Die Lebensenergien Gottes anzapfen

Es geht im Text aus 1. Joh. 5,11-13 um zoä aionios. Der Bereich des Vitalen wird überschritten. Es geht um das eschatologische Heilsgut, um die göttliche Lebenspotenz, die Christus als Sohn Gottes in sich trägt und an der diejenigen Anteil bekommen werden, die an ihn glauben. „Das göttliche Leben ist seinem Wesen nach unvergänglich und unzerstörbar, und gerade darum die tiefe Sehnsucht der von Tod und Verweslichkeit bedrohten Menschen“ (Schnackenburg, 63). „Wer den Sohn hat, der hat das ewige Leben“ (V. 12) wirkt wie ein affirmativer positiver Merksatz. Die Negation ist gegen Irrlehrer gerichtet. „Die Hineinnahme des Menschen in das ewige Leben Gottes … wird … im Glauben an Christus zum gegenwärtigen Ereignis“ (Körtner, 188f). Der Glaube an Christus ermöglicht die Teilhabe an der göttlichen Lebenspotenz. „Wirkliches (ewiges) Leben kann nur in der Teilhabe an seinem verborgenen Auferstehungsleben bestehen. Damit entsteht kein Besitz, sondern ein Prozess“ (Kreyssig, 101).

Die Fiducia ist einer Dynamik ausgesetzt. Der persönliche Christusglaube muss ernährt und kultiviert werden. Das Gebet ist neben dem Abendmahlsempfang und der Bibellese und regelmäßiger Gottesdienstfeier im Wirkfeld des heiligen Geistes ein Beispiel für die Kontaktmöglichkeit mit dem Auferstandenen. Das immerwährende Jesus-Gebet heißt: „Herr Jesus Christus, Sohn des allmächtigen Gottes, erbarme dich meiner!“ Es geht darum, die Lebensenergien Gottes und Christi im Glauben anzuzapfen!

 

Sehnsüchte nach einem erfüllten Leben

In einer Internetnotiz zu einer Weihnachtspredigt (2016) heißt es: „Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, hat dazu aufgerufen, Weihnachten in diesem Jahr bewusst als ‚Fest des Lebens‘ zu feiern. ‚Liebt das Leben, feiert gemeinsam ein fröhliches Fest, nehmt euch Zeit füreinander‘“ (nordkirche).

In der Tat lebt die Inszenierung des Weihnachtsfestes von einer Lebenssehnsucht nach Liebe, Harmonie, Frieden, nach Zugehörigkeit, Gemeinschaft und Angenommensein. Verfeinert durch Aufmerksamkeit, Geschenke und festliches Essen. Eine ruhige Auszeit von der „Jagd des Lebens“ (Theodor Storm im Gedicht „Knecht Ruprecht“) wird in den Tagen „zwischen den Jahren“ ersehnt. Zuweilen spiegeln sich zur Weihnachtszeit auch Sehnsüchte nach einem erfüllten Leben.

Die an sich mögliche Klassifizierung des „Weihnachtsfestes“ als eines „Lebensfestes“ muss mit dem Hintergrund dieses Textes in aller Tiefe bedacht werden. Die transzendente, im Glauben erfassbare Lebensdimension, die ins Zeitliche einbricht, gehört dazu. Wozu feiern wir denn sonst die Menschwerdung des ewigreichen Gottes? Der Einbruch des Ewigen in die Zeitlichkeit setzt sich fort: Predigend gehen wir von der spirituell wirksamen Selbstvergegenwärtigung des Auferstandenen im Wort (Joh. 14,16-26; 16,13) aus.

Gesangbuchlieder zu Weihnachten und Epiphanias bringen die christologisch-österlich-erlösende Dimension zur Sprache, auch mit dem Begriff „Leben“ (vgl. EG 36, 10; EG 37, 3; EG 66, 4; EG 67, 2; zum Abendmahl vgl. EG 227). Diese Lieder können auch im Gottesdienst angestimmt werden.

Die Fülle des Lebens ist in Christus gegenwärtig (vgl. Joh. 10,10). Das Vertrauen auf ihn könnte Gelassenheit und einen inneren spirituellen Lebensgewinn schenken. Der Glaube ernährt sich von den Verheißungen. Die Logien Jesu enthalten eine Sprengkraft gegen Angst und Sorge.

Eine kleine Auswahl an Lebensworten: Bedenkenswert ist Mt. 6,25.34 mit hermeneutischer Berücksichtigung der Unterscheidung von „sich kümmern und sich sorgen“ (wer sich kümmert, bleibt im Bereich dessen, was man überschauen kann – sich sorgen ist etwas anderes). Welcher Trost liegt für einen Sterbenden in der Zusage von Lk. 23,43! Welche Ermutigung liegt in den Zusagen von Mt. 7,7f; Mt. 11,28; Mt. 21,22; Mk. 2,5b; Joh. 5,24; Joh. 6,56; Joh. 8,12; Joh. 8,31; Joh. 11,25; Joh. 14,13f; Joh. 14,19! Christus ist auch ein Coach für die richtigen Lebensprioritäten, vgl. Lk. 12,15.

 

Literatur:
Ulrich H.J. Körtner: Die letzten Dinge, Neukirchen-Vluyn 2014; Peter Kreyssig/Eberhard Stammler: 2. Sonntag nach Weihnachten, 1. Johannes 5,11-13, in: Predigtstudien II/1, Stuttgart 1997, 99-105; Rudolf Schnackenburg: Die Johannesbriefe, HThK, ungekürzte Sonderausgabe, Freiburg-Basel-Wien 2002; https://www.nordkirche.de/nachrichten/nachrichten-detail/nachricht/bischoefin-kirsten-fehrs-weihnachten-als-fest-des-lebens-feiern

 

Thomas Ehlert