Du wegtun? Weißt du nicht mehr…? Wie also entscheiden? Was sind die Kriterien? „Prüft alles und behaltet das Gute!“ Hilft da der gern zitierte und allbekannte Spruch aus dem 1. Thess., der uns für das kommende Jahr als Jahreslosung herausgesucht worden ist?

Prüft alles. Das klingt logisch. Und wir prüfen in unserem Alltag oft, bewusst oder unbewusst. Manchmal Waren, manchmal Werte oder Überzeugungen. Prüft alles. Vor allem bei anderen…

 

Was ist das Gute?

„Behaltet das Gute!“ – hierbei wird es schon schwieriger. Denn: was ist das Gute? Wer entscheidet das? Ist das, was ich für gut halte, auch das, was andere für gut halten? Denken wir nur an die Umzüge: Das willst du mitnehmen? Das ist doch alt. Nur Ballast. Aber nein! Das ist doch noch gut! So etwas wirft man doch nicht einfach weg! Oder auch: daran hänge ich!

Das können materielle Dinge sein, Erbstücke, Wertvolles – und nicht alles, was wertvoll ist, muss auch schön sein. Das können aber auch immaterielle Dinge sein. Womit wir mitten bei der Intention unserer Jahreslosung sind. Traditionen. Gewohnheiten. Umgangsformen. Der Handkuss zum Beispiel. Oder das Abnehmen von Hüten und Mützen der Männer in Kirchen. Oder die Sitzordnung beim Gottesdienst streng getrennt nach Männern und Frauen. Sie merken sicher schon: Hier kommen wir in Gefilde, die heute längst klar zu sein scheinen, vor wenigen Jahrzehnten aber noch die Gemüter erhitzten. Und wie ist das mit dem Konfirmationstermin? Unbedingt Palmarum? Oder dem Kinderabendmahl? Oder Traubensaft? Usw. usf.

 

Sehr unterschiedliche Interpretationen

Wir haben gewaltige Transformationsprozesse in den letzten Jahren erlebt. Und es scheint immer schneller zu gehen mit den Veränderungen. „Prüft alles, und behaltet das Gute!“ Gern setze ich ein Komma nach der ersten Aufforderung. Prüft alles – Komma. Innehalten. Luft holen. Prüft alles – schaffen wir das überhaupt? Sollen wir das jetzt auch noch tun? Wann denn? Der Kalender ist doch so schon voll!

Und dann die Gewissenfrage nach dem Guten. Was ist es denn, das Gute? Woher soll ich das wissen? Allein die oben genannten Beispiele unserer jüngeren Kirchengeschichte zeigen ja, wie schwierig das ist. Ich halte das eine – andere vielleicht ganz Anderes für gut. Wie finden wir einen Konsens? Oder einen Kompromiss? Was sind die Modalitäten unserer Suche?

„Prüft alles, und behaltet das Gute“ kann hierbei sehr unterschiedlich interpretiert und angewendet werden. Es kann bedeuten: Werft Altes endlich über Bord! Lasst uns aufbrechen zu einem modernen Gemeindealltag! Befreit euch von Ballast und Überkommenem!

Es kann aber auch ganz anders gelesen und verstanden werden: Bewahrt die Traditionen unserer Väter! (hier wird meist nur von Vätern gesprochen, was bereits viel aussagt) Lasst euch nicht vom Zeitgeist beirren! Das Befolgen der Überlieferungen hat den Fortbestand über die Jahrhunderte gesichert!

Beide Varianten enthalten ihre Wahrheiten, haben ihre Berechtigungen. An uns ist jetzt die komplizierte Aufgabe herauszufinden, zu suchen, zu entscheiden. Und oftmals gibt es keine zweite Chance. Aber hinterher zahllose Kritiker*innen, die es bereits vorher besser gewusst hätten – nur oft leider nicht selber gehandelt haben. Und uns mit unseren Entscheidungen allein, im Stich gelassen haben. Prüft alles, und behaltet das Gute. Harte Arbeit.

 

Eckehard Möller