Weihnachten vorbei

Weihnachten ist vorbei. Für viele ist das so. Weihnachten hat sich verschoben. Beginnt spätestens am 1. Advent, baut seinen Spannungsbogen bis zum Heiligabend und ist dann gefühlt vorbei. Kinder spielen mit ihren Geschenken, die Bratenreste werden gegessen, der Tannenbaum lässt langsam Nadeln. Auf zu neuen Ufern, zu einem neuen Jahr. Nur die Hartgesottenen lassen sich heute noch einmal in einen Gottesdienst locken, noch einmal einfangen von der besonderen Atmosphäre eines Festes, das eigentlich nie vorbei ist. Und darum geht es dem Apostel Paulus in der Eröffnung seines Briefes an die Gemeinde in Rom. Um sein Standing innerhalb und sein Bekenntnis zu einer ganzen Heilsgeschichte, die in allen Stücken existentiell ist und alltagstauglich sein will. Für ihn, für die in Rom, für uns alle. Weihnachten ist eben nicht vorbei, es ist und bleibt Teil unseres Lebens, geht mit uns durch die Zeit.

 

Gottes Heilskette

Natürlich sollen die in Rom zunächst verstehen, dass Paulus nicht irgendeiner ist, der ihnen schreibt. Er ist einer, der verstanden hat. Etwas von Gott verstanden hat. Und will, dass sie verstehen, was es auf sich hat mit Gottes wundersamem und überaus absichtsvollem Wirken in diese Welt hinein, z.B. in einer Geburt. Auf die Paulus gar nicht näher eingeht. Sie ist für ihn Glied in Gottes Heilskette, der Beginn einer heilsamen und heilvollen Kettenreaktion. Er verweilt nicht bei Stall und Krippe, bei Ochs und Esel, bei Hirten und Engeln. Der Stern von Bethlehem leuchtet über Ort und Zeit hinaus. Auf einen Weg durch Galiläa bis nach Jerusalem, bis ans Kreuz und an ein leeres Grab. Und auch damit endet die Geschichte nicht. Sondern findet Resonanz in einem wie Paulus. Und in mir. Und meinem Leben. In meinem Leben?

 

Resonanzgeschichte Gottes

Wenn Weihnachten nur ein Kalenderblatt ist, reiße ich es heute ab. Räume das Geschenkpapier weg, denke über das Silvesteressen nach und sorge mich um ein neues Jahr. Wenn Weihnachten Teil einer Resonanzgeschichte Gottes mit den Menschen ist, bin ich eine Frau, an der Gott Großes tut. Bin ich ein armseliger Hirte, der an einer Krippe Wert und Würde erfährt. Bin ich eine Weise, die Macht in der Ohnmacht begreift. Bin ich ein Mensch, der einen Stern sieht. Und ihm folgt. Durch alle Dunkelheit hindurch. Und sei es der Tod. Weihnachten ist vorbei? Doch hoffentlich nicht.

Natürlich werde ich alsbald die Krippenfiguren sorgfältig einpacken und wieder in ihr Kistchen legen. Sie haben ihre Zeit im Jahr. Aber das, wofür sie stehen, geht mit mir durch die Zeit. Und das ist gut so. Weil die Zeiten auf ihre Weise weihnachtlich sind. Jenseits von Glühwein und Lametta.

Über 122 Mio. Menschen waren im Jahr 2024 gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Nicht auf Geheiß eines römischen Kaisers, sondern dem Gebot der Not gehorchend. Gut ein Fünftel der bundesdeutschen Bevölkerung ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Jeder einzelne von ihnen teilt das Lebensgefühl eines Tagelöhners auf dem Feld bei den Schafen. Täglich werden Kinder unter widrigsten Bedingungen in Flüchtlingslagern, in Kriegsgebieten, in Hungerregionen zur Welt gebracht. Die Krippe in Bethlehem beschreibt kein Idyll, sondern einen Skandal. Und über ihr steht ein Stern.

 

Der „Stern der Gotteshuld“

„Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.“ (EG 16,4) Weihnachten ist nicht vorbei. Es fängt erst an. Immer wieder. Immer wieder finden wir uns unter dem Stern mit seiner Klarheit, die uns die Welt zeigt, wie sie ist. Weihnachtlich, realistisch. Immer wieder suchen wir den Stern mit seinem Licht. Weihnachtlich, hoffnungsvoll. Immer wieder stärkt uns der Stern mit seiner Kraft. Weihnachtlich, furchtlos, wirksam, nachhaltig. Er leuchtet in rauen Winternächten und lauen Sommernächten. Er leuchtet in jeder Nacht. In jeder Zeit. Geht mit uns durch die Zeit. Der Stern der Gotteshuld. Die Himmelsliebe, die sich geerdet hat. Damit wir Liebe fühlen und erfahren, die nicht von dieser Welt ist. Und gerade deshalb Welt verändern kann.

Es bleibt dabei. Seit Weihnachten bleibt es dabei. Wir stehen unter einem guten Stern. Wir gehen unter einem guten Stern. Als Geliebte Gottes und berufene Heilige. Mag sein, dass der Tannenbaum auf dem Kompost landet und die Krippenfiguren im Keller verschwinden. Weihnachten verschwindet nicht. Gott sei Dank. Seine Gnade und sein Friede sei mit uns allen. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

 

Lieder
EG 160 „Die Nacht ist vorgedrungen“
EG 551 (Pfalz) „Stern über Bethlehem“

 

Dorothee Wüst