Jesaja träumt
Jesaja träumt mal wieder, doch dieses Mal ist der Traum anders. Er träumt nicht wie beim letzten Mal vom Untergang, von einer spezifischen Situation. Er träumt etwas Schönes, Beruhigendes, eine eschatologische Hoffnung und das ganz unspezifisch, keine bestimmten Völker, die es betrifft und keine bestimmte Zeit. Im Jesajabuch wird von vielen Träumen erzählt. Dieser Traum handelt von Frieden in der Welt, ein umfassendes Heil (shalom) und eine wahre Gerechtigkeit werden beschrieben.
Der Text für diesen 2. Advent erzählt von Hoffnung, vom Heil, von Gerechtigkeit, die uns verheißen sind. Ein kurzer Blick in die Exegese und den Kontext verraten uns, dass Jes. 35 einen starken, positiven Kontrast zu Jes. 34 darstellt und z.T. auch als Antithese dazu gelesen wird. Jes. 35 fällt auf. Der Text passt nicht ganz in sein Umfeld, er ist unspezifisch in dem, wen er anspricht und über wen er redet. Diese unspezifische Ansprache gibt dem Text eine scheinbar dauerhafte und universelle Aktualität und Bedeutung.
Thema Hoffnung
Auch die anderen Perikopentexte für den 2. Advent erzählen von der Hoffnung, die uns verheißen ist. Es mündet im Wochenspruch, der die nahende Erlösung betont. Das Evangelium hingegen legt seinen Fokus auf Furcht und Zittern vor dem Gericht, um erst im letzten Vers mit der Erlösung zu trösten. Da spricht der Jesajatext von dem, was wir erwarten dürfen, beschreibt die Verheißung, das kosmische Heil.
Das Ziel der Predigt sollte u.E. sein, diese Verheißung für uns, für die Gemeinden spürbar werden zu lassen, sie ernst zu nehmen, den Trost des Textes weiterzugeben, sich vom Traum anstecken und ermutigen zu lassen und selbst zu Boten der Hoffnung für die Welt zu werden. Dies hören wir gerade in dieser Zeit, die von negativen Nachrichten beherrscht zu sein scheint und von einer Hilflosigkeit gegenüber dem, was in der Welt passiert.
Der Text bei Jesaja fordert auf, Hoffnung in diese Welt zu tragen. Er beginnt mit den Imperativen „stärkt“, „macht fest”, „sagt den verzagten Herzen“ … Wir sollen in der Welt Hoffnungsboten sein und von der Hoffnung erzählen, die uns trägt, uns gegenseitig in unserer Hoffnung stärken. Diese Hoffnung speist sich aus dem Vertrauen auf Gottes Verheißungen. Damit ist Hoffnung nicht nur ein Gefühl, sondern ein ernsthafter theologischer Begriff.
Gottes Verheißungen sind umfassend, so wie sie in den folgenden Versen beschrieben werden, und beinhalten auch Gerechtigkeit – ein ins Recht setzen und zur Rechenschaft ziehen (V. 4).
So hat es auch Jürgen Moltmann formuliert: „Das ‚jüngste Gericht‘ ist kein Schrecken, sondern in der Wahrheit Christi das Wunderbarste, was Menschen verkündet werden kann. Es ist eine Quelle unendlich tröstender Freude zu wissen, dass die Mörder nicht nur nicht endgültig über ihre Opfer triumphieren werden, sondern sie nicht einmal in Ewigkeit die Mörder ihrer Opfer bleiben können.“ (J. Moltmann, Das Kommen Gottes: Christliche Eschatologie, Gütersloh, 1995, 284)
Advent – Zeit vertrauensvollen Wartens
Der aktuell offensichtlichste Grund für Hoffnung ist das vertrauensvolle Warten auf das Kommen Gottes – Advent, die Zeit in der wir Licht ins Dunkel bringen. Hoffnung ist eine Tugend, die davon lebt, dass sie eingeübt wird, z.B. indem wir Kerzen anzünden und Lieder singen. Wir können unsere Hoffnung stärken durch Gemeinschaft, durch Singen, durch Riten, wie sie im Advent üblich sind. Wir können Hoffnungslichter anzünden, denn mit Hoffnung ist es wie mit Glück: sie vermehrt sich, wenn man die teilt. Dazu gehört auch, positive Nachrichten wahrzunehmen und zu sehen, was wir haben, und das zu betonen. So ist z.B. am 10. Dezember 2024 der 76. Jahrestag der Deklaration der individuellen Menschenrechte.
Es ist sicherlich möglich, in der Predigt ein Adventslied mit dem Predigttext ins Gespräch zu bringen, oder zu sehen, wo sich Hoffnungsaussagen in unseren Adventsliedern wiederfinden (z.B. „Macht hoch die Tür“ (EG 1); „O Heiland reiß den Himmel auf“ (Wochenlied) (EG 7); „O komm, o komm, du Morgenstern“ (EG 19); „Das Volk, das noch im Finstern wandelt“ (EG 20); „Die Nacht ist vorgedrungen“ (EG 16) – oder um sich einen kleinen Spaß mit der Gemeinde zu erlauben: „Korn, das in die Erde“ (EG 98) (oder andere passende Passionslieder)).
Für die Predigt ist es wichtig zu überlegen, was uns die Hoffnungsbilder des Jesaja allgemein sagen: Wie geben sie uns Kraft und wie sehen diese Hoffnungsbilder in unserer Gegenwart aus (privat und in der Gemeinde)?
Quellen:
O.H. Steck, Bereitete Heimkehr, Jesaja 35 als Redaktionelle Brücke zwischen dem ersten und zweiten Jesaja, Stuttgart 1985
Ulrich Berges, Jesaja – Der Prophet und das Buch, Leipzig 2018
Frauke Wurzbacher-Müller / Martje Müller